Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.dürren Rechtsgelehrten, den aber öftere Er- Durch diese Betrachtung kühlt' sich mein zuwei-
duͤrren Rechtsgelehrten, den aber oͤftere Er- Durch dieſe Betrachtung kuͤhlt’ ſich mein zuwei-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0147" n="141"/> duͤrren Rechtsgelehrten, den aber oͤftere Er-<lb/> fahrung vermuthlich gegen die Menſchen<lb/> mißtraulich gemacht haͤtt’: denn ehrliche<lb/> Leut werden oft betrogen. Zugleich bedacht<lb/> ich, daß des guten Spoͤrtlers phyſiognomi-<lb/> ſches Studium nicht ſowohl aufs allgemei-<lb/> ne, ſondern nur auf ein gewißes Fach,<lb/> naͤmlich auf ſolche Linien und Zuͤg’, die die<lb/> ſchlimme Seite des Menſchengeſchlechts be-<lb/> zeichnen, gerichtet ſey; weil er hauptſaͤch-<lb/> lich nur Jnquiſiten und Diebsgeſichter vor<lb/> Augen hab’. Da konnt ihm denn die Jma-<lb/> gination leicht einen ihrer gewoͤhnlichen<lb/> Streich geſpielt, und ihm eine Aehnlichkeit<lb/> meines Profils mit einem Diebsgeſicht, das<lb/> auf ihn einen ſtarken Eindruck gemacht hatt’<lb/> vorgeſpiegelt haben. Er argwoͤhnt’ ich woll<lb/> ihn aufs Eis fuͤhren, beſchaut’ das Profil<lb/> durch den Dunſtkraiß des Vorurtheils, ſah<lb/> falſch, und verwechſelt dadurch ein Geſicht<lb/> mit dem andern.</p><lb/> <p>Durch dieſe Betrachtung kuͤhlt’ ſich mein<lb/> Blut ein wenig ab. Doch wenn mir da-<lb/> bey wieder mein Theoremchen in den Kopf<lb/> kam, daß der Phyſiognomiſt gleichwohl<lb/> nichts anders ſieht, als was wirklich da iſt,<lb/> ob er gleich nach der Stimmung ſeiner Seel’<lb/> <fw place="bottom" type="catch">zuwei-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0147]
duͤrren Rechtsgelehrten, den aber oͤftere Er-
fahrung vermuthlich gegen die Menſchen
mißtraulich gemacht haͤtt’: denn ehrliche
Leut werden oft betrogen. Zugleich bedacht
ich, daß des guten Spoͤrtlers phyſiognomi-
ſches Studium nicht ſowohl aufs allgemei-
ne, ſondern nur auf ein gewißes Fach,
naͤmlich auf ſolche Linien und Zuͤg’, die die
ſchlimme Seite des Menſchengeſchlechts be-
zeichnen, gerichtet ſey; weil er hauptſaͤch-
lich nur Jnquiſiten und Diebsgeſichter vor
Augen hab’. Da konnt ihm denn die Jma-
gination leicht einen ihrer gewoͤhnlichen
Streich geſpielt, und ihm eine Aehnlichkeit
meines Profils mit einem Diebsgeſicht, das
auf ihn einen ſtarken Eindruck gemacht hatt’
vorgeſpiegelt haben. Er argwoͤhnt’ ich woll
ihn aufs Eis fuͤhren, beſchaut’ das Profil
durch den Dunſtkraiß des Vorurtheils, ſah
falſch, und verwechſelt dadurch ein Geſicht
mit dem andern.
Durch dieſe Betrachtung kuͤhlt’ ſich mein
Blut ein wenig ab. Doch wenn mir da-
bey wieder mein Theoremchen in den Kopf
kam, daß der Phyſiognomiſt gleichwohl
nichts anders ſieht, als was wirklich da iſt,
ob er gleich nach der Stimmung ſeiner Seel’
zuwei-
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