und schliesslich internationaler Beziehungen, unwidersprechlich bewiesen, und es lässt sich mit zweifelloser Bestimmtheit vor- hersagen, dass er sich ferner und mit wachsendem Zwange so beweisen wird. Der vergrösserte Maasstab der Beschaffung der Lebensbedingungen erzwingt einen entsprechend grösseren Maasstab der sozialen Ordnungen. Diese haben ja keine andre letzte Materie als die soziale Arbeit; wird diese nun infolge der Entwicklung der Technik auf einen neuen, immer breiteren Boden gestellt, so können die sozialen Ordnungen nicht dauernd auf den alten Grundlagen stehen bleiben; der neue Gehalt muss die alten Formen endlich sprengen, um sich angemessenere zu schaffen. Auch hier ist zwingender Zusammenhang, und er zeigt sich umso zwingender, nicht je weniger, sondern je mehr man den Anteil von Bewusstsein und Willen dabei in Rechnung zieht; wie sollten sie ein Gesetz, das seinen letzten Ursprung im Bewusstsein hat, nicht auch als ihr eigenes Ge- setz erkennen und nur desto nachdrücklicher zur Geltung bringen?
Somit drängt dieselbe Entwicklung, die zur immer ein- heitlicheren Erfassung der naturwissenschaftlichen und tech- nischen Probleme trieb, auch zur immer einheitlicheren Lösung der Probleme sozialer Organisation. Organisation, das ist eigentlich nur der kurz zusammenfassende Ausdruck jener Dreieinheit der Grundgesetze der Entwicklung in sozialtech- nicher Hinsicht: fortschreitende Vereinheitlichung, doch ohne Unterdrückung, vielmehr erst zur vollen Befreiung der Indi- vidualitäten, durch Herstellung eines möglichst stetigen Ueber- gangs von Glied zu Glied, in allmählicher Ausmerzung der schroffen sozialen Diskontinuitäten, die eine so sichtliche Quelle gefährlichster Erschütterungen des Gemeinschaftslebens sind. Wie die Natur sich der unaufhaltsam vordringenden Forschung in mehr und mehr "organischer" Einheit enthüllt, wie die Technik sich zusehends organisiert, so drängen erst recht die sozialen Ordnungen, die mehr und mehr den Charakter willent- licher Regelung annehmen, eben deshalb zu immer organi- scheren Formen. Im Ideal des "Sozialismus" wird nur meist zu einseitig der Faktor der Generalisation (Zentralisation) der
und schliesslich internationaler Beziehungen, unwidersprechlich bewiesen, und es lässt sich mit zweifelloser Bestimmtheit vor- hersagen, dass er sich ferner und mit wachsendem Zwange so beweisen wird. Der vergrösserte Maasstab der Beschaffung der Lebensbedingungen erzwingt einen entsprechend grösseren Maasstab der sozialen Ordnungen. Diese haben ja keine andre letzte Materie als die soziale Arbeit; wird diese nun infolge der Entwicklung der Technik auf einen neuen, immer breiteren Boden gestellt, so können die sozialen Ordnungen nicht dauernd auf den alten Grundlagen stehen bleiben; der neue Gehalt muss die alten Formen endlich sprengen, um sich angemessenere zu schaffen. Auch hier ist zwingender Zusammenhang, und er zeigt sich umso zwingender, nicht je weniger, sondern je mehr man den Anteil von Bewusstsein und Willen dabei in Rechnung zieht; wie sollten sie ein Gesetz, das seinen letzten Ursprung im Bewusstsein hat, nicht auch als ihr eigenes Ge- setz erkennen und nur desto nachdrücklicher zur Geltung bringen?
Somit drängt dieselbe Entwicklung, die zur immer ein- heitlicheren Erfassung der naturwissenschaftlichen und tech- nischen Probleme trieb, auch zur immer einheitlicheren Lösung der Probleme sozialer Organisation. Organisation, das ist eigentlich nur der kurz zusammenfassende Ausdruck jener Dreieinheit der Grundgesetze der Entwicklung in sozialtech- nicher Hinsicht: fortschreitende Vereinheitlichung, doch ohne Unterdrückung, vielmehr erst zur vollen Befreiung der Indi- vidualitäten, durch Herstellung eines möglichst stetigen Ueber- gangs von Glied zu Glied, in allmählicher Ausmerzung der schroffen sozialen Diskontinuitäten, die eine so sichtliche Quelle gefährlichster Erschütterungen des Gemeinschaftslebens sind. Wie die Natur sich der unaufhaltsam vordringenden Forschung in mehr und mehr „organischer“ Einheit enthüllt, wie die Technik sich zusehends organisiert, so drängen erst recht die sozialen Ordnungen, die mehr und mehr den Charakter willent- licher Regelung annehmen, eben deshalb zu immer organi- scheren Formen. Im Ideal des „Sozialismus“ wird nur meist zu einseitig der Faktor der Generalisation (Zentralisation) der
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und schliesslich internationaler Beziehungen, unwidersprechlich
bewiesen, und es lässt sich mit zweifelloser Bestimmtheit vor-
hersagen, dass er sich ferner und mit wachsendem Zwange so
beweisen wird. Der vergrösserte Maasstab der Beschaffung
der Lebensbedingungen erzwingt einen entsprechend grösseren
Maasstab der sozialen Ordnungen. Diese haben ja keine andre
letzte Materie als die soziale Arbeit; wird diese nun infolge
der Entwicklung der Technik auf einen neuen, immer breiteren
Boden gestellt, so können die sozialen Ordnungen nicht dauernd
auf den alten Grundlagen stehen bleiben; der neue Gehalt
muss die alten Formen endlich sprengen, um sich angemessenere
zu schaffen. Auch hier ist zwingender Zusammenhang, und
er zeigt sich umso zwingender, nicht je weniger, sondern je
mehr man den Anteil von Bewusstsein und Willen dabei in
Rechnung zieht; wie sollten sie ein Gesetz, das seinen letzten
Ursprung im Bewusstsein hat, nicht auch als ihr eigenes Ge-
setz erkennen und nur desto nachdrücklicher zur Geltung
bringen?
Somit drängt dieselbe Entwicklung, die zur immer ein-
heitlicheren Erfassung der naturwissenschaftlichen und tech-
nischen Probleme trieb, auch zur immer einheitlicheren Lösung
der Probleme sozialer Organisation. Organisation, das ist
eigentlich nur der kurz zusammenfassende Ausdruck jener
Dreieinheit der Grundgesetze der Entwicklung in sozialtech-
nicher Hinsicht: fortschreitende Vereinheitlichung, doch ohne
Unterdrückung, vielmehr erst zur vollen Befreiung der Indi-
vidualitäten, durch Herstellung eines möglichst stetigen Ueber-
gangs von Glied zu Glied, in allmählicher Ausmerzung der
schroffen sozialen Diskontinuitäten, die eine so sichtliche Quelle
gefährlichster Erschütterungen des Gemeinschaftslebens sind.
Wie die Natur sich der unaufhaltsam vordringenden Forschung
in mehr und mehr „organischer“ Einheit enthüllt, wie die
Technik sich zusehends organisiert, so drängen erst recht die
sozialen Ordnungen, die mehr und mehr den Charakter willent-
licher Regelung annehmen, eben deshalb zu immer organi-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/188>, abgerufen am 04.12.2024.
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