Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie sich nicht zu sehr über eine zerfallne
Kürbißhütte, in deren Schatten Sie trium-
phirend die Zuverläßigkeit ihres physiogno-
mischen Ausspruchs erwarteten. Was vor
Zeiten dem alten Seher ein paar Feldweges
hinter Ninive begegnet ist, das hat sich
auch mit Jhnen begeben. Verzeihen Sie
meine Offenherzigkeit, Sie befinden sich,
dünkt mich, in dem nämlichen Fall: ihm
war so wenig mit dem Untergang der Kö-
nigsstadt gedient, als Jhnen mit ein paar
Malefikanten Schädeln; aber Sie jagten
Beyde nach Ehr und Ruhm und kützelten
sich vorläufig damit unter dem Kürbißschat-
ten, was das für Aufsehen machen würde
wenn der Erfolg Jhren Urtheilsspruch be-
stätigte; aber da welkte der Kürbiß hin.
Das darf Sie nicht Wunder nehmen: mit
den idealischen Kürbißhütten die wir uns
bauen, gehts ordinär so, und dann sticht
uns freilich der heisse Mittagsstrahl des

Ver-

Sie ſich nicht zu ſehr uͤber eine zerfallne
Kuͤrbißhuͤtte, in deren Schatten Sie trium-
phirend die Zuverlaͤßigkeit ihres phyſiogno-
miſchen Ausſpruchs erwarteten. Was vor
Zeiten dem alten Seher ein paar Feldweges
hinter Ninive begegnet iſt, das hat ſich
auch mit Jhnen begeben. Verzeihen Sie
meine Offenherzigkeit, Sie befinden ſich,
duͤnkt mich, in dem naͤmlichen Fall: ihm
war ſo wenig mit dem Untergang der Koͤ-
nigsſtadt gedient, als Jhnen mit ein paar
Malefikanten Schaͤdeln; aber Sie jagten
Beyde nach Ehr und Ruhm und kuͤtzelten
ſich vorlaͤufig damit unter dem Kuͤrbißſchat-
ten, was das fuͤr Aufſehen machen wuͤrde
wenn der Erfolg Jhren Urtheilsſpruch be-
ſtaͤtigte; aber da welkte der Kuͤrbiß hin.
Das darf Sie nicht Wunder nehmen: mit
den idealiſchen Kuͤrbißhuͤtten die wir uns
bauen, gehts ordinaͤr ſo, und dann ſticht
uns freilich der heiſſe Mittagsſtrahl des

Ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099" n="91"/>
Sie &#x017F;ich nicht zu &#x017F;ehr u&#x0364;ber eine zerfallne<lb/>
Ku&#x0364;rbißhu&#x0364;tte, in deren Schatten Sie trium-<lb/>
phirend die Zuverla&#x0364;ßigkeit ihres phy&#x017F;iogno-<lb/>
mi&#x017F;chen Aus&#x017F;pruchs erwarteten. Was vor<lb/>
Zeiten dem alten Seher ein paar Feldweges<lb/>
hinter Ninive begegnet i&#x017F;t, das hat &#x017F;ich<lb/>
auch mit Jhnen begeben. Verzeihen Sie<lb/>
meine Offenherzigkeit, Sie befinden &#x017F;ich,<lb/>
du&#x0364;nkt mich, in dem na&#x0364;mlichen Fall: ihm<lb/>
war &#x017F;o wenig mit dem Untergang der Ko&#x0364;-<lb/>
nigs&#x017F;tadt gedient, als Jhnen mit ein paar<lb/>
Malefikanten Scha&#x0364;deln; aber Sie jagten<lb/>
Beyde nach Ehr und Ruhm und ku&#x0364;tzelten<lb/>
&#x017F;ich vorla&#x0364;ufig damit unter dem Ku&#x0364;rbiß&#x017F;chat-<lb/>
ten, was das fu&#x0364;r Auf&#x017F;ehen machen wu&#x0364;rde<lb/>
wenn der Erfolg Jhren Urtheils&#x017F;pruch be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tigte; aber da welkte der Ku&#x0364;rbiß hin.<lb/>
Das darf Sie nicht Wunder nehmen: mit<lb/>
den ideali&#x017F;chen Ku&#x0364;rbißhu&#x0364;tten die wir uns<lb/>
bauen, gehts ordina&#x0364;r &#x017F;o, und dann &#x017F;ticht<lb/>
uns freilich der hei&#x017F;&#x017F;e Mittags&#x017F;trahl des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0099] Sie ſich nicht zu ſehr uͤber eine zerfallne Kuͤrbißhuͤtte, in deren Schatten Sie trium- phirend die Zuverlaͤßigkeit ihres phyſiogno- miſchen Ausſpruchs erwarteten. Was vor Zeiten dem alten Seher ein paar Feldweges hinter Ninive begegnet iſt, das hat ſich auch mit Jhnen begeben. Verzeihen Sie meine Offenherzigkeit, Sie befinden ſich, duͤnkt mich, in dem naͤmlichen Fall: ihm war ſo wenig mit dem Untergang der Koͤ- nigsſtadt gedient, als Jhnen mit ein paar Malefikanten Schaͤdeln; aber Sie jagten Beyde nach Ehr und Ruhm und kuͤtzelten ſich vorlaͤufig damit unter dem Kuͤrbißſchat- ten, was das fuͤr Aufſehen machen wuͤrde wenn der Erfolg Jhren Urtheilsſpruch be- ſtaͤtigte; aber da welkte der Kuͤrbiß hin. Das darf Sie nicht Wunder nehmen: mit den idealiſchen Kuͤrbißhuͤtten die wir uns bauen, gehts ordinaͤr ſo, und dann ſticht uns freilich der heiſſe Mittagsſtrahl des Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/99
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/99>, abgerufen am 23.05.2024.