Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.O, mein allerliebster Jesu, Schau mich armes Waislein an, Du bist ja mein liebster Vater, Sonst mir Niemand helfen kann. Weil mein' Eltern sein gestorben, Leben nicht auf dieser Welt, So hab ich Dich, liebster Jesu, Für mein'n Vater auserwählt. Fritz lugte durch die Weinblätter hindurch und O, mein allerliebſter Jeſu, Schau mich armes Waislein an, Du biſt ja mein liebſter Vater, Sonſt mir Niemand helfen kann. Weil mein' Eltern ſein geſtorben, Leben nicht auf dieſer Welt, So hab ich Dich, liebſter Jeſu, Für mein'n Vater auserwählt. Fritz lugte durch die Weinblätter hindurch und <TEI> <text> <body> <lg type="poem"> <pb facs="#f0030" n="24"/> <lg n="2"> <l>O, mein allerliebſter Jeſu,</l><lb/> <l>Schau mich armes Waislein an,</l><lb/> <l>Du biſt ja mein liebſter Vater,</l><lb/> <l>Sonſt mir Niemand helfen kann.</l><lb/> <l>Weil mein' Eltern ſein geſtorben,</l><lb/> <l>Leben nicht auf dieſer Welt,</l><lb/> <l>So hab ich Dich, liebſter Jeſu,</l><lb/> <l>Für mein'n Vater auserwählt.</l><lb/> </lg> </lg> <p>Fritz lugte durch die Weinblätter hindurch und<lb/> ſah drüben auf dem alten ſchrägen Birnbaum Gretchen<lb/> ſitzen. Es war ihm, als ob er nur geträumt hätte<lb/> von Wandern und Fortſein, als ob er wieder acht¬<lb/> zehn Jahr, und Gretchen ein Kind ſei. Damals war<lb/> der alte Birnbaum den lieben Sommer über faſt Ihr<lb/> alleiniger Wohnſitz. Des Nachmittags ging ſie mit<lb/> dem Strickzeug hinauf, und jedesmal wenn ſie eine<lb/> Tour herum geſtrickt, rief ſie es dem alten Benjamin<lb/> zu. Benjamin aber war ein Flickſchuſter, der ſchon<lb/> faſt dreißig Jahr bei Buchſteins im Hinterhäuschen<lb/> über der Werkſtatt wohnte. Er war der Kinderfreund<lb/> der Nachbarſchaft, und Gretchen war ſein beſonderer<lb/> Liebling. Für ſie war ihm keine Mühe zu groß, und<lb/> jedesmal, wenn ſie ihm die Tour zurief, machte er<lb/> einen Kreideſtrich auf eine ſchwarze Tafel, und immer<lb/> zählte er, wie viel noch fehlten an der Zahl; und wenn<lb/> es ſo weit war, rief er: nun Gretchen mach Schicht!<lb/> Gretchen wand ſich dann an einem Bindfaden ein<lb/> Körbchen mit dem Vesperbrod in die Höhe und meinte,<lb/> da oben ſtricke und eſſe es ſich beſſer. Benjamin<lb/> legte auch den Pfriemen für ein Weilchen aus der<lb/> Hand, ſchaute zum Fenſter hinaus, ſein Staarmatz<lb/> ſchnarrte „Gretchen, ſo recht, ſo recht,“ und ſein Dom¬<lb/></p> </body> </text> </TEI> [24/0030]
O, mein allerliebſter Jeſu,
Schau mich armes Waislein an,
Du biſt ja mein liebſter Vater,
Sonſt mir Niemand helfen kann.
Weil mein' Eltern ſein geſtorben,
Leben nicht auf dieſer Welt,
So hab ich Dich, liebſter Jeſu,
Für mein'n Vater auserwählt.
Fritz lugte durch die Weinblätter hindurch und
ſah drüben auf dem alten ſchrägen Birnbaum Gretchen
ſitzen. Es war ihm, als ob er nur geträumt hätte
von Wandern und Fortſein, als ob er wieder acht¬
zehn Jahr, und Gretchen ein Kind ſei. Damals war
der alte Birnbaum den lieben Sommer über faſt Ihr
alleiniger Wohnſitz. Des Nachmittags ging ſie mit
dem Strickzeug hinauf, und jedesmal wenn ſie eine
Tour herum geſtrickt, rief ſie es dem alten Benjamin
zu. Benjamin aber war ein Flickſchuſter, der ſchon
faſt dreißig Jahr bei Buchſteins im Hinterhäuschen
über der Werkſtatt wohnte. Er war der Kinderfreund
der Nachbarſchaft, und Gretchen war ſein beſonderer
Liebling. Für ſie war ihm keine Mühe zu groß, und
jedesmal, wenn ſie ihm die Tour zurief, machte er
einen Kreideſtrich auf eine ſchwarze Tafel, und immer
zählte er, wie viel noch fehlten an der Zahl; und wenn
es ſo weit war, rief er: nun Gretchen mach Schicht!
Gretchen wand ſich dann an einem Bindfaden ein
Körbchen mit dem Vesperbrod in die Höhe und meinte,
da oben ſtricke und eſſe es ſich beſſer. Benjamin
legte auch den Pfriemen für ein Weilchen aus der
Hand, ſchaute zum Fenſter hinaus, ſein Staarmatz
ſchnarrte „Gretchen, ſo recht, ſo recht,“ und ſein Dom¬
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