die ich unter der Aufschrift der letzten Stun- den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und hier das notabelste davon, als mein eigner Epitomator beyfügen will.
Als das Brautpaar geschmückt war, und im Gesellschaftszimmer nebst den Jn- quilinen die eingeladenen fremden Gäst' er- wartete, trat die Mutter herein, thät ihre Schätze auf, und verehrt' der Braut ihren sämtlichen Hausschmuck, den sie ingeheim hatt' umfassen und vermodernisiren lassen. Diese unerwartete Freygebigkeit, die im Grunde eine Aufopferung war, mit der besten Art geleistet, und ganz ausser der stiefmütterlichen Sphäre, rührte den gut- müthigen Ehekonsorten dergestalt, daß ihm die Augen übergingen, wiewohl ich nach der Ge- stalt seiner knöchernen Richterhand zu urthei- len, die Gabe Thränen zu vergießen nicht bey ihm vermuthete. Er umhalste seine theure Hälfte so inbrünstig, als es bey der ge-
gen-
die ich unter der Aufſchrift der letzten Stun- den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und hier das notabelſte davon, als mein eigner Epitomator beyfuͤgen will.
Als das Brautpaar geſchmuͤckt war, und im Geſellſchaftszimmer nebſt den Jn- quilinen die eingeladenen fremden Gaͤſt’ er- wartete, trat die Mutter herein, thaͤt ihre Schaͤtze auf, und verehrt’ der Braut ihren ſaͤmtlichen Hausſchmuck, den ſie ingeheim hatt’ umfaſſen und vermoderniſiren laſſen. Dieſe unerwartete Freygebigkeit, die im Grunde eine Aufopferung war, mit der beſten Art geleiſtet, und ganz auſſer der ſtiefmuͤtterlichen Sphaͤre, ruͤhrte den gut- muͤthigen Ehekonſorten dergeſtalt, daß ihm die Augen uͤbergingen, wiewohl ich nach der Ge- ſtalt ſeiner knoͤchernen Richterhand zu urthei- len, die Gabe Thraͤnen zu vergießen nicht bey ihm vermuthete. Er umhalſte ſeine theure Haͤlfte ſo inbruͤnſtig, als es bey der ge-
gen-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0244"n="236"/>
die ich unter der Aufſchrift der letzten Stun-<lb/>
den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und<lb/>
hier das notabelſte davon, als mein eigner<lb/>
Epitomator beyfuͤgen will.</p><lb/><p>Als das Brautpaar geſchmuͤckt war,<lb/>
und im Geſellſchaftszimmer nebſt den Jn-<lb/>
quilinen die eingeladenen fremden Gaͤſt’ er-<lb/>
wartete, trat die Mutter herein, thaͤt ihre<lb/>
Schaͤtze auf, und verehrt’ der Braut ihren<lb/>ſaͤmtlichen Hausſchmuck, den ſie ingeheim<lb/>
hatt’ umfaſſen und vermoderniſiren laſſen.<lb/>
Dieſe unerwartete Freygebigkeit, die im<lb/>
Grunde eine Aufopferung war, mit der<lb/>
beſten Art geleiſtet, und ganz auſſer der<lb/>ſtiefmuͤtterlichen Sphaͤre, ruͤhrte den gut-<lb/>
muͤthigen Ehekonſorten dergeſtalt, daß ihm die<lb/>
Augen uͤbergingen, wiewohl ich nach der Ge-<lb/>ſtalt ſeiner knoͤchernen Richterhand zu urthei-<lb/>
len, die Gabe Thraͤnen zu vergießen nicht bey<lb/>
ihm vermuthete. Er umhalſte ſeine theure<lb/>
Haͤlfte ſo inbruͤnſtig, als es bey der ge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gen-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[236/0244]
die ich unter der Aufſchrift der letzten Stun-
den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und
hier das notabelſte davon, als mein eigner
Epitomator beyfuͤgen will.
Als das Brautpaar geſchmuͤckt war,
und im Geſellſchaftszimmer nebſt den Jn-
quilinen die eingeladenen fremden Gaͤſt’ er-
wartete, trat die Mutter herein, thaͤt ihre
Schaͤtze auf, und verehrt’ der Braut ihren
ſaͤmtlichen Hausſchmuck, den ſie ingeheim
hatt’ umfaſſen und vermoderniſiren laſſen.
Dieſe unerwartete Freygebigkeit, die im
Grunde eine Aufopferung war, mit der
beſten Art geleiſtet, und ganz auſſer der
ſtiefmuͤtterlichen Sphaͤre, ruͤhrte den gut-
muͤthigen Ehekonſorten dergeſtalt, daß ihm die
Augen uͤbergingen, wiewohl ich nach der Ge-
ſtalt ſeiner knoͤchernen Richterhand zu urthei-
len, die Gabe Thraͤnen zu vergießen nicht bey
ihm vermuthete. Er umhalſte ſeine theure
Haͤlfte ſo inbruͤnſtig, als es bey der ge-
gen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/244>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.