Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

der still; aber ihre Angst war groß und sie sah nur
noch nach dem Ende des Briefes:

"Ja, liebe Mutter, mein Herz war schon leise
beschäftigt, ehe ich zu Dir kam. Die edle Reinheit
meiner Adelheid hat mich von neuem überwältigt, ich
hoffe Dir bald eine würdige Tochter" --

Hier regte es sich abermals im Schlafzimmer der
Generalin, Klärchen legte den Brief schnell in die
Mappe, schob den Geldkasten wieder zurecht und schloß
eiligst den Kasten. Welch eine Entdeckung war das!

Schmerz und Zorn bewegten Klärchens Herz.
Hier war also nichts zu machen, der Mensch war
nicht poetisch, nicht romantisch genug, um etwas Un¬
gewöhnliches der Welt gegenüber zu thun! Alle Qua¬
len unglücklicher Liebe, die sie je in einem Romane
beschrieben gefunden, kamen über sie. Zum Glück
nicht für sehr lange.


Es war ein sehr kalter Winter. Selbst Mitte Fe¬
bruar begann er noch einmal mit aller Strenge zu
regieren. Der Himmel war klar, die Sonne glitzerte
hell auf den weißen Dächern, die Leute trippelten an
einander vorüber, konnten sich der rothen Ohren und
Nasen nicht erwehren, und die Blumen an den Fen¬
stern thauten kaum um Mittag ein wenig ab.

Gretchen verlebte hinter den Eisblumen stille Tage.
Sie saß ihrer Mutter gegenüber und spann, und spann
und sann, und hauchte sich zuweilen ein Fensterchen
in den Eisgrund, schaute, daß der Himmel blau, die
Sonne golden war, dachte an den Frühling, an Blü¬

der ſtill; aber ihre Angſt war groß und ſie ſah nur
noch nach dem Ende des Briefes:

„Ja, liebe Mutter, mein Herz war ſchon leiſe
beſchäftigt, ehe ich zu Dir kam. Die edle Reinheit
meiner Adelheid hat mich von neuem überwältigt, ich
hoffe Dir bald eine würdige Tochter“ —

Hier regte es ſich abermals im Schlafzimmer der
Generalin, Klärchen legte den Brief ſchnell in die
Mappe, ſchob den Geldkaſten wieder zurecht und ſchloß
eiligſt den Kaſten. Welch eine Entdeckung war das!

Schmerz und Zorn bewegten Klärchens Herz.
Hier war alſo nichts zu machen, der Menſch war
nicht poetiſch, nicht romantiſch genug, um etwas Un¬
gewöhnliches der Welt gegenüber zu thun! Alle Qua¬
len unglücklicher Liebe, die ſie je in einem Romane
beſchrieben gefunden, kamen über ſie. Zum Glück
nicht für ſehr lange.


Es war ein ſehr kalter Winter. Selbſt Mitte Fe¬
bruar begann er noch einmal mit aller Strenge zu
regieren. Der Himmel war klar, die Sonne glitzerte
hell auf den weißen Dächern, die Leute trippelten an
einander vorüber, konnten ſich der rothen Ohren und
Naſen nicht erwehren, und die Blumen an den Fen¬
ſtern thauten kaum um Mittag ein wenig ab.

Gretchen verlebte hinter den Eisblumen ſtille Tage.
Sie ſaß ihrer Mutter gegenüber und ſpann, und ſpann
und ſann, und hauchte ſich zuweilen ein Fenſterchen
in den Eisgrund, ſchaute, daß der Himmel blau, die
Sonne golden war, dachte an den Frühling, an Blü¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0063" n="57"/>
der &#x017F;till; aber ihre Ang&#x017F;t war groß und &#x017F;ie &#x017F;ah nur<lb/>
noch nach dem Ende des Briefes:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Ja, liebe Mutter, mein Herz war &#x017F;chon lei&#x017F;e<lb/>
be&#x017F;chäftigt, ehe ich zu Dir kam. Die edle Reinheit<lb/>
meiner Adelheid hat mich von neuem überwältigt, ich<lb/>
hoffe Dir bald eine würdige Tochter&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
      <p>Hier regte es &#x017F;ich abermals im Schlafzimmer der<lb/>
Generalin, Klärchen legte den Brief &#x017F;chnell in die<lb/>
Mappe, &#x017F;chob den Geldka&#x017F;ten wieder zurecht und &#x017F;chloß<lb/>
eilig&#x017F;t den Ka&#x017F;ten. Welch eine Entdeckung war das!</p><lb/>
      <p>Schmerz und Zorn bewegten Klärchens Herz.<lb/>
Hier war al&#x017F;o nichts zu machen, der Men&#x017F;ch war<lb/>
nicht poeti&#x017F;ch, nicht romanti&#x017F;ch genug, um etwas Un¬<lb/>
gewöhnliches der Welt gegenüber zu thun! Alle Qua¬<lb/>
len unglücklicher Liebe, die &#x017F;ie je in einem Romane<lb/>
be&#x017F;chrieben gefunden, kamen über &#x017F;ie. Zum Glück<lb/>
nicht für &#x017F;ehr lange.</p><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <p>Es war ein &#x017F;ehr kalter Winter. Selb&#x017F;t Mitte Fe¬<lb/>
bruar begann er noch einmal mit aller Strenge zu<lb/>
regieren. Der Himmel war klar, die Sonne glitzerte<lb/>
hell auf den weißen Dächern, die Leute trippelten an<lb/>
einander vorüber, konnten &#x017F;ich der rothen Ohren und<lb/>
Na&#x017F;en nicht erwehren, und die Blumen an den Fen¬<lb/>
&#x017F;tern thauten kaum um Mittag ein wenig ab.</p><lb/>
      <p>Gretchen verlebte hinter den Eisblumen &#x017F;tille Tage.<lb/>
Sie &#x017F;aß ihrer Mutter gegenüber und &#x017F;pann, und &#x017F;pann<lb/>
und &#x017F;ann, und hauchte &#x017F;ich zuweilen ein Fen&#x017F;terchen<lb/>
in den Eisgrund, &#x017F;chaute, daß der Himmel blau, die<lb/>
Sonne golden war, dachte an den Frühling, an Blü¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0063] der ſtill; aber ihre Angſt war groß und ſie ſah nur noch nach dem Ende des Briefes: „Ja, liebe Mutter, mein Herz war ſchon leiſe beſchäftigt, ehe ich zu Dir kam. Die edle Reinheit meiner Adelheid hat mich von neuem überwältigt, ich hoffe Dir bald eine würdige Tochter“ — Hier regte es ſich abermals im Schlafzimmer der Generalin, Klärchen legte den Brief ſchnell in die Mappe, ſchob den Geldkaſten wieder zurecht und ſchloß eiligſt den Kaſten. Welch eine Entdeckung war das! Schmerz und Zorn bewegten Klärchens Herz. Hier war alſo nichts zu machen, der Menſch war nicht poetiſch, nicht romantiſch genug, um etwas Un¬ gewöhnliches der Welt gegenüber zu thun! Alle Qua¬ len unglücklicher Liebe, die ſie je in einem Romane beſchrieben gefunden, kamen über ſie. Zum Glück nicht für ſehr lange. Es war ein ſehr kalter Winter. Selbſt Mitte Fe¬ bruar begann er noch einmal mit aller Strenge zu regieren. Der Himmel war klar, die Sonne glitzerte hell auf den weißen Dächern, die Leute trippelten an einander vorüber, konnten ſich der rothen Ohren und Naſen nicht erwehren, und die Blumen an den Fen¬ ſtern thauten kaum um Mittag ein wenig ab. Gretchen verlebte hinter den Eisblumen ſtille Tage. Sie ſaß ihrer Mutter gegenüber und ſpann, und ſpann und ſann, und hauchte ſich zuweilen ein Fenſterchen in den Eisgrund, ſchaute, daß der Himmel blau, die Sonne golden war, dachte an den Frühling, an Blü¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/63
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/63>, abgerufen am 24.11.2024.