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Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876.

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hoben sich Stimmen gegen Hrn. Roux's Glaubwürdigkeit, es blieb
schliesslich demselben der härteste Vorwurf, Hrn. Broca der der Leicht-
gläubigkeit, nicht erspart, "on n'y crut plus du tout" sagt Hr. Sanson;
die berühmten Leporiden spielten nur noch eine Rolle in den Annoncen
der Händler, und waren nicht von den seit lange bekannten grösseren,
sogenannten hasenfarbigen oder belgischen Kaninchenrassen zu unter-
scheiden.

Dieser Hergang überhebt uns, auf die sogenannten Leporiden des
Hrn. Broca weiter ernsthaft einzugehen.



Darwin 1868.

Hr. Darwin hat in seinem berühmten Buch (Variation of animals
and plants under domestication, edit. 2 pag. 103) im 4. Kapitel über die
zahmen Kaninchen, neben einer reichen Zusammenstellung literarischen
Materials, mehr eigene Beobachtungen gegeben, als über irgend ein
anderes der in Betracht gezogenen Säugethiere. --

In Bezug auf die Leporiden ist Hr. Darwin vorsichtiger gewesen,
als so viele seiner Jünger; er bezeugt seine Ungläubigkeit in Bezug
auf Hrn. Broca's Erzählungen über die Roux'schen Leporiden (p. 105),
trotzdem damals die Berichte der Nachbarn des Erfinders noch nicht
bekannt geworden waren.

Obgleich Hr. Darwin über die sogenannten Leporiden selbst Be-
obachtungen nicht anstellen konnte, gehe ich dennoch auf den Inhalt
seiner Mittheilungen näher ein, denn das Studium der Variabilität der
Kaninchen ist zum Verständniss der Leporidenfrage unerlässlich; es ist
aber auch ein dringendes Bedürfniss, sich bei derselben darüber zu ver-
ständigen, was man als "Variation", als "Variiren" bezeichnen kann
und darf.

Vergleicht man möglichst ähnliche Individuen miteinander, dann
ergiebt sich sogleich, dass von einer Kongruenz der einzelnen Theile nicht
die Rede sein kann; Verschiedenheiten sind überall vorhanden. Es
handelt sich darum, einen Ausdruck zu finden, für diejenigen Variationen,
welche in gewissem Sinne bedeutungslos sind, im Gegensatz zu denen,
welche man früher als spezifische zu bezeichnen gewohnt war.

Zu diesem Zweck vergleiche ich zunächst das mir vorliegende
Material mit den Beobachtungen des Hrn. Darwin.

In Bezug auf äussere Eigenthümlichkeiten finden sich folgende An-
gaben.

Das Gewicht des wilden Kaninchens ist ungefähr 31/4 Pfund; die
grossen Rassen wiegen oft zwischen 8 bis 10 Pfund, ein Individuum
(lopeared) hat 18 Pfund gewogen, das Nicard-Kaninchen wiegt zuweilen
nur 11/4 Pfund. Der Schädel jener grossen Rasse ist, im Vergleich mit dem

hoben sich Stimmen gegen Hrn. Roux’s Glaubwürdigkeit, es blieb
schliesslich demselben der härteste Vorwurf, Hrn. Broca der der Leicht-
gläubigkeit, nicht erspart, „on n’y crut plus du tout“ sagt Hr. Sanson;
die berühmten Leporiden spielten nur noch eine Rolle in den Annoncen
der Händler, und waren nicht von den seit lange bekannten grösseren,
sogenannten hasenfarbigen oder belgischen Kaninchenrassen zu unter-
scheiden.

Dieser Hergang überhebt uns, auf die sogenannten Leporiden des
Hrn. Broca weiter ernsthaft einzugehen.



Darwin 1868.

Hr. Darwin hat in seinem berühmten Buch (Variation of animals
and plants under domestication, edit. 2 pag. 103) im 4. Kapitel über die
zahmen Kaninchen, neben einer reichen Zusammenstellung literarischen
Materials, mehr eigene Beobachtungen gegeben, als über irgend ein
anderes der in Betracht gezogenen Säugethiere. —

In Bezug auf die Leporiden ist Hr. Darwin vorsichtiger gewesen,
als so viele seiner Jünger; er bezeugt seine Ungläubigkeit in Bezug
auf Hrn. Broca’s Erzählungen über die Roux’schen Leporiden (p. 105),
trotzdem damals die Berichte der Nachbarn des Erfinders noch nicht
bekannt geworden waren.

Obgleich Hr. Darwin über die sogenannten Leporiden selbst Be-
obachtungen nicht anstellen konnte, gehe ich dennoch auf den Inhalt
seiner Mittheilungen näher ein, denn das Studium der Variabilität der
Kaninchen ist zum Verständniss der Leporidenfrage unerlässlich; es ist
aber auch ein dringendes Bedürfniss, sich bei derselben darüber zu ver-
ständigen, was man als „Variation“, als „Variiren“ bezeichnen kann
und darf.

Vergleicht man möglichst ähnliche Individuen miteinander, dann
ergiebt sich sogleich, dass von einer Kongruenz der einzelnen Theile nicht
die Rede sein kann; Verschiedenheiten sind überall vorhanden. Es
handelt sich darum, einen Ausdruck zu finden, für diejenigen Variationen,
welche in gewissem Sinne bedeutungslos sind, im Gegensatz zu denen,
welche man früher als spezifische zu bezeichnen gewohnt war.

Zu diesem Zweck vergleiche ich zunächst das mir vorliegende
Material mit den Beobachtungen des Hrn. Darwin.

In Bezug auf äussere Eigenthümlichkeiten finden sich folgende An-
gaben.

Das Gewicht des wilden Kaninchens ist ungefähr 3¼ Pfund; die
grossen Rassen wiegen oft zwischen 8 bis 10 Pfund, ein Individuum
(lopeared) hat 18 Pfund gewogen, das Nicard-Kaninchen wiegt zuweilen
nur 1¼ Pfund. Der Schädel jener grossen Rasse ist, im Vergleich mit dem

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[9/0017] hoben sich Stimmen gegen Hrn. Roux’s Glaubwürdigkeit, es blieb schliesslich demselben der härteste Vorwurf, Hrn. Broca der der Leicht- gläubigkeit, nicht erspart, „on n’y crut plus du tout“ sagt Hr. Sanson; die berühmten Leporiden spielten nur noch eine Rolle in den Annoncen der Händler, und waren nicht von den seit lange bekannten grösseren, sogenannten hasenfarbigen oder belgischen Kaninchenrassen zu unter- scheiden. Dieser Hergang überhebt uns, auf die sogenannten Leporiden des Hrn. Broca weiter ernsthaft einzugehen. Darwin 1868. Hr. Darwin hat in seinem berühmten Buch (Variation of animals and plants under domestication, edit. 2 pag. 103) im 4. Kapitel über die zahmen Kaninchen, neben einer reichen Zusammenstellung literarischen Materials, mehr eigene Beobachtungen gegeben, als über irgend ein anderes der in Betracht gezogenen Säugethiere. — In Bezug auf die Leporiden ist Hr. Darwin vorsichtiger gewesen, als so viele seiner Jünger; er bezeugt seine Ungläubigkeit in Bezug auf Hrn. Broca’s Erzählungen über die Roux’schen Leporiden (p. 105), trotzdem damals die Berichte der Nachbarn des Erfinders noch nicht bekannt geworden waren. Obgleich Hr. Darwin über die sogenannten Leporiden selbst Be- obachtungen nicht anstellen konnte, gehe ich dennoch auf den Inhalt seiner Mittheilungen näher ein, denn das Studium der Variabilität der Kaninchen ist zum Verständniss der Leporidenfrage unerlässlich; es ist aber auch ein dringendes Bedürfniss, sich bei derselben darüber zu ver- ständigen, was man als „Variation“, als „Variiren“ bezeichnen kann und darf. Vergleicht man möglichst ähnliche Individuen miteinander, dann ergiebt sich sogleich, dass von einer Kongruenz der einzelnen Theile nicht die Rede sein kann; Verschiedenheiten sind überall vorhanden. Es handelt sich darum, einen Ausdruck zu finden, für diejenigen Variationen, welche in gewissem Sinne bedeutungslos sind, im Gegensatz zu denen, welche man früher als spezifische zu bezeichnen gewohnt war. Zu diesem Zweck vergleiche ich zunächst das mir vorliegende Material mit den Beobachtungen des Hrn. Darwin. In Bezug auf äussere Eigenthümlichkeiten finden sich folgende An- gaben. Das Gewicht des wilden Kaninchens ist ungefähr 3¼ Pfund; die grossen Rassen wiegen oft zwischen 8 bis 10 Pfund, ein Individuum (lopeared) hat 18 Pfund gewogen, das Nicard-Kaninchen wiegt zuweilen nur 1¼ Pfund. Der Schädel jener grossen Rasse ist, im Vergleich mit dem

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Zitationshilfe: Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_leporiden_1876/17>, abgerufen am 21.11.2024.