Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Financiers die besten Köpfe der Nation sind,
nicht die, welche in der Kameralschul' zu
Lautern reifen, wie die Pysangfrüchte in ei-
nem einheimischen Treibhaus; sondern die
ohne durch die Kunst getrieben, ihre Talen-
te wirken lassen als Genies, auf denen Col-
berts Geist ruhet; die sich, wie das Corps
de genie
des Holofernes, darauf verste-
hen, den Bürgern zu Bethulia das Wasser
abzugraben, und es gleichsam durch eine
geheime Röhrenfarth in die Cistern ihres
Herrn zu leiten, daß dieser seinen Durst lö-
schen, oder sich gar darinn baden kan, wie
er will. Sieht Er, Freund, so machen's
die Camerales, wissen die kleinen Bächlein
der Einnahme durch fleißiges Forschen und
Nachgraben immer zu mehren, schreien da-
bey über dürre trockne Witterung, und kla-
gen, wenn Jemand aus ihrem Brünnlein
schöpfen will, alle Quellen seyn versiegt;
aber dasselbe hat Wasser die Fülle, nur

nicht

Financiers die beſten Koͤpfe der Nation ſind,
nicht die, welche in der Kameralſchul’ zu
Lautern reifen, wie die Pyſangfruͤchte in ei-
nem einheimiſchen Treibhaus; ſondern die
ohne durch die Kunſt getrieben, ihre Talen-
te wirken laſſen als Genies, auf denen Col-
berts Geiſt ruhet; die ſich, wie das Corps
de genie
des Holofernes, darauf verſte-
hen, den Buͤrgern zu Bethulia das Waſſer
abzugraben, und es gleichſam durch eine
geheime Roͤhrenfarth in die Ciſtern ihres
Herrn zu leiten, daß dieſer ſeinen Durſt loͤ-
ſchen, oder ſich gar darinn baden kan, wie
er will. Sieht Er, Freund, ſo machen’s
die Camerales, wiſſen die kleinen Baͤchlein
der Einnahme durch fleißiges Forſchen und
Nachgraben immer zu mehren, ſchreien da-
bey uͤber duͤrre trockne Witterung, und kla-
gen, wenn Jemand aus ihrem Bruͤnnlein
ſchoͤpfen will, alle Quellen ſeyn verſiegt;
aber daſſelbe hat Waſſer die Fuͤlle, nur

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="109"/>
Financiers die be&#x017F;ten Ko&#x0364;pfe der Nation &#x017F;ind,<lb/>
nicht die, welche in der Kameral&#x017F;chul&#x2019; zu<lb/>
Lautern reifen, wie die Py&#x017F;angfru&#x0364;chte in ei-<lb/>
nem einheimi&#x017F;chen Treibhaus; &#x017F;ondern die<lb/>
ohne durch die Kun&#x017F;t getrieben, ihre Talen-<lb/>
te wirken la&#x017F;&#x017F;en als Genies, auf denen Col-<lb/>
berts Gei&#x017F;t ruhet; die &#x017F;ich, wie das <hi rendition="#aq">Corps<lb/>
de genie</hi> des Holofernes, darauf ver&#x017F;te-<lb/>
hen, den Bu&#x0364;rgern zu Bethulia das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
abzugraben, und es gleich&#x017F;am durch eine<lb/>
geheime Ro&#x0364;hrenfarth in die Ci&#x017F;tern ihres<lb/>
Herrn zu leiten, daß die&#x017F;er &#x017F;einen Dur&#x017F;t lo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;chen, oder &#x017F;ich gar darinn baden kan, wie<lb/>
er will. Sieht Er, Freund, &#x017F;o machen&#x2019;s<lb/>
die Camerales, wi&#x017F;&#x017F;en die kleinen Ba&#x0364;chlein<lb/>
der Einnahme durch fleißiges For&#x017F;chen und<lb/>
Nachgraben immer zu mehren, &#x017F;chreien da-<lb/>
bey u&#x0364;ber du&#x0364;rre trockne Witterung, und kla-<lb/>
gen, wenn Jemand aus ihrem Bru&#x0364;nnlein<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfen will, alle Quellen &#x017F;eyn ver&#x017F;iegt;<lb/>
aber da&#x017F;&#x017F;elbe hat Wa&#x017F;&#x017F;er die Fu&#x0364;lle, nur<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0117] Financiers die beſten Koͤpfe der Nation ſind, nicht die, welche in der Kameralſchul’ zu Lautern reifen, wie die Pyſangfruͤchte in ei- nem einheimiſchen Treibhaus; ſondern die ohne durch die Kunſt getrieben, ihre Talen- te wirken laſſen als Genies, auf denen Col- berts Geiſt ruhet; die ſich, wie das Corps de genie des Holofernes, darauf verſte- hen, den Buͤrgern zu Bethulia das Waſſer abzugraben, und es gleichſam durch eine geheime Roͤhrenfarth in die Ciſtern ihres Herrn zu leiten, daß dieſer ſeinen Durſt loͤ- ſchen, oder ſich gar darinn baden kan, wie er will. Sieht Er, Freund, ſo machen’s die Camerales, wiſſen die kleinen Baͤchlein der Einnahme durch fleißiges Forſchen und Nachgraben immer zu mehren, ſchreien da- bey uͤber duͤrre trockne Witterung, und kla- gen, wenn Jemand aus ihrem Bruͤnnlein ſchoͤpfen will, alle Quellen ſeyn verſiegt; aber daſſelbe hat Waſſer die Fuͤlle, nur nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/117
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/117>, abgerufen am 22.12.2024.