hin zur Bestimmung der konkreten sittlichen Aufgabe selbst des Einzelnen; sondern diese ergiebt sich vollständig erst unter Mitberücksichtigung des Verhältnisses der Individuen in der Gemeinschaft. Auch die individuelle Tugend entfaltet sich erst recht in der Arbeit an den sittlichen Aufgaben, die der Gemeinschaft zuerst, und nur durch sie den Einzelnen ge- stellt sind.
Aber die sittliche Verfassung des Gemeinschaftslebens selbst muss der des Individuallebens genau entsprechen. Hat doch die Gemeinschaft kein Leben anders als im Leben der Einzelnen, so wie es umgekehrt ein menschliches Leben des Einzelnen nicht anders giebt als in menschlicher Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr. Weder die Grundformen der Aktivität noch deren Tugenden können daher andre sein für die Gemeinschaft als für den Einzelnen. Nur, während bisher der Einzelne für sich und im Verhältnis zum andern ebenso isoliert gedachten Einzelnen, wiewohl immer unter stillschwei- gender Voraussetzung der Teilnahme an der Gemeinschaft er- wogen wurde, ist jetzt das menschliche Leben, das zwar immer Leben der Einzelnen bleibt, ins Auge zu fassen als Leben der Gemeinschaft, nicht isolierter Einzelner. Und da es auf die Gemeinschaft jetzt gerade ankommt, so darf die Erwägung auch bei irgend welchen zufälligen und begrenzten Beziehungen unter Einzelnen nicht stehen bleiben, sondern muss ihren Horizont erweitern durch Beachtung der im Grund- gesetz des Bewusstseinslebens eingeschlossenen Tendenz zur Gemeinschaft überhaupt, die keine andre Grenze ihrer Erwei- terung anerkennt als das Ganze der Menschheit.
Die Gemeinschaftsbeziehung muss sich nun gleichmässig auf alle drei Grundfaktoren der menschlichen Aktivität er- strecken. Das folgt schon aus dem Verhältnis, das unter diesen überhaupt obwaltet. Die Gemeinschaft würde sich auf die Thätigkeit der Vernunft nicht beziehen können, wenn sie sich nicht zuvor auf den Willen erstreckte, und nicht auf diesen, wenn sie nicht bis zum Triebleben herabreichte. Denn die praktische Vernunft ist nur die allgemeine Gesetzgebung des Willens, und dieser nur die bewusste Regelung der Arbeits-
hin zur Bestimmung der konkreten sittlichen Aufgabe selbst des Einzelnen; sondern diese ergiebt sich vollständig erst unter Mitberücksichtigung des Verhältnisses der Individuen in der Gemeinschaft. Auch die individuelle Tugend entfaltet sich erst recht in der Arbeit an den sittlichen Aufgaben, die der Gemeinschaft zuerst, und nur durch sie den Einzelnen ge- stellt sind.
Aber die sittliche Verfassung des Gemeinschaftslebens selbst muss der des Individuallebens genau entsprechen. Hat doch die Gemeinschaft kein Leben anders als im Leben der Einzelnen, so wie es umgekehrt ein menschliches Leben des Einzelnen nicht anders giebt als in menschlicher Gemeinschaft und durch Teilnahme an ihr. Weder die Grundformen der Aktivität noch deren Tugenden können daher andre sein für die Gemeinschaft als für den Einzelnen. Nur, während bisher der Einzelne für sich und im Verhältnis zum andern ebenso isoliert gedachten Einzelnen, wiewohl immer unter stillschwei- gender Voraussetzung der Teilnahme an der Gemeinschaft er- wogen wurde, ist jetzt das menschliche Leben, das zwar immer Leben der Einzelnen bleibt, ins Auge zu fassen als Leben der Gemeinschaft, nicht isolierter Einzelner. Und da es auf die Gemeinschaft jetzt gerade ankommt, so darf die Erwägung auch bei irgend welchen zufälligen und begrenzten Beziehungen unter Einzelnen nicht stehen bleiben, sondern muss ihren Horizont erweitern durch Beachtung der im Grund- gesetz des Bewusstseinslebens eingeschlossenen Tendenz zur Gemeinschaft überhaupt, die keine andre Grenze ihrer Erwei- terung anerkennt als das Ganze der Menschheit.
Die Gemeinschaftsbeziehung muss sich nun gleichmässig auf alle drei Grundfaktoren der menschlichen Aktivität er- strecken. Das folgt schon aus dem Verhältnis, das unter diesen überhaupt obwaltet. Die Gemeinschaft würde sich auf die Thätigkeit der Vernunft nicht beziehen können, wenn sie sich nicht zuvor auf den Willen erstreckte, und nicht auf diesen, wenn sie nicht bis zum Triebleben herabreichte. Denn die praktische Vernunft ist nur die allgemeine Gesetzgebung des Willens, und dieser nur die bewusste Regelung der Arbeits-
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hin zur Bestimmung der konkreten sittlichen Aufgabe selbst
des Einzelnen; sondern diese ergiebt sich vollständig erst unter
Mitberücksichtigung des Verhältnisses der Individuen in der
Gemeinschaft. Auch die individuelle Tugend entfaltet sich
erst recht in der Arbeit an den sittlichen Aufgaben, die der
Gemeinschaft zuerst, und nur durch sie den Einzelnen ge-
stellt sind.
Aber die sittliche Verfassung des Gemeinschaftslebens
selbst muss der des Individuallebens genau entsprechen. Hat
doch die Gemeinschaft kein Leben anders als im Leben der
Einzelnen, so wie es umgekehrt ein menschliches Leben des
Einzelnen nicht anders giebt als in menschlicher Gemeinschaft
und durch Teilnahme an ihr. Weder die Grundformen der
Aktivität noch deren Tugenden können daher andre sein für
die Gemeinschaft als für den Einzelnen. Nur, während bisher
der Einzelne für sich und im Verhältnis zum andern ebenso
isoliert gedachten Einzelnen, wiewohl immer unter stillschwei-
gender Voraussetzung der Teilnahme an der Gemeinschaft er-
wogen wurde, ist jetzt das menschliche Leben, das zwar
immer Leben der Einzelnen bleibt, ins Auge zu fassen als
Leben der Gemeinschaft, nicht isolierter Einzelner. Und da
es auf die Gemeinschaft jetzt gerade ankommt, so darf die
Erwägung auch bei irgend welchen zufälligen und begrenzten
Beziehungen unter Einzelnen nicht stehen bleiben, sondern
muss ihren Horizont erweitern durch Beachtung der im Grund-
gesetz des Bewusstseinslebens eingeschlossenen Tendenz zur
Gemeinschaft überhaupt, die keine andre Grenze ihrer Erwei-
terung anerkennt als das Ganze der Menschheit.
Die Gemeinschaftsbeziehung muss sich nun gleichmässig
auf alle drei Grundfaktoren der menschlichen Aktivität er-
strecken. Das folgt schon aus dem Verhältnis, das unter diesen
überhaupt obwaltet. Die Gemeinschaft würde sich auf die
Thätigkeit der Vernunft nicht beziehen können, wenn sie sich
nicht zuvor auf den Willen erstreckte, und nicht auf diesen,
wenn sie nicht bis zum Triebleben herabreichte. Denn die
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/148>, abgerufen am 27.11.2024.
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