§ 20. Soziale Organisationen zur Willenserziehung: 1. Das Haus.
Das wesentliche Mittel zur Willenserziehung ist die Or- ganisation der Gemeinschaft. Darin ist alles zusammen- gefasst: die Organisation der Arbeit, die rechtliche Organisation, die Organisation der Bildung. Jeder Fortschritt in einer dieser Richtungen ist zugleich bedingt durch und bedingend für den Fortschritt in allen. Der zuletzt entscheidende Fortschritt aber ist der des Bewusstseins. Auch der wirtschaftliche Fort- schritt ist zuletzt Fortschritt in der Beherrschung der Natur- kräfte, einschliessend die Naturkräfte des Menschen, durch Menschenwillen und Menschenverstand; und dasselbe gilt vom Fortschritt der gesellschaftlichen Organisation, einer zweiten Technik, die noch unmittelbarer und greifbarer der Herrschaft menschlicher Einsicht und Willensthat unterstellt ist. Dass diese sich in der rechten Weise entwickeln, ist daher sozu- sagen die einzige grosse Sorge der Menschheit. Und zwar liegt der Schwerpunkt der Menschenbildung in der Erziehung des Willens, von der die des Intellekts, ja auch der Phantasie und des Gefühls, untrennbar und wesentlich abhängig ist.
Nun kennen wir die natürliche Stufenfolge der Willensentwicklung: durch Trieb und Entschliessung zum Einheitsbewusstsein praktischer Vernunft. Es ist eine klare Notwendigkeit, dass die Folge dieser drei Stufen auch im Erziehungsgange des Willens zu Tage tritt. Zwar muss
Natorp, Sozialpädagogik. 13
§ 20. Soziale Organisationen zur Willenserziehung: 1. Das Haus.
Das wesentliche Mittel zur Willenserziehung ist die Or- ganisation der Gemeinschaft. Darin ist alles zusammen- gefasst: die Organisation der Arbeit, die rechtliche Organisation, die Organisation der Bildung. Jeder Fortschritt in einer dieser Richtungen ist zugleich bedingt durch und bedingend für den Fortschritt in allen. Der zuletzt entscheidende Fortschritt aber ist der des Bewusstseins. Auch der wirtschaftliche Fort- schritt ist zuletzt Fortschritt in der Beherrschung der Natur- kräfte, einschliessend die Naturkräfte des Menschen, durch Menschenwillen und Menschenverstand; und dasselbe gilt vom Fortschritt der gesellschaftlichen Organisation, einer zweiten Technik, die noch unmittelbarer und greifbarer der Herrschaft menschlicher Einsicht und Willensthat unterstellt ist. Dass diese sich in der rechten Weise entwickeln, ist daher sozu- sagen die einzige grosse Sorge der Menschheit. Und zwar liegt der Schwerpunkt der Menschenbildung in der Erziehung des Willens, von der die des Intellekts, ja auch der Phantasie und des Gefühls, untrennbar und wesentlich abhängig ist.
Nun kennen wir die natürliche Stufenfolge der Willensentwicklung: durch Trieb und Entschliessung zum Einheitsbewusstsein praktischer Vernunft. Es ist eine klare Notwendigkeit, dass die Folge dieser drei Stufen auch im Erziehungsgange des Willens zu Tage tritt. Zwar muss
Natorp, Sozialpädagogik. 13
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0209"n="[193]"/><divn="2"><head>§ 20.<lb/><hirendition="#b">Soziale Organisationen zur Willenserziehung: 1. Das Haus.</hi></head><lb/><p>Das wesentliche Mittel zur Willenserziehung ist die <hirendition="#g">Or-<lb/>
ganisation der Gemeinschaft</hi>. Darin ist alles zusammen-<lb/>
gefasst: die Organisation der Arbeit, die rechtliche Organisation,<lb/>
die Organisation der Bildung. Jeder Fortschritt in einer dieser<lb/>
Richtungen ist zugleich bedingt durch und bedingend für den<lb/>
Fortschritt in allen. Der zuletzt entscheidende Fortschritt<lb/>
aber ist der des Bewusstseins. Auch der wirtschaftliche Fort-<lb/>
schritt ist zuletzt Fortschritt in der Beherrschung der Natur-<lb/>
kräfte, einschliessend die Naturkräfte des Menschen, durch<lb/>
Menschenwillen und Menschenverstand; und dasselbe gilt vom<lb/>
Fortschritt der gesellschaftlichen Organisation, einer zweiten<lb/>
Technik, die noch unmittelbarer und greifbarer der Herrschaft<lb/>
menschlicher Einsicht und Willensthat unterstellt ist. Dass<lb/>
diese sich in der rechten Weise entwickeln, ist daher sozu-<lb/>
sagen die einzige grosse Sorge der Menschheit. Und zwar<lb/>
liegt der Schwerpunkt der Menschenbildung in der Erziehung<lb/>
des Willens, von der die des Intellekts, ja auch der Phantasie<lb/>
und des Gefühls, untrennbar und wesentlich abhängig ist.</p><lb/><p>Nun kennen wir die natürliche <hirendition="#g">Stufenfolge der<lb/>
Willensentwicklung</hi>: durch Trieb und Entschliessung<lb/>
zum Einheitsbewusstsein praktischer Vernunft. Es ist eine<lb/>
klare Notwendigkeit, dass die Folge dieser drei Stufen auch<lb/>
im Erziehungsgange des Willens zu Tage tritt. Zwar muss<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Natorp</hi>, Sozialpädagogik. 13</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[193]/0209]
§ 20.
Soziale Organisationen zur Willenserziehung: 1. Das Haus.
Das wesentliche Mittel zur Willenserziehung ist die Or-
ganisation der Gemeinschaft. Darin ist alles zusammen-
gefasst: die Organisation der Arbeit, die rechtliche Organisation,
die Organisation der Bildung. Jeder Fortschritt in einer dieser
Richtungen ist zugleich bedingt durch und bedingend für den
Fortschritt in allen. Der zuletzt entscheidende Fortschritt
aber ist der des Bewusstseins. Auch der wirtschaftliche Fort-
schritt ist zuletzt Fortschritt in der Beherrschung der Natur-
kräfte, einschliessend die Naturkräfte des Menschen, durch
Menschenwillen und Menschenverstand; und dasselbe gilt vom
Fortschritt der gesellschaftlichen Organisation, einer zweiten
Technik, die noch unmittelbarer und greifbarer der Herrschaft
menschlicher Einsicht und Willensthat unterstellt ist. Dass
diese sich in der rechten Weise entwickeln, ist daher sozu-
sagen die einzige grosse Sorge der Menschheit. Und zwar
liegt der Schwerpunkt der Menschenbildung in der Erziehung
des Willens, von der die des Intellekts, ja auch der Phantasie
und des Gefühls, untrennbar und wesentlich abhängig ist.
Nun kennen wir die natürliche Stufenfolge der
Willensentwicklung: durch Trieb und Entschliessung
zum Einheitsbewusstsein praktischer Vernunft. Es ist eine
klare Notwendigkeit, dass die Folge dieser drei Stufen auch
im Erziehungsgange des Willens zu Tage tritt. Zwar muss
Natorp, Sozialpädagogik. 13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. [193]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/209>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.