Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Muth, als einem debanquirten Spieler,
der Keinen findet, welcher einen Einsatz
bey ihm wagen will. Eigentlich hatte der
Sempronius mein ganz physiognomisch
Konzept verrückt; meine Grundsätz und Er-
fahrungen schwankten hin und her, wie die
Thürm' und Moscheen in Smyrna beym
großen Erdbeben, und drohten einen plötz-
lichen Einsturz und Verfall. Jch gedacht'
meine Erkenntniß an ihm zu schleifen; aber
der Stein war zu scharf und machte schar-
tig, hätte mir schier alle Ueberzeugung aus
dem Hirn heraus geschliffen, daß ich wie-
der in meinem Glauben so zweifelmüthig
war, als den Morgen, wo der Markus
meiner Theorie einen so tödlichen Streich
versezte. Drum beschloß ich in der Eil,
einen aufrichtigen Seelenbruder aufzusu-
chen, mit dem ich durch neue Prüfung
und Erforschung der Wahrheit, wieder
fest und stark würd im Vertrauen auf die

gute

Muth, als einem debanquirten Spieler,
der Keinen findet, welcher einen Einſatz
bey ihm wagen will. Eigentlich hatte der
Sempronius mein ganz phyſiognomiſch
Konzept verruͤckt; meine Grundſaͤtz und Er-
fahrungen ſchwankten hin und her, wie die
Thuͤrm’ und Moſcheen in Smyrna beym
großen Erdbeben, und drohten einen ploͤtz-
lichen Einſturz und Verfall. Jch gedacht’
meine Erkenntniß an ihm zu ſchleifen; aber
der Stein war zu ſcharf und machte ſchar-
tig, haͤtte mir ſchier alle Ueberzeugung aus
dem Hirn heraus geſchliffen, daß ich wie-
der in meinem Glauben ſo zweifelmuͤthig
war, als den Morgen, wo der Markus
meiner Theorie einen ſo toͤdlichen Streich
verſezte. Drum beſchloß ich in der Eil,
einen aufrichtigen Seelenbruder aufzuſu-
chen, mit dem ich durch neue Pruͤfung
und Erforſchung der Wahrheit, wieder
feſt und ſtark wuͤrd im Vertrauen auf die

gute
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="125"/>
Muth, als einem debanquirten Spieler,<lb/>
der Keinen findet, welcher einen Ein&#x017F;atz<lb/>
bey ihm wagen will. Eigentlich hatte der<lb/>
Sempronius mein ganz phy&#x017F;iognomi&#x017F;ch<lb/>
Konzept verru&#x0364;ckt; meine Grund&#x017F;a&#x0364;tz und Er-<lb/>
fahrungen &#x017F;chwankten hin und her, wie die<lb/>
Thu&#x0364;rm&#x2019; und Mo&#x017F;cheen in Smyrna beym<lb/>
großen Erdbeben, und drohten einen plo&#x0364;tz-<lb/>
lichen Ein&#x017F;turz und Verfall. Jch gedacht&#x2019;<lb/>
meine Erkenntniß an ihm zu &#x017F;chleifen; aber<lb/>
der Stein war zu &#x017F;charf und machte &#x017F;char-<lb/>
tig, ha&#x0364;tte mir &#x017F;chier alle Ueberzeugung aus<lb/>
dem Hirn heraus ge&#x017F;chliffen, daß ich wie-<lb/>
der in meinem Glauben &#x017F;o zweifelmu&#x0364;thig<lb/>
war, als den Morgen, wo der Markus<lb/>
meiner Theorie einen &#x017F;o to&#x0364;dlichen Streich<lb/>
ver&#x017F;ezte. Drum be&#x017F;chloß ich in der Eil,<lb/>
einen aufrichtigen Seelenbruder aufzu&#x017F;u-<lb/>
chen, mit dem ich durch neue Pru&#x0364;fung<lb/>
und Erfor&#x017F;chung der Wahrheit, wieder<lb/>
fe&#x017F;t und &#x017F;tark wu&#x0364;rd im Vertrauen auf die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gute</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0125] Muth, als einem debanquirten Spieler, der Keinen findet, welcher einen Einſatz bey ihm wagen will. Eigentlich hatte der Sempronius mein ganz phyſiognomiſch Konzept verruͤckt; meine Grundſaͤtz und Er- fahrungen ſchwankten hin und her, wie die Thuͤrm’ und Moſcheen in Smyrna beym großen Erdbeben, und drohten einen ploͤtz- lichen Einſturz und Verfall. Jch gedacht’ meine Erkenntniß an ihm zu ſchleifen; aber der Stein war zu ſcharf und machte ſchar- tig, haͤtte mir ſchier alle Ueberzeugung aus dem Hirn heraus geſchliffen, daß ich wie- der in meinem Glauben ſo zweifelmuͤthig war, als den Morgen, wo der Markus meiner Theorie einen ſo toͤdlichen Streich verſezte. Drum beſchloß ich in der Eil, einen aufrichtigen Seelenbruder aufzuſu- chen, mit dem ich durch neue Pruͤfung und Erforſchung der Wahrheit, wieder feſt und ſtark wuͤrd im Vertrauen auf die gute

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/125
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/125>, abgerufen am 04.12.2024.