Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

die ich unter der Aufschrift der letzten Stun-
den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und
hier das notabelste davon, als mein eigner
Epitomator beyfügen will.

Als das Brautpaar geschmückt war,
und im Gesellschaftszimmer nebst den Jn-
quilinen die eingeladenen fremden Gäst' er-
wartete, trat die Mutter herein, thät ihre
Schätze auf, und verehrt' der Braut ihren
sämtlichen Hausschmuck, den sie ingeheim
hatt' umfassen und vermodernisiren lassen.
Diese unerwartete Freygebigkeit, die im
Grunde eine Aufopferung war, mit der
besten Art geleistet, und ganz ausser der
stiefmütterlichen Sphäre, rührte den gut-
müthigen Ehekonsorten dergestalt, daß ihm die
Augen übergingen, wiewohl ich nach der Ge-
stalt seiner knöchernen Richterhand zu urthei-
len, die Gabe Thränen zu vergießen nicht bey
ihm vermuthete. Er umhalste seine theure
Hälfte so inbrünstig, als es bey der ge-

gen-

die ich unter der Aufſchrift der letzten Stun-
den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und
hier das notabelſte davon, als mein eigner
Epitomator beyfuͤgen will.

Als das Brautpaar geſchmuͤckt war,
und im Geſellſchaftszimmer nebſt den Jn-
quilinen die eingeladenen fremden Gaͤſt’ er-
wartete, trat die Mutter herein, thaͤt ihre
Schaͤtze auf, und verehrt’ der Braut ihren
ſaͤmtlichen Hausſchmuck, den ſie ingeheim
hatt’ umfaſſen und vermoderniſiren laſſen.
Dieſe unerwartete Freygebigkeit, die im
Grunde eine Aufopferung war, mit der
beſten Art geleiſtet, und ganz auſſer der
ſtiefmuͤtterlichen Sphaͤre, ruͤhrte den gut-
muͤthigen Ehekonſorten dergeſtalt, daß ihm die
Augen uͤbergingen, wiewohl ich nach der Ge-
ſtalt ſeiner knoͤchernen Richterhand zu urthei-
len, die Gabe Thraͤnen zu vergießen nicht bey
ihm vermuthete. Er umhalſte ſeine theure
Haͤlfte ſo inbruͤnſtig, als es bey der ge-

gen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0244" n="236"/>
die ich unter der Auf&#x017F;chrift der letzten Stun-<lb/>
den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und<lb/>
hier das notabel&#x017F;te davon, als mein eigner<lb/>
Epitomator beyfu&#x0364;gen will.</p><lb/>
        <p>Als das Brautpaar ge&#x017F;chmu&#x0364;ckt war,<lb/>
und im Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftszimmer neb&#x017F;t den Jn-<lb/>
quilinen die eingeladenen fremden Ga&#x0364;&#x017F;t&#x2019; er-<lb/>
wartete, trat die Mutter herein, tha&#x0364;t ihre<lb/>
Scha&#x0364;tze auf, und verehrt&#x2019; der Braut ihren<lb/>
&#x017F;a&#x0364;mtlichen Haus&#x017F;chmuck, den &#x017F;ie ingeheim<lb/>
hatt&#x2019; umfa&#x017F;&#x017F;en und vermoderni&#x017F;iren la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die&#x017F;e unerwartete Freygebigkeit, die im<lb/>
Grunde eine Aufopferung war, mit der<lb/>
be&#x017F;ten Art gelei&#x017F;tet, und ganz au&#x017F;&#x017F;er der<lb/>
&#x017F;tiefmu&#x0364;tterlichen Spha&#x0364;re, ru&#x0364;hrte den gut-<lb/>
mu&#x0364;thigen Ehekon&#x017F;orten derge&#x017F;talt, daß ihm die<lb/>
Augen u&#x0364;bergingen, wiewohl ich nach der Ge-<lb/>
&#x017F;talt &#x017F;einer kno&#x0364;chernen Richterhand zu urthei-<lb/>
len, die Gabe Thra&#x0364;nen zu vergießen nicht bey<lb/>
ihm vermuthete. Er umhal&#x017F;te &#x017F;eine theure<lb/>
Ha&#x0364;lfte &#x017F;o inbru&#x0364;n&#x017F;tig, als es bey der ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0244] die ich unter der Aufſchrift der letzten Stun- den in Geroldsheim aufgezeichnet hab, und hier das notabelſte davon, als mein eigner Epitomator beyfuͤgen will. Als das Brautpaar geſchmuͤckt war, und im Geſellſchaftszimmer nebſt den Jn- quilinen die eingeladenen fremden Gaͤſt’ er- wartete, trat die Mutter herein, thaͤt ihre Schaͤtze auf, und verehrt’ der Braut ihren ſaͤmtlichen Hausſchmuck, den ſie ingeheim hatt’ umfaſſen und vermoderniſiren laſſen. Dieſe unerwartete Freygebigkeit, die im Grunde eine Aufopferung war, mit der beſten Art geleiſtet, und ganz auſſer der ſtiefmuͤtterlichen Sphaͤre, ruͤhrte den gut- muͤthigen Ehekonſorten dergeſtalt, daß ihm die Augen uͤbergingen, wiewohl ich nach der Ge- ſtalt ſeiner knoͤchernen Richterhand zu urthei- len, die Gabe Thraͤnen zu vergießen nicht bey ihm vermuthete. Er umhalſte ſeine theure Haͤlfte ſo inbruͤnſtig, als es bey der ge- gen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/244
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/244>, abgerufen am 22.12.2024.