nes verwirkten Properrestes machte. Das gutmüthige Geschöpf erkaufte meine Be- freiung doppelt: sie verlohr dadurch ihr Ka- pital und ihren Ehewerber zugleich. Nichts war natürlicher, und mehr in der Ordnung der Dinge, als daß der ehrwürdige Mann sein Wort zurück nahm: er schritt ad se- cunda vota, heirathete folglich nicht mit den Augen, sondern mit dem Verstande, und so war ein Mädchen das mit eben so wenig Draperie beladen war, wie die me- dizeische Venus, nicht seine Sache. Die Aufopferung dieser edelmüthigen Kreatur wirkte tiefer bey mir, als ich dachte: ich versank in eine Art von Schwermuth, die durch nichts als die heitere, immer sich glei- che Seele des lieben Mädchens, die michs nie durch einen trüben Blick entgelten ließ, daß ihr meine Erledigung so theuer zu stehen kam, zuweilen auf eine kurze Zeit gemindert wurde. Das väterliche Lehrsystem schien
jeden
nes verwirkten Properreſtes machte. Das gutmuͤthige Geſchoͤpf erkaufte meine Be- freiung doppelt: ſie verlohr dadurch ihr Ka- pital und ihren Ehewerber zugleich. Nichts war natuͤrlicher, und mehr in der Ordnung der Dinge, als daß der ehrwuͤrdige Mann ſein Wort zuruͤck nahm: er ſchritt ad ſe- cunda vota, heirathete folglich nicht mit den Augen, ſondern mit dem Verſtande, und ſo war ein Maͤdchen das mit eben ſo wenig Draperie beladen war, wie die me- dizeiſche Venus, nicht ſeine Sache. Die Aufopferung dieſer edelmuͤthigen Kreatur wirkte tiefer bey mir, als ich dachte: ich verſank in eine Art von Schwermuth, die durch nichts als die heitere, immer ſich glei- che Seele des lieben Maͤdchens, die michs nie durch einen truͤben Blick entgelten ließ, daß ihr meine Erledigung ſo theuer zu ſtehen kam, zuweilen auf eine kurze Zeit gemindert wurde. Das vaͤterliche Lehrſyſtem ſchien
jeden
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0036"n="36"/>
nes verwirkten Properreſtes machte. Das<lb/>
gutmuͤthige Geſchoͤpf erkaufte meine Be-<lb/>
freiung doppelt: ſie verlohr dadurch ihr Ka-<lb/>
pital und ihren Ehewerber zugleich. Nichts<lb/>
war natuͤrlicher, und mehr in der Ordnung<lb/>
der Dinge, als daß der ehrwuͤrdige Mann<lb/>ſein Wort zuruͤck nahm: er ſchritt <hirendition="#aq">ad ſe-<lb/>
cunda vota,</hi> heirathete folglich nicht mit<lb/>
den Augen, ſondern mit dem Verſtande,<lb/>
und ſo war ein Maͤdchen das mit eben ſo<lb/>
wenig Draperie beladen war, wie die me-<lb/>
dizeiſche Venus, nicht ſeine Sache. Die<lb/>
Aufopferung dieſer edelmuͤthigen Kreatur<lb/>
wirkte tiefer bey mir, als ich dachte: ich<lb/>
verſank in eine Art von Schwermuth, die<lb/>
durch nichts als die heitere, immer ſich glei-<lb/>
che Seele des lieben Maͤdchens, die michs<lb/>
nie durch einen truͤben Blick entgelten ließ,<lb/>
daß ihr meine Erledigung ſo theuer zu ſtehen<lb/>
kam, zuweilen auf eine kurze Zeit gemindert<lb/>
wurde. Das vaͤterliche Lehrſyſtem ſchien<lb/><fwplace="bottom"type="catch">jeden</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[36/0036]
nes verwirkten Properreſtes machte. Das
gutmuͤthige Geſchoͤpf erkaufte meine Be-
freiung doppelt: ſie verlohr dadurch ihr Ka-
pital und ihren Ehewerber zugleich. Nichts
war natuͤrlicher, und mehr in der Ordnung
der Dinge, als daß der ehrwuͤrdige Mann
ſein Wort zuruͤck nahm: er ſchritt ad ſe-
cunda vota, heirathete folglich nicht mit
den Augen, ſondern mit dem Verſtande,
und ſo war ein Maͤdchen das mit eben ſo
wenig Draperie beladen war, wie die me-
dizeiſche Venus, nicht ſeine Sache. Die
Aufopferung dieſer edelmuͤthigen Kreatur
wirkte tiefer bey mir, als ich dachte: ich
verſank in eine Art von Schwermuth, die
durch nichts als die heitere, immer ſich glei-
che Seele des lieben Maͤdchens, die michs
nie durch einen truͤben Blick entgelten ließ,
daß ihr meine Erledigung ſo theuer zu ſtehen
kam, zuweilen auf eine kurze Zeit gemindert
wurde. Das vaͤterliche Lehrſyſtem ſchien
jeden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/36>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.