Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber so viel als nicht gelten all' diese
Beweise bey euch unphysiognomichen Köp-
fen, die ihr von der Mutter Natur ver-
nachläßiget, in eure Augen keinen Scharf-
blick des Sehers, dagegen in eure Stirn
destomehr dumpfe Horn- und Stoßkraft,
zu eurem Erbtheil empfangen habt!

Da sizt bald der bald jener meiner
Nachbarn traulich zu mir hin, raunt mir
einen Gemeinplatz oder ein Sprüchwort,
zum Exempel, das Trau, Schau, Wem,
oder ein anders ins Ohr, sieht so bedeu-
tend und Geheimnißvoll dabey aus, als
wenn er mir einen vorseyenden Hochver-
rath anvertraut hätt'; giebt mir ganz ver-
blümt zu verstehen, die Sophie sey eine
Jrrläuferinn, ich sollt' mich vorsehen, sie
werd' einmal zusammen packen und ver-
schwinden, eh man sich's versäh; es sey
bedenklich, daß sie ihren Namen und ihre
Heimath so sorgfältig verheel. Appellir
ich drauf an ihr Gesicht, so predig' ich
tauben Ohren. Kaum bin ich einen Ue-
berlästigen los, so faßt mich eine weise
Dame beym Arm und zieht mich beyseits,
erdrückt mich erst mit Freundschaftsversi-
cherungen, und speyt mir hernach aufs un-

ver-

Aber ſo viel als nicht gelten all’ dieſe
Beweiſe bey euch unphyſiognomichen Koͤp-
fen, die ihr von der Mutter Natur ver-
nachlaͤßiget, in eure Augen keinen Scharf-
blick des Sehers, dagegen in eure Stirn
deſtomehr dumpfe Horn- und Stoßkraft,
zu eurem Erbtheil empfangen habt!

Da ſizt bald der bald jener meiner
Nachbarn traulich zu mir hin, raunt mir
einen Gemeinplatz oder ein Spruͤchwort,
zum Exempel, das Trau, Schau, Wem,
oder ein anders ins Ohr, ſieht ſo bedeu-
tend und Geheimnißvoll dabey aus, als
wenn er mir einen vorſeyenden Hochver-
rath anvertraut haͤtt’; giebt mir ganz ver-
bluͤmt zu verſtehen, die Sophie ſey eine
Jrrlaͤuferinn, ich ſollt’ mich vorſehen, ſie
werd’ einmal zuſammen packen und ver-
ſchwinden, eh man ſich’s verſaͤh; es ſey
bedenklich, daß ſie ihren Namen und ihre
Heimath ſo ſorgfaͤltig verheel. Appellir
ich drauf an ihr Geſicht, ſo predig’ ich
tauben Ohren. Kaum bin ich einen Ue-
berlaͤſtigen los, ſo faßt mich eine weiſe
Dame beym Arm und zieht mich beyſeits,
erdruͤckt mich erſt mit Freundſchaftsverſi-
cherungen, und ſpeyt mir hernach aufs un-

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0138" n="132"/>
          <p>Aber &#x017F;o viel als nicht gelten all&#x2019; die&#x017F;e<lb/>
Bewei&#x017F;e bey euch unphy&#x017F;iognomichen Ko&#x0364;p-<lb/>
fen, die ihr von der Mutter Natur ver-<lb/>
nachla&#x0364;ßiget, in eure Augen keinen Scharf-<lb/>
blick des Sehers, dagegen in eure Stirn<lb/>
de&#x017F;tomehr dumpfe Horn- und Stoßkraft,<lb/>
zu eurem Erbtheil empfangen habt!</p><lb/>
          <p>Da &#x017F;izt bald der bald jener meiner<lb/>
Nachbarn traulich zu mir hin, raunt mir<lb/>
einen Gemeinplatz oder ein Spru&#x0364;chwort,<lb/>
zum Exempel, das Trau, Schau, Wem,<lb/>
oder ein anders ins Ohr, &#x017F;ieht &#x017F;o bedeu-<lb/>
tend und Geheimnißvoll dabey aus, als<lb/>
wenn er mir einen vor&#x017F;eyenden Hochver-<lb/>
rath anvertraut ha&#x0364;tt&#x2019;; giebt mir ganz ver-<lb/>
blu&#x0364;mt zu ver&#x017F;tehen, die Sophie &#x017F;ey eine<lb/>
Jrrla&#x0364;uferinn, ich &#x017F;ollt&#x2019; mich vor&#x017F;ehen, &#x017F;ie<lb/>
werd&#x2019; einmal zu&#x017F;ammen packen und ver-<lb/>
&#x017F;chwinden, eh man &#x017F;ich&#x2019;s ver&#x017F;a&#x0364;h; es &#x017F;ey<lb/>
bedenklich, daß &#x017F;ie ihren Namen und ihre<lb/>
Heimath &#x017F;o &#x017F;orgfa&#x0364;ltig verheel. Appellir<lb/>
ich drauf an ihr Ge&#x017F;icht, &#x017F;o predig&#x2019; ich<lb/>
tauben Ohren. Kaum bin ich einen Ue-<lb/>
berla&#x0364;&#x017F;tigen los, &#x017F;o faßt mich eine wei&#x017F;e<lb/>
Dame beym Arm und zieht mich bey&#x017F;eits,<lb/>
erdru&#x0364;ckt mich er&#x017F;t mit Freund&#x017F;chaftsver&#x017F;i-<lb/>
cherungen, und &#x017F;peyt mir hernach aufs un-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0138] Aber ſo viel als nicht gelten all’ dieſe Beweiſe bey euch unphyſiognomichen Koͤp- fen, die ihr von der Mutter Natur ver- nachlaͤßiget, in eure Augen keinen Scharf- blick des Sehers, dagegen in eure Stirn deſtomehr dumpfe Horn- und Stoßkraft, zu eurem Erbtheil empfangen habt! Da ſizt bald der bald jener meiner Nachbarn traulich zu mir hin, raunt mir einen Gemeinplatz oder ein Spruͤchwort, zum Exempel, das Trau, Schau, Wem, oder ein anders ins Ohr, ſieht ſo bedeu- tend und Geheimnißvoll dabey aus, als wenn er mir einen vorſeyenden Hochver- rath anvertraut haͤtt’; giebt mir ganz ver- bluͤmt zu verſtehen, die Sophie ſey eine Jrrlaͤuferinn, ich ſollt’ mich vorſehen, ſie werd’ einmal zuſammen packen und ver- ſchwinden, eh man ſich’s verſaͤh; es ſey bedenklich, daß ſie ihren Namen und ihre Heimath ſo ſorgfaͤltig verheel. Appellir ich drauf an ihr Geſicht, ſo predig’ ich tauben Ohren. Kaum bin ich einen Ue- berlaͤſtigen los, ſo faßt mich eine weiſe Dame beym Arm und zieht mich beyſeits, erdruͤckt mich erſt mit Freundſchaftsverſi- cherungen, und ſpeyt mir hernach aufs un- ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/138
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/138>, abgerufen am 21.11.2024.