Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

züchtigen Gebehrden vor mir vorüber, war
Vorhabens die Bahn der Tugend zu wan-
deln. Jch beobachtete jeden ihrer Schritte,
das harte Steinpflaster brannte bald an die
zarten Füßgen, sie suchte sich einen beque-
mern Weg, ruhete in der Herberge des
Vergnügens, lustwandelte auf der Prome-
nade der Eitelkeit, schiffte in dem Nachen
des Leichtsinns, landete am Gestade der
Koketterie, und blieb endlich mit ihrem
hochhackigem Schuh im Moorgefilde der
Buhlerey bestecken, wie die unglückliche
Sophie und die Frau Sempronia. Hatten
beyde nichts weiter verschuldet, als daß sie
sich auf ihrem Wege zu weit linker Hand
gehalten. Darum will Noth thun, daß
ieder Wanderer, wes Standes, Geschlechts
und Würden er sey, auf der Bahn des Le-
bens sich nach dem hölzernen Wegweiser
guter Lehr und Vermahnung zuweilen um-
schaue; oder sich von dem kundigen Gefehr-

ten
R

zuͤchtigen Gebehrden vor mir voruͤber, war
Vorhabens die Bahn der Tugend zu wan-
deln. Jch beobachtete jeden ihrer Schritte,
das harte Steinpflaſter brannte bald an die
zarten Fuͤßgen, ſie ſuchte ſich einen beque-
mern Weg, ruhete in der Herberge des
Vergnuͤgens, luſtwandelte auf der Prome-
nade der Eitelkeit, ſchiffte in dem Nachen
des Leichtſinns, landete am Geſtade der
Koketterie, und blieb endlich mit ihrem
hochhackigem Schuh im Moorgefilde der
Buhlerey beſtecken, wie die ungluͤckliche
Sophie und die Frau Sempronia. Hatten
beyde nichts weiter verſchuldet, als daß ſie
ſich auf ihrem Wege zu weit linker Hand
gehalten. Darum will Noth thun, daß
ieder Wanderer, wes Standes, Geſchlechts
und Wuͤrden er ſey, auf der Bahn des Le-
bens ſich nach dem hoͤlzernen Wegweiſer
guter Lehr und Vermahnung zuweilen um-
ſchaue; oder ſich von dem kundigen Gefehr-

ten
R
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="257"/>
zu&#x0364;chtigen Gebehrden vor mir voru&#x0364;ber, war<lb/>
Vorhabens die Bahn der Tugend zu wan-<lb/>
deln. Jch beobachtete jeden ihrer Schritte,<lb/>
das harte Steinpfla&#x017F;ter brannte bald an die<lb/>
zarten Fu&#x0364;ßgen, &#x017F;ie &#x017F;uchte &#x017F;ich einen beque-<lb/>
mern Weg, ruhete in der Herberge des<lb/>
Vergnu&#x0364;gens, lu&#x017F;twandelte auf der Prome-<lb/>
nade der Eitelkeit, &#x017F;chiffte in dem Nachen<lb/>
des Leicht&#x017F;inns, landete am Ge&#x017F;tade der<lb/>
Koketterie, und blieb endlich mit ihrem<lb/>
hochhackigem Schuh im Moorgefilde der<lb/>
Buhlerey be&#x017F;tecken, wie die unglu&#x0364;ckliche<lb/>
Sophie und die Frau Sempronia. Hatten<lb/>
beyde nichts weiter ver&#x017F;chuldet, als daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich auf ihrem Wege zu weit linker Hand<lb/>
gehalten. Darum will Noth thun, daß<lb/>
ieder Wanderer, wes Standes, Ge&#x017F;chlechts<lb/>
und Wu&#x0364;rden er &#x017F;ey, auf der Bahn des Le-<lb/>
bens &#x017F;ich nach dem ho&#x0364;lzernen Wegwei&#x017F;er<lb/>
guter Lehr und Vermahnung zuweilen um-<lb/>
&#x017F;chaue; oder &#x017F;ich von dem kundigen Gefehr-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R</fw><fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0265] zuͤchtigen Gebehrden vor mir voruͤber, war Vorhabens die Bahn der Tugend zu wan- deln. Jch beobachtete jeden ihrer Schritte, das harte Steinpflaſter brannte bald an die zarten Fuͤßgen, ſie ſuchte ſich einen beque- mern Weg, ruhete in der Herberge des Vergnuͤgens, luſtwandelte auf der Prome- nade der Eitelkeit, ſchiffte in dem Nachen des Leichtſinns, landete am Geſtade der Koketterie, und blieb endlich mit ihrem hochhackigem Schuh im Moorgefilde der Buhlerey beſtecken, wie die ungluͤckliche Sophie und die Frau Sempronia. Hatten beyde nichts weiter verſchuldet, als daß ſie ſich auf ihrem Wege zu weit linker Hand gehalten. Darum will Noth thun, daß ieder Wanderer, wes Standes, Geſchlechts und Wuͤrden er ſey, auf der Bahn des Le- bens ſich nach dem hoͤlzernen Wegweiſer guter Lehr und Vermahnung zuweilen um- ſchaue; oder ſich von dem kundigen Gefehr- ten R

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/265
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/265>, abgerufen am 22.12.2024.