Blicken von allen Seiten heftig zugesezt, darob sich Einige nicht wenig entfärbten, wiewohl im strengen Verstande Keiner Far- be hatte: denn von häufigen Wassertrinken und wenig solider Nahrung, hatten sie ins- gesamt ein kakochymisches Ansehen. An- dere hattens ihren Spott, das waren die Ausgelernten, achteten keines Beschauens, machten allerley seltsame Grimassen und haschten zum Zeitvertreib, während des stummen Verhörs Stechfliegen vom Gelän- der der Gerichtsschranken. Der Chirurgus, welcher wie ich bald vermerkte ein Partialist und kein Universalist in der Kunst war, be- schäftigte sich Haar, Bart und Gebiß der Jnquisiten zu beschauen, und aus diesen Indiciis ihre Malefikantenschaft zu ermessen. Als ich ihn nach geendigter Session frug, wie er auf das physiognomische Zahnstudium gekommen sey, gab er zur Antwort: Er habe iederzeit geglaubt, die Cognition über
Haar
Blicken von allen Seiten heftig zugeſezt, darob ſich Einige nicht wenig entfaͤrbten, wiewohl im ſtrengen Verſtande Keiner Far- be hatte: denn von haͤufigen Waſſertrinken und wenig ſolider Nahrung, hatten ſie ins- geſamt ein kakochymiſches Anſehen. An- dere hattens ihren Spott, das waren die Ausgelernten, achteten keines Beſchauens, machten allerley ſeltſame Grimaſſen und haſchten zum Zeitvertreib, waͤhrend des ſtummen Verhoͤrs Stechfliegen vom Gelaͤn- der der Gerichtsſchranken. Der Chirurgus, welcher wie ich bald vermerkte ein Partialiſt und kein Univerſaliſt in der Kunſt war, be- ſchaͤftigte ſich Haar, Bart und Gebiß der Jnquiſiten zu beſchauen, und aus dieſen Indiciis ihre Malefikantenſchaft zu ermeſſen. Als ich ihn nach geendigter Seſſion frug, wie er auf das phyſiognomiſche Zahnſtudium gekommen ſey, gab er zur Antwort: Er habe iederzeit geglaubt, die Cognition uͤber
Haar
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0039"n="31"/>
Blicken von allen Seiten heftig zugeſezt,<lb/>
darob ſich Einige nicht wenig entfaͤrbten,<lb/>
wiewohl im ſtrengen Verſtande Keiner Far-<lb/>
be hatte: denn von haͤufigen Waſſertrinken<lb/>
und wenig ſolider Nahrung, hatten ſie ins-<lb/>
geſamt ein kakochymiſches Anſehen. An-<lb/>
dere hattens ihren Spott, das waren die<lb/>
Ausgelernten, achteten keines Beſchauens,<lb/>
machten allerley ſeltſame Grimaſſen und<lb/>
haſchten zum Zeitvertreib, waͤhrend des<lb/>ſtummen Verhoͤrs Stechfliegen vom Gelaͤn-<lb/>
der der Gerichtsſchranken. Der Chirurgus,<lb/>
welcher wie ich bald vermerkte ein Partialiſt<lb/>
und kein Univerſaliſt in der Kunſt war, be-<lb/>ſchaͤftigte ſich Haar, Bart und Gebiß der<lb/>
Jnquiſiten zu beſchauen, und aus dieſen<lb/><hirendition="#aq">Indiciis</hi> ihre Malefikantenſchaft zu ermeſſen.<lb/>
Als ich ihn nach geendigter Seſſion frug,<lb/>
wie er auf das phyſiognomiſche Zahnſtudium<lb/>
gekommen ſey, gab er zur Antwort: Er<lb/>
habe iederzeit geglaubt, die Cognition uͤber<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Haar</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[31/0039]
Blicken von allen Seiten heftig zugeſezt,
darob ſich Einige nicht wenig entfaͤrbten,
wiewohl im ſtrengen Verſtande Keiner Far-
be hatte: denn von haͤufigen Waſſertrinken
und wenig ſolider Nahrung, hatten ſie ins-
geſamt ein kakochymiſches Anſehen. An-
dere hattens ihren Spott, das waren die
Ausgelernten, achteten keines Beſchauens,
machten allerley ſeltſame Grimaſſen und
haſchten zum Zeitvertreib, waͤhrend des
ſtummen Verhoͤrs Stechfliegen vom Gelaͤn-
der der Gerichtsſchranken. Der Chirurgus,
welcher wie ich bald vermerkte ein Partialiſt
und kein Univerſaliſt in der Kunſt war, be-
ſchaͤftigte ſich Haar, Bart und Gebiß der
Jnquiſiten zu beſchauen, und aus dieſen
Indiciis ihre Malefikantenſchaft zu ermeſſen.
Als ich ihn nach geendigter Seſſion frug,
wie er auf das phyſiognomiſche Zahnſtudium
gekommen ſey, gab er zur Antwort: Er
habe iederzeit geglaubt, die Cognition uͤber
Haar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/39>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.