dasselbe, sondern es muss auf der Höhe sittlicher Klarheit auch als gemeinschaftlich bewusst und im Hinblick auf die Gemein- schaft gewollt sein. Sittliches Bewusstsein ist als solches not- wendig Gemeinschaftsbewusstsein.
Nun aber fragt es sich weiter nach der Besonderung der sittlichen Aufgabe, und da ist allerdings zu scheiden zwischen dieser Aufgabe, sofern sie dem Einzelnen, und, sofern sie der Gemeinschaft gestellt ist; und wiederum, sofern sie den Einzelnen oder die Gemeinschaft direkt zum Ziele hat. Insofern ist das Sittliche ein anderes in individualer, ein anderes in sozialer Bedeutung. Zwar der letzte konstituierende Begriff des Sittlichen muss ja einer und derselbe sein, wie für die verschiedenen Individuen, so auch für Individuum und Gemeinschaft, da doch die Gemeinschaft nur im Bewusstsein der Einzelnen besteht. Allein das hindert nicht eine Spezifikation dieser in sich identischen Aufgabe, je nachdem sie bloss in Hinsicht des Individuums oder in Hinsicht der Wechselbezieh- ungen der Individuen in der Gemeinschaft erwogen wird.
Die konkretere Gestalt der sittlichen Aufgabe aber ist die gemeinschaftliche. Denn, wenngleich Gemeinschaft ein Abstraktum und nur die Individuen konkret sind, so ist da- gegen das isoliert gedachte Individuum wiederum eine Ab- straktion. In Wahrheit giebt es kein isoliertes, menschliches Individuum, denn der Mensch ist Mensch nur in menschlicher Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr. Und das gilt doppelt vom wollenden und handelnden; im blossen Erkennen mag man eher noch sich vereinzeln, im ästhetischen Geniessen und Schaffen für sich bleiben und allein sich genügen wollen; dagegen das Handeln des Einzelnen und, sofern es aufs Handeln zielt, schon sein Wollen greift unvermeidlich in die Sphäre der Gemeinschaft ein, muss also, falls es mit Bewusstsein ge- schieht, auch seiner Wirkung in diese Sphäre hinein mit- bewusst sein. Also ist der Einzelne, zugleich in seiner Ge- meinschaftsbeziehung gedacht, konkreter als der bloss für sich gedachte Einzelne.
Aber eben weil dem so ist, kann die Ableitung der kon- kret sittlichen Aufgabe nur vom Individuum ausgehen; denn
dasselbe, sondern es muss auf der Höhe sittlicher Klarheit auch als gemeinschaftlich bewusst und im Hinblick auf die Gemein- schaft gewollt sein. Sittliches Bewusstsein ist als solches not- wendig Gemeinschaftsbewusstsein.
Nun aber fragt es sich weiter nach der Besonderung der sittlichen Aufgabe, und da ist allerdings zu scheiden zwischen dieser Aufgabe, sofern sie dem Einzelnen, und, sofern sie der Gemeinschaft gestellt ist; und wiederum, sofern sie den Einzelnen oder die Gemeinschaft direkt zum Ziele hat. Insofern ist das Sittliche ein anderes in individualer, ein anderes in sozialer Bedeutung. Zwar der letzte konstituierende Begriff des Sittlichen muss ja einer und derselbe sein, wie für die verschiedenen Individuen, so auch für Individuum und Gemeinschaft, da doch die Gemeinschaft nur im Bewusstsein der Einzelnen besteht. Allein das hindert nicht eine Spezifikation dieser in sich identischen Aufgabe, je nachdem sie bloss in Hinsicht des Individuums oder in Hinsicht der Wechselbezieh- ungen der Individuen in der Gemeinschaft erwogen wird.
Die konkretere Gestalt der sittlichen Aufgabe aber ist die gemeinschaftliche. Denn, wenngleich Gemeinschaft ein Abstraktum und nur die Individuen konkret sind, so ist da- gegen das isoliert gedachte Individuum wiederum eine Ab- straktion. In Wahrheit giebt es kein isoliertes, menschliches Individuum, denn der Mensch ist Mensch nur in menschlicher Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr. Und das gilt doppelt vom wollenden und handelnden; im blossen Erkennen mag man eher noch sich vereinzeln, im ästhetischen Geniessen und Schaffen für sich bleiben und allein sich genügen wollen; dagegen das Handeln des Einzelnen und, sofern es aufs Handeln zielt, schon sein Wollen greift unvermeidlich in die Sphäre der Gemeinschaft ein, muss also, falls es mit Bewusstsein ge- schieht, auch seiner Wirkung in diese Sphäre hinein mit- bewusst sein. Also ist der Einzelne, zugleich in seiner Ge- meinschaftsbeziehung gedacht, konkreter als der bloss für sich gedachte Einzelne.
Aber eben weil dem so ist, kann die Ableitung der kon- kret sittlichen Aufgabe nur vom Individuum ausgehen; denn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0101"n="85"/>
dasselbe, sondern es muss auf der Höhe sittlicher Klarheit auch<lb/>
als gemeinschaftlich bewusst und im Hinblick auf die Gemein-<lb/>
schaft gewollt sein. Sittliches Bewusstsein ist als solches not-<lb/>
wendig Gemeinschaftsbewusstsein.</p><lb/><p>Nun aber fragt es sich weiter nach der <hirendition="#g">Besonderung</hi><lb/>
der sittlichen Aufgabe, und da ist allerdings zu scheiden<lb/>
zwischen dieser Aufgabe, sofern sie dem Einzelnen, und, sofern<lb/>
sie der Gemeinschaft gestellt ist; und wiederum, sofern sie<lb/>
den Einzelnen oder die Gemeinschaft direkt zum Ziele hat.<lb/>
Insofern ist das Sittliche ein anderes in individualer, ein<lb/>
anderes in sozialer Bedeutung. Zwar der letzte konstituierende<lb/>
Begriff des Sittlichen muss ja einer und derselbe sein, wie für<lb/>
die verschiedenen Individuen, so auch für Individuum und<lb/>
Gemeinschaft, da doch die Gemeinschaft nur im Bewusstsein der<lb/>
Einzelnen besteht. Allein das hindert nicht eine Spezifikation<lb/>
dieser in sich identischen Aufgabe, je nachdem sie bloss in<lb/>
Hinsicht des Individuums oder in Hinsicht der Wechselbezieh-<lb/>
ungen der Individuen in der Gemeinschaft erwogen wird.</p><lb/><p>Die konkretere Gestalt der sittlichen Aufgabe aber ist<lb/>
die gemeinschaftliche. Denn, wenngleich Gemeinschaft ein<lb/>
Abstraktum und nur die Individuen konkret sind, so ist da-<lb/>
gegen das isoliert gedachte Individuum wiederum eine Ab-<lb/>
straktion. In Wahrheit giebt es kein isoliertes, menschliches<lb/>
Individuum, denn der Mensch ist Mensch nur in menschlicher<lb/>
Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr. Und das gilt<lb/>
doppelt vom wollenden und handelnden; im blossen Erkennen<lb/>
mag man eher noch sich vereinzeln, im ästhetischen Geniessen<lb/>
und Schaffen für sich bleiben und allein sich genügen wollen;<lb/>
dagegen das Handeln des Einzelnen und, sofern es aufs Handeln<lb/>
zielt, schon sein Wollen greift unvermeidlich in die Sphäre<lb/>
der Gemeinschaft ein, muss also, falls es mit Bewusstsein ge-<lb/>
schieht, auch seiner Wirkung in diese Sphäre hinein mit-<lb/>
bewusst sein. Also ist der Einzelne, zugleich in seiner Ge-<lb/>
meinschaftsbeziehung gedacht, konkreter als der bloss für sich<lb/>
gedachte Einzelne.</p><lb/><p>Aber eben weil dem so ist, kann die Ableitung der kon-<lb/>
kret sittlichen Aufgabe nur vom Individuum ausgehen; denn<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[85/0101]
dasselbe, sondern es muss auf der Höhe sittlicher Klarheit auch
als gemeinschaftlich bewusst und im Hinblick auf die Gemein-
schaft gewollt sein. Sittliches Bewusstsein ist als solches not-
wendig Gemeinschaftsbewusstsein.
Nun aber fragt es sich weiter nach der Besonderung
der sittlichen Aufgabe, und da ist allerdings zu scheiden
zwischen dieser Aufgabe, sofern sie dem Einzelnen, und, sofern
sie der Gemeinschaft gestellt ist; und wiederum, sofern sie
den Einzelnen oder die Gemeinschaft direkt zum Ziele hat.
Insofern ist das Sittliche ein anderes in individualer, ein
anderes in sozialer Bedeutung. Zwar der letzte konstituierende
Begriff des Sittlichen muss ja einer und derselbe sein, wie für
die verschiedenen Individuen, so auch für Individuum und
Gemeinschaft, da doch die Gemeinschaft nur im Bewusstsein der
Einzelnen besteht. Allein das hindert nicht eine Spezifikation
dieser in sich identischen Aufgabe, je nachdem sie bloss in
Hinsicht des Individuums oder in Hinsicht der Wechselbezieh-
ungen der Individuen in der Gemeinschaft erwogen wird.
Die konkretere Gestalt der sittlichen Aufgabe aber ist
die gemeinschaftliche. Denn, wenngleich Gemeinschaft ein
Abstraktum und nur die Individuen konkret sind, so ist da-
gegen das isoliert gedachte Individuum wiederum eine Ab-
straktion. In Wahrheit giebt es kein isoliertes, menschliches
Individuum, denn der Mensch ist Mensch nur in menschlicher
Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr. Und das gilt
doppelt vom wollenden und handelnden; im blossen Erkennen
mag man eher noch sich vereinzeln, im ästhetischen Geniessen
und Schaffen für sich bleiben und allein sich genügen wollen;
dagegen das Handeln des Einzelnen und, sofern es aufs Handeln
zielt, schon sein Wollen greift unvermeidlich in die Sphäre
der Gemeinschaft ein, muss also, falls es mit Bewusstsein ge-
schieht, auch seiner Wirkung in diese Sphäre hinein mit-
bewusst sein. Also ist der Einzelne, zugleich in seiner Ge-
meinschaftsbeziehung gedacht, konkreter als der bloss für sich
gedachte Einzelne.
Aber eben weil dem so ist, kann die Ableitung der kon-
kret sittlichen Aufgabe nur vom Individuum ausgehen; denn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/101>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.