Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.Gretchen für mich manche Krankenbesuche übernehmen. Gretchen für mich manche Krankenbeſuche übernehmen. <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0092" n="86"/> Gretchen für mich manche Krankenbeſuche übernehmen.<lb/> Unſere ſchwerſte Kranke war damals ein Mädchen,<lb/> die ein Vierteljahr vorher ein Kind gehabt hatte und<lb/> jetzt an der Auszehrung elend darnieder lag, ſo arm<lb/> und verlaſſen, daß es ihr am Allernothwendigſten<lb/> fehlte, und unſer Verein kaum anſchaffen konnte, was<lb/> ſie gebrauchte. Bei ihrer äußeren Noth hatte ſie aber<lb/> auch innerlichen Jammer, ſie ſprach viel von dem<lb/> Vater ihres Kindes, was der ihr vorgeſpiegelt und<lb/> verſprochen, und wie er ſie jetzt in Hunger und Kum¬<lb/> mer umkommen laſſe. Oft hat Gretchen ihre Klagen<lb/> über den Menſchen mit anhören müſſen, und die Ur¬<lb/> theile und Schilderungen von ihm waren nicht fein.<lb/> Als das Mädchen immer elender ward und ihren Tod<lb/> vor Augen ſah, war ihr größtes Verlangen, ihren<lb/> Geliebten, wie ſie ihn denn doch in manchen Stunden<lb/> noch nannte, nur einmal noch zu ſehen. Eine Frau,<lb/> die ſchon früher die Unterhändlerin des Liebespaares<lb/> geweſen, ward zu wiederholten Malen abgeſchickt, aber<lb/> immer vergebens. Als nun Gretchen eines Tages hin¬<lb/> kömmt und die Kranke beſonders ſchwach findet und<lb/> ihr Troſt und Theilnahme zuſpricht, iſt dieſe untröſt¬<lb/> lich und ſagt nur immer, ſie müſſe Günthern noch<lb/> einmal ſehen. Gretchen hatte den Namen des Man¬<lb/> nes nie gehört und auch nie viel von der Geſchichte<lb/> wiſſen wollen. Als ſie ihr nun vorſtellt, wie ihr<lb/> Herz an einem Menſchen hängen könnte, der ſie ſo<lb/> ſchmählich verlaſſen und verſtoßen habe, wie ſie ſich<lb/> lieber dem Himmel zuwenden ſolle und dem Heilande,<lb/> der ſie nicht verſtoßen und verſchmähen würde, und<lb/> ſo Aehnliches, um ihren Sinn zu bewegen, da kömmt<lb/></p> </body> </text> </TEI> [86/0092]
Gretchen für mich manche Krankenbeſuche übernehmen.
Unſere ſchwerſte Kranke war damals ein Mädchen,
die ein Vierteljahr vorher ein Kind gehabt hatte und
jetzt an der Auszehrung elend darnieder lag, ſo arm
und verlaſſen, daß es ihr am Allernothwendigſten
fehlte, und unſer Verein kaum anſchaffen konnte, was
ſie gebrauchte. Bei ihrer äußeren Noth hatte ſie aber
auch innerlichen Jammer, ſie ſprach viel von dem
Vater ihres Kindes, was der ihr vorgeſpiegelt und
verſprochen, und wie er ſie jetzt in Hunger und Kum¬
mer umkommen laſſe. Oft hat Gretchen ihre Klagen
über den Menſchen mit anhören müſſen, und die Ur¬
theile und Schilderungen von ihm waren nicht fein.
Als das Mädchen immer elender ward und ihren Tod
vor Augen ſah, war ihr größtes Verlangen, ihren
Geliebten, wie ſie ihn denn doch in manchen Stunden
noch nannte, nur einmal noch zu ſehen. Eine Frau,
die ſchon früher die Unterhändlerin des Liebespaares
geweſen, ward zu wiederholten Malen abgeſchickt, aber
immer vergebens. Als nun Gretchen eines Tages hin¬
kömmt und die Kranke beſonders ſchwach findet und
ihr Troſt und Theilnahme zuſpricht, iſt dieſe untröſt¬
lich und ſagt nur immer, ſie müſſe Günthern noch
einmal ſehen. Gretchen hatte den Namen des Man¬
nes nie gehört und auch nie viel von der Geſchichte
wiſſen wollen. Als ſie ihr nun vorſtellt, wie ihr
Herz an einem Menſchen hängen könnte, der ſie ſo
ſchmählich verlaſſen und verſtoßen habe, wie ſie ſich
lieber dem Himmel zuwenden ſolle und dem Heilande,
der ſie nicht verſtoßen und verſchmähen würde, und
ſo Aehnliches, um ihren Sinn zu bewegen, da kömmt
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