Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

setzen beschloß. Und sogleich flogen vor
meiner Phantasie die angenehmen Bilder
herrlicher Schweitzer Gegenden vorüber, die
hochgethürmten Glätscher, die kalten Eiß-
thäler, die grünen Alpen dazwischen, der
unaufhaltsame Rheinfall, und noch viel
schweitzerische Seltenheiten mehr. Schon
begegneten mir auf meinem Wege gan-
ze Schaaren wohlgenährter, dickbewadeter
Milchmädchen, ich sah sie mit dem vol-
len Zuber auf dem Kopf, und mit sichern
Tritt wie die Gemsen, den steilen Felsen-
weg herabwallen, weidete mein Aug an dem
schmucken Schweizervieh, und in mein Ohr
ertönte hier im Lande der Freyheit das be-
rühmte Kuhlied ungestraft, welches in Gal-
lien, dem Lande der Sklaverey, bey Gas-
senlaufen verpönt ist zu pfeifen, weil es
Desertion und Heimweh befördert. Jn einem
zweiten Augenblick der Entzückung stand ich
vor des herzguten Lavater Hausthür, die mir

von

ſetzen beſchloß. Und ſogleich flogen vor
meiner Phantaſie die angenehmen Bilder
herrlicher Schweitzer Gegenden voruͤber, die
hochgethuͤrmten Glaͤtſcher, die kalten Eiß-
thaͤler, die gruͤnen Alpen dazwiſchen, der
unaufhaltſame Rheinfall, und noch viel
ſchweitzeriſche Seltenheiten mehr. Schon
begegneten mir auf meinem Wege gan-
ze Schaaren wohlgenaͤhrter, dickbewadeter
Milchmaͤdchen, ich ſah ſie mit dem vol-
len Zuber auf dem Kopf, und mit ſichern
Tritt wie die Gemſen, den ſteilen Felſen-
weg herabwallen, weidete mein Aug an dem
ſchmucken Schweizervieh, und in mein Ohr
ertoͤnte hier im Lande der Freyheit das be-
ruͤhmte Kuhlied ungeſtraft, welches in Gal-
lien, dem Lande der Sklaverey, bey Gaſ-
ſenlaufen verpoͤnt iſt zu pfeifen, weil es
Deſertion und Heimweh befoͤrdert. Jn einem
zweiten Augenblick der Entzuͤckung ſtand ich
vor des herzguten Lavater Hausthuͤr, die mir

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="100"/>
&#x017F;etzen be&#x017F;chloß. Und &#x017F;ogleich flogen vor<lb/>
meiner Phanta&#x017F;ie die angenehmen Bilder<lb/>
herrlicher Schweitzer Gegenden voru&#x0364;ber, die<lb/>
hochgethu&#x0364;rmten Gla&#x0364;t&#x017F;cher, die kalten Eiß-<lb/>
tha&#x0364;ler, die gru&#x0364;nen Alpen dazwi&#x017F;chen, der<lb/>
unaufhalt&#x017F;ame Rheinfall, und noch viel<lb/>
&#x017F;chweitzeri&#x017F;che Seltenheiten mehr. Schon<lb/>
begegneten mir auf meinem Wege gan-<lb/>
ze Schaaren wohlgena&#x0364;hrter, dickbewadeter<lb/>
Milchma&#x0364;dchen, ich &#x017F;ah &#x017F;ie mit dem vol-<lb/>
len Zuber auf dem Kopf, und mit &#x017F;ichern<lb/>
Tritt wie die Gem&#x017F;en, den &#x017F;teilen Fel&#x017F;en-<lb/>
weg herabwallen, weidete mein Aug an dem<lb/>
&#x017F;chmucken Schweizervieh, und in mein Ohr<lb/>
erto&#x0364;nte hier im Lande der Freyheit das be-<lb/>
ru&#x0364;hmte Kuhlied unge&#x017F;traft, welches in Gal-<lb/>
lien, dem Lande der Sklaverey, bey Ga&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enlaufen verpo&#x0364;nt i&#x017F;t zu pfeifen, weil es<lb/>
De&#x017F;ertion und Heimweh befo&#x0364;rdert. Jn einem<lb/>
zweiten Augenblick der Entzu&#x0364;ckung &#x017F;tand ich<lb/>
vor des herzguten Lavater Hausthu&#x0364;r, die mir<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0108] ſetzen beſchloß. Und ſogleich flogen vor meiner Phantaſie die angenehmen Bilder herrlicher Schweitzer Gegenden voruͤber, die hochgethuͤrmten Glaͤtſcher, die kalten Eiß- thaͤler, die gruͤnen Alpen dazwiſchen, der unaufhaltſame Rheinfall, und noch viel ſchweitzeriſche Seltenheiten mehr. Schon begegneten mir auf meinem Wege gan- ze Schaaren wohlgenaͤhrter, dickbewadeter Milchmaͤdchen, ich ſah ſie mit dem vol- len Zuber auf dem Kopf, und mit ſichern Tritt wie die Gemſen, den ſteilen Felſen- weg herabwallen, weidete mein Aug an dem ſchmucken Schweizervieh, und in mein Ohr ertoͤnte hier im Lande der Freyheit das be- ruͤhmte Kuhlied ungeſtraft, welches in Gal- lien, dem Lande der Sklaverey, bey Gaſ- ſenlaufen verpoͤnt iſt zu pfeifen, weil es Deſertion und Heimweh befoͤrdert. Jn einem zweiten Augenblick der Entzuͤckung ſtand ich vor des herzguten Lavater Hausthuͤr, die mir von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/108
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/108>, abgerufen am 22.12.2024.