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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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ren Gestaltungen des Sittlichen, wie bisher, so auch jetzt
wieder, fortschreitet.

§ 15.
4. Die individuelle Grundlage der sozialen Tugend:
Gerechtigkeit.

Unter Gerechtigkeit als individueller Tugend verstehen wir,
dem Gesagten zufolge, die auf die Gemeinschaft bezügliche
Seite an aller Tugend des Individuums. Daher muss jede der
andern individuellen Tugenden, sofern die Gemeinschaftbezie-
hung in Frage kommt, etwas von dem Charakter der Gerech-
tigkeit annehmen. So zeigt es sich in der That: sofern die
Regelung des Trieblebens in Arbeit und Genuss im Interesse
der Gemeinschaft gefordert ist, wird sie zu einer der haupt-
sächlichsten Forderungen der Gerechtigkeit; ebenso Tapferkeit,
sofern sie der Gemeinschaft dient, sofern sie besagt, dass jeder
an seinem Posten, in seiner um der Gemeinschaft willen nötigen
Bethätigung aushalten und seine Sache nicht im Stiche lassen
soll, ist eine Pflicht der Gerechtigkeit; endlich Wahrhaftigkeit
im Verhalten zum Andern, Ehrlichkeit, Redlichkeit, wechsel-
seitige Treue hat man von jeher zur Gerechtigkeit gerechnet;
ihre Verletzung ist nicht nur persönliches, sondern soziales
Unrecht.

Und zwar ist das Wesen dieser Tugend darin schon voll-
ständig enthalten, dass alles, was an sich sittlich gefordert ist,
gleichsam noch einmal, in der That in neuem, erweitertem
Sinne gefordert wird im Interesse der Gemeinschaft. Eine
eigene Materie hat diese Tugend also nicht aufzuweisen. Alle
Erklärungen, die man von ihr zu geben versucht hat, sind
denn auch rein formal; so die alte Formel, nach der sie "Jedem
das Seine", was ihm zukommt oder gebührt, zu teil werden
lässt, sein Recht und seine Pflicht. Was dies Gebührende sei,
lässt sich gar nicht anders als in Hinsicht der drei Grund-
elemente der Aktivität, mithin gemäss den drei ersten Tugen-
den bestimmen. Die Erhebung der Gemeinschaftsbeziehung
der sittlichen Forderung ins ausdrückliche Bewusstsein unsres

ren Gestaltungen des Sittlichen, wie bisher, so auch jetzt
wieder, fortschreitet.

§ 15.
4. Die individuelle Grundlage der sozialen Tugend:
Gerechtigkeit.

Unter Gerechtigkeit als individueller Tugend verstehen wir,
dem Gesagten zufolge, die auf die Gemeinschaft bezügliche
Seite an aller Tugend des Individuums. Daher muss jede der
andern individuellen Tugenden, sofern die Gemeinschaftbezie-
hung in Frage kommt, etwas von dem Charakter der Gerech-
tigkeit annehmen. So zeigt es sich in der That: sofern die
Regelung des Trieblebens in Arbeit und Genuss im Interesse
der Gemeinschaft gefordert ist, wird sie zu einer der haupt-
sächlichsten Forderungen der Gerechtigkeit; ebenso Tapferkeit,
sofern sie der Gemeinschaft dient, sofern sie besagt, dass jeder
an seinem Posten, in seiner um der Gemeinschaft willen nötigen
Bethätigung aushalten und seine Sache nicht im Stiche lassen
soll, ist eine Pflicht der Gerechtigkeit; endlich Wahrhaftigkeit
im Verhalten zum Andern, Ehrlichkeit, Redlichkeit, wechsel-
seitige Treue hat man von jeher zur Gerechtigkeit gerechnet;
ihre Verletzung ist nicht nur persönliches, sondern soziales
Unrecht.

Und zwar ist das Wesen dieser Tugend darin schon voll-
ständig enthalten, dass alles, was an sich sittlich gefordert ist,
gleichsam noch einmal, in der That in neuem, erweitertem
Sinne gefordert wird im Interesse der Gemeinschaft. Eine
eigene Materie hat diese Tugend also nicht aufzuweisen. Alle
Erklärungen, die man von ihr zu geben versucht hat, sind
denn auch rein formal; so die alte Formel, nach der sie „Jedem
das Seine“, was ihm zukommt oder gebührt, zu teil werden
lässt, sein Recht und seine Pflicht. Was dies Gebührende sei,
lässt sich gar nicht anders als in Hinsicht der drei Grund-
elemente der Aktivität, mithin gemäss den drei ersten Tugen-
den bestimmen. Die Erhebung der Gemeinschaftsbeziehung
der sittlichen Forderung ins ausdrückliche Bewusstsein unsres

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[119/0135] ren Gestaltungen des Sittlichen, wie bisher, so auch jetzt wieder, fortschreitet. § 15. 4. Die individuelle Grundlage der sozialen Tugend: Gerechtigkeit. Unter Gerechtigkeit als individueller Tugend verstehen wir, dem Gesagten zufolge, die auf die Gemeinschaft bezügliche Seite an aller Tugend des Individuums. Daher muss jede der andern individuellen Tugenden, sofern die Gemeinschaftbezie- hung in Frage kommt, etwas von dem Charakter der Gerech- tigkeit annehmen. So zeigt es sich in der That: sofern die Regelung des Trieblebens in Arbeit und Genuss im Interesse der Gemeinschaft gefordert ist, wird sie zu einer der haupt- sächlichsten Forderungen der Gerechtigkeit; ebenso Tapferkeit, sofern sie der Gemeinschaft dient, sofern sie besagt, dass jeder an seinem Posten, in seiner um der Gemeinschaft willen nötigen Bethätigung aushalten und seine Sache nicht im Stiche lassen soll, ist eine Pflicht der Gerechtigkeit; endlich Wahrhaftigkeit im Verhalten zum Andern, Ehrlichkeit, Redlichkeit, wechsel- seitige Treue hat man von jeher zur Gerechtigkeit gerechnet; ihre Verletzung ist nicht nur persönliches, sondern soziales Unrecht. Und zwar ist das Wesen dieser Tugend darin schon voll- ständig enthalten, dass alles, was an sich sittlich gefordert ist, gleichsam noch einmal, in der That in neuem, erweitertem Sinne gefordert wird im Interesse der Gemeinschaft. Eine eigene Materie hat diese Tugend also nicht aufzuweisen. Alle Erklärungen, die man von ihr zu geben versucht hat, sind denn auch rein formal; so die alte Formel, nach der sie „Jedem das Seine“, was ihm zukommt oder gebührt, zu teil werden lässt, sein Recht und seine Pflicht. Was dies Gebührende sei, lässt sich gar nicht anders als in Hinsicht der drei Grund- elemente der Aktivität, mithin gemäss den drei ersten Tugen- den bestimmen. Die Erhebung der Gemeinschaftsbeziehung der sittlichen Forderung ins ausdrückliche Bewusstsein unsres

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/135>, abgerufen am 26.11.2024.