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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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würde sich, auch bei allem Verzicht auf religiöse Bedeutung,
wohl unwillkürlich dem Vorbild einer religiösen Feier an-
schliessen, oder einzelne Züge wenigstens, die auf religiösem
Grunde ursprünglich erwachsen sind, gleichsam rudimentär be-
wahren. Nur, während das religiöse Symbol als heilig, d. i.
für alle und in alle Zeit verbindlich gelten will, würde jene
freie Symbolik sich ihrer Willkürlichkeit und Wandelbarkeit
bewusst bleiben; unverletzlich gälte ihr allein der Sinn, den
sie darstellen will, nicht die Darstellung.

Indem wir auf die Existenz und gute Begründung einer
solchen Symbolik der sittlichen Gemeinschaft ausdrücklich hin-
weisen, sind wir uns doch darüber klar, dass sie zum gegen-
wärtigen Zweck nichts oder nur Nebensächliches beiträgt.
Nicht nach dem äusseren Ausdruck einer vorhandenen inneren
Gemeinschaft ist jetzt die Frage, sondern nach einer Organi-
sation, die geeignet ist sie allererst herbeizuführen. Wirtschaft
und Recht und die ihnen entsprechenden Bildungsorganisationen
bereiten für sie den Boden, aber reichen noch nicht bis zu
ihr hin. Jenes ästhetische Mittel aber mag zwar im Zusammen-
hang mit anderen, tiefer eingreifenden Erziehungsmitteln eine
gewisse pädagogische Kraft entfalten, aber keinesfalls kann es
das erste und entscheidende Mittel der sittlichen Erziehung
der dem Haus und der Schule Entwachsenen sein. Es kann
Einheit der Gesinnung nicht ursprünglich bewirken, sondern
setzt sie schon voraus.

Nun handelt es sich hier um nichts Andres als die Voll-
endung menschlicher Bildung
. Es handelt sich darum,
dass als Zweck des Menschendaseins, und zwar jedes, auch
des geringsten, nicht Wirtschaft und Recht, nicht das Leben
der Arbeit allein und das öffentliche Leben, sondern die Höhe
des Menschentums selbst thatsächlich und nicht bloss theoretisch
zur Anerkennung gebracht werden muss. Diese Vollendung
des Menschentums ist aber nicht zu denken als eine angebbare
Summe oder ein geschlossener Inbegriff von wissenschaftlichen
Einsichten und technischen Fähigkeiten, Willensbestimmtheiten
und Handlungsweisen, ästhetischen Auffassungen und Leistungen,
und was man sonst noch aufzählen mag; sondern sie schliesst

würde sich, auch bei allem Verzicht auf religiöse Bedeutung,
wohl unwillkürlich dem Vorbild einer religiösen Feier an-
schliessen, oder einzelne Züge wenigstens, die auf religiösem
Grunde ursprünglich erwachsen sind, gleichsam rudimentär be-
wahren. Nur, während das religiöse Symbol als heilig, d. i.
für alle und in alle Zeit verbindlich gelten will, würde jene
freie Symbolik sich ihrer Willkürlichkeit und Wandelbarkeit
bewusst bleiben; unverletzlich gälte ihr allein der Sinn, den
sie darstellen will, nicht die Darstellung.

Indem wir auf die Existenz und gute Begründung einer
solchen Symbolik der sittlichen Gemeinschaft ausdrücklich hin-
weisen, sind wir uns doch darüber klar, dass sie zum gegen-
wärtigen Zweck nichts oder nur Nebensächliches beiträgt.
Nicht nach dem äusseren Ausdruck einer vorhandenen inneren
Gemeinschaft ist jetzt die Frage, sondern nach einer Organi-
sation, die geeignet ist sie allererst herbeizuführen. Wirtschaft
und Recht und die ihnen entsprechenden Bildungsorganisationen
bereiten für sie den Boden, aber reichen noch nicht bis zu
ihr hin. Jenes ästhetische Mittel aber mag zwar im Zusammen-
hang mit anderen, tiefer eingreifenden Erziehungsmitteln eine
gewisse pädagogische Kraft entfalten, aber keinesfalls kann es
das erste und entscheidende Mittel der sittlichen Erziehung
der dem Haus und der Schule Entwachsenen sein. Es kann
Einheit der Gesinnung nicht ursprünglich bewirken, sondern
setzt sie schon voraus.

Nun handelt es sich hier um nichts Andres als die Voll-
endung menschlicher Bildung
. Es handelt sich darum,
dass als Zweck des Menschendaseins, und zwar jedes, auch
des geringsten, nicht Wirtschaft und Recht, nicht das Leben
der Arbeit allein und das öffentliche Leben, sondern die Höhe
des Menschentums selbst thatsächlich und nicht bloss theoretisch
zur Anerkennung gebracht werden muss. Diese Vollendung
des Menschentums ist aber nicht zu denken als eine angebbare
Summe oder ein geschlossener Inbegriff von wissenschaftlichen
Einsichten und technischen Fähigkeiten, Willensbestimmtheiten
und Handlungsweisen, ästhetischen Auffassungen und Leistungen,
und was man sonst noch aufzählen mag; sondern sie schliesst

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[215/0231] würde sich, auch bei allem Verzicht auf religiöse Bedeutung, wohl unwillkürlich dem Vorbild einer religiösen Feier an- schliessen, oder einzelne Züge wenigstens, die auf religiösem Grunde ursprünglich erwachsen sind, gleichsam rudimentär be- wahren. Nur, während das religiöse Symbol als heilig, d. i. für alle und in alle Zeit verbindlich gelten will, würde jene freie Symbolik sich ihrer Willkürlichkeit und Wandelbarkeit bewusst bleiben; unverletzlich gälte ihr allein der Sinn, den sie darstellen will, nicht die Darstellung. Indem wir auf die Existenz und gute Begründung einer solchen Symbolik der sittlichen Gemeinschaft ausdrücklich hin- weisen, sind wir uns doch darüber klar, dass sie zum gegen- wärtigen Zweck nichts oder nur Nebensächliches beiträgt. Nicht nach dem äusseren Ausdruck einer vorhandenen inneren Gemeinschaft ist jetzt die Frage, sondern nach einer Organi- sation, die geeignet ist sie allererst herbeizuführen. Wirtschaft und Recht und die ihnen entsprechenden Bildungsorganisationen bereiten für sie den Boden, aber reichen noch nicht bis zu ihr hin. Jenes ästhetische Mittel aber mag zwar im Zusammen- hang mit anderen, tiefer eingreifenden Erziehungsmitteln eine gewisse pädagogische Kraft entfalten, aber keinesfalls kann es das erste und entscheidende Mittel der sittlichen Erziehung der dem Haus und der Schule Entwachsenen sein. Es kann Einheit der Gesinnung nicht ursprünglich bewirken, sondern setzt sie schon voraus. Nun handelt es sich hier um nichts Andres als die Voll- endung menschlicher Bildung. Es handelt sich darum, dass als Zweck des Menschendaseins, und zwar jedes, auch des geringsten, nicht Wirtschaft und Recht, nicht das Leben der Arbeit allein und das öffentliche Leben, sondern die Höhe des Menschentums selbst thatsächlich und nicht bloss theoretisch zur Anerkennung gebracht werden muss. Diese Vollendung des Menschentums ist aber nicht zu denken als eine angebbare Summe oder ein geschlossener Inbegriff von wissenschaftlichen Einsichten und technischen Fähigkeiten, Willensbestimmtheiten und Handlungsweisen, ästhetischen Auffassungen und Leistungen, und was man sonst noch aufzählen mag; sondern sie schliesst

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/231>, abgerufen am 24.11.2024.