Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite

jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe

jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="186"/>
jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0188] jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T15:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T15:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T15:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenumbruch erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen.
  • Das lange „s“ („ſ“) wird als normales rundes „s“ wiedergegeben.
  • Auslassungspunkte werden, unabhängig von der Anzahl der Punkte, als „…“ (Sonderzeichen Alt+0133) wiedergegeben.
  • Apostrophe werden durch das Sonderzeichen „’“ (Alt+0146) wiedergegeben (nicht durch die Variante auf der Tastatur).
  • Bindestriche werden durch den normalen Bindestrich „-“ wiedergegeben (nicht durch „=“).
  • Gleichheitszeichen „=“ werden als normale Gedankenstriche (Halbgeviertstriche) „–“ wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762/188
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762/188>, abgerufen am 23.11.2024.