Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Phil. Weiß wohl was ich red'. Wenn's
dem Menschen an die Stirn geschrieben wär,
was er im Schilde führt, so wüßt ich einen,
ders besser verstund seinen Mann zu iudici-
ren, als ihr gestudirten Herrn miteinander.

Wer denn?

Phil. Der Zigeunerhauptmann, der
nach'm lezten Krieg Frankenland durchzog,
bey dem bin ich als Bub' gestanden, länger
als drey Jahr. Der konnt' gut Glück pro-
phezeyhn, traf auf 'n Haar zu; konnt' al-
les den Leuten aus den Augen lesen, wußt
was sie practizirt hatten; konnt' auf einen
Hausdieb mit den Fingern deuten, wenn er
im Kraiß stund, und das ohne viel Maul-
gesperr, braucht nicht erst viel Räsonnirens
und Meditirens dabey.

Nun da siehst du ia, daß die Kunst
Menschengesicht zu deuten mehr als eine
taube Nuß ist.

Phil. Ha! was wollt's! War eitel
Hokus Pokus.

Wie?

Phil. Er kundschaftet' erst die Leut
aus, braucht' mich oft zum Spion, darnach
hatt' er gut prophezeyhn, da mußt's halt
wohl zutreffen.

Mag

Phil. Weiß wohl was ich red’. Wenn’s
dem Menſchen an die Stirn geſchrieben waͤr,
was er im Schilde fuͤhrt, ſo wuͤßt ich einen,
ders beſſer verſtund ſeinen Mann zu iudici-
ren, als ihr geſtudirten Herrn miteinander.

Wer denn?

Phil. Der Zigeunerhauptmann, der
nach’m lezten Krieg Frankenland durchzog,
bey dem bin ich als Bub’ geſtanden, laͤnger
als drey Jahr. Der konnt’ gut Gluͤck pro-
phezeyhn, traf auf ’n Haar zu; konnt’ al-
les den Leuten aus den Augen leſen, wußt
was ſie practizirt hatten; konnt’ auf einen
Hausdieb mit den Fingern deuten, wenn er
im Kraiß ſtund, und das ohne viel Maul-
geſperr, braucht nicht erſt viel Raͤſonnirens
und Meditirens dabey.

Nun da ſiehſt du ia, daß die Kunſt
Menſchengeſicht zu deuten mehr als eine
taube Nuß iſt.

Phil. Ha! was wollt’s! War eitel
Hokus Pokus.

Wie?

Phil. Er kundſchaftet’ erſt die Leut
aus, braucht’ mich oft zum Spion, darnach
hatt’ er gut prophezeyhn, da mußt’s halt
wohl zutreffen.

Mag
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0037" n="31"/>
          <p><hi rendition="#fr">Phil.</hi> Weiß wohl was ich red&#x2019;. Wenn&#x2019;s<lb/>
dem Men&#x017F;chen an die Stirn ge&#x017F;chrieben wa&#x0364;r,<lb/>
was er im Schilde fu&#x0364;hrt, &#x017F;o wu&#x0364;ßt ich einen,<lb/>
ders be&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;tund &#x017F;einen Mann zu iudici-<lb/>
ren, als ihr ge&#x017F;tudirten Herrn miteinander.</p><lb/>
          <p>Wer denn?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Phil.</hi> Der Zigeunerhauptmann, der<lb/>
nach&#x2019;m lezten Krieg Frankenland durchzog,<lb/>
bey dem bin ich als Bub&#x2019; ge&#x017F;tanden, la&#x0364;nger<lb/>
als drey Jahr. Der konnt&#x2019; gut Glu&#x0364;ck pro-<lb/>
phezeyhn, traf auf &#x2019;n Haar zu; konnt&#x2019; al-<lb/>
les den Leuten aus den Augen le&#x017F;en, wußt<lb/>
was &#x017F;ie practizirt hatten; konnt&#x2019; auf einen<lb/>
Hausdieb mit den Fingern deuten, wenn er<lb/>
im Kraiß &#x017F;tund, und das ohne viel Maul-<lb/>
ge&#x017F;perr, braucht nicht er&#x017F;t viel Ra&#x0364;&#x017F;onnirens<lb/>
und Meditirens dabey.</p><lb/>
          <p>Nun da &#x017F;ieh&#x017F;t du ia, daß die Kun&#x017F;t<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;icht zu deuten mehr als eine<lb/>
taube Nuß i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Phil.</hi> Ha! was wollt&#x2019;s! War eitel<lb/>
Hokus Pokus.</p><lb/>
          <p>Wie?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Phil.</hi> Er kund&#x017F;chaftet&#x2019; er&#x017F;t die Leut<lb/>
aus, braucht&#x2019; mich oft zum Spion, darnach<lb/>
hatt&#x2019; er gut prophezeyhn, da mußt&#x2019;s halt<lb/>
wohl zutreffen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Mag</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0037] Phil. Weiß wohl was ich red’. Wenn’s dem Menſchen an die Stirn geſchrieben waͤr, was er im Schilde fuͤhrt, ſo wuͤßt ich einen, ders beſſer verſtund ſeinen Mann zu iudici- ren, als ihr geſtudirten Herrn miteinander. Wer denn? Phil. Der Zigeunerhauptmann, der nach’m lezten Krieg Frankenland durchzog, bey dem bin ich als Bub’ geſtanden, laͤnger als drey Jahr. Der konnt’ gut Gluͤck pro- phezeyhn, traf auf ’n Haar zu; konnt’ al- les den Leuten aus den Augen leſen, wußt was ſie practizirt hatten; konnt’ auf einen Hausdieb mit den Fingern deuten, wenn er im Kraiß ſtund, und das ohne viel Maul- geſperr, braucht nicht erſt viel Raͤſonnirens und Meditirens dabey. Nun da ſiehſt du ia, daß die Kunſt Menſchengeſicht zu deuten mehr als eine taube Nuß iſt. Phil. Ha! was wollt’s! War eitel Hokus Pokus. Wie? Phil. Er kundſchaftet’ erſt die Leut aus, braucht’ mich oft zum Spion, darnach hatt’ er gut prophezeyhn, da mußt’s halt wohl zutreffen. Mag

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/37
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/37>, abgerufen am 09.11.2024.