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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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Gemeinschaft stellt, das Leben der Gemeinschaft in seinen
mancherlei Richtungen ganz der Erziehung dienstbar wird;
dass alles zugleich, die wirtschaftlich-rechtliche Verfassung, eine
sehr systematische Pflege der Wissenschaft, eine an wohler-
kannte, zugleich sittlich zuträgliche Gesetze gebundene, nicht
minder das ganze Leben der Gemeinschaft durchdringende,
selbst zum Leben gewordene Kunst, und als Folge aus dem
allen eine einstimmige Ordnung auch des häuslichen Lebens
bis selbst zum Verkehr der Geschlechter und der Aufzucht
der Kinder, zu einem und demselben Ende: der reinen Ge-
meinschaft im Erkennen und Wollen des einen, ewigen Guten
zusammenwirkt; so dass auch, wer nicht bis zur höchsten
Stufe (der "Philosophie", wie Plato sagt) durchdringt, doch
durch den ganzen Zug des Lebens in solcher Gemeinschaft
gleichsam mitfortgetragen und durch Sitte und richtigen In-
stinkt zu einer Lebensführung geleitet wird, wie sie den höch-
sten Zwecken der Gesamtheit entspricht oder doch nicht wider-
spricht.

Was am Ideale Platos der Korrektur bedarf, ist schon
gesagt: er hat die Bedeutung des wirtschaftlichen sowohl als
des politischen Faktors des sozialen Lebens, namentlich an-
fangs, nicht in vollem Umfang erkennen können. Zwar be-
richtigt sich der Fehler zum Teil schon bei ihm selbst wieder;
und Morus hat die nötige Korrektur mit sicherer Hand voll-
zogen. Aber doch bleibt es nötig, auf diesen Fehler ausdrück-
lich hinzuweisen, da das mittelalterliche Christentum, das unter
uns ja immer noch über eine ungeheure Macht gebietet, ihn
wiederholt und noch verschärft hat.

Ueberhaupt wird eine Auseinandersetzung mit der Reli-
gion
*) an dieser Stelle um so dringlicher, je sichtlicher sich
unser Ideal mit ihren uralten Forderungen berührt. Die neue
Bedeutung, die die Religion in den sozialen Kämpfen unsrer
Tage unleugbar gewonnen hat, beruht vielleicht gar nicht auf
einer wirklichen religiösen Erneuerung, von der man doch

*) Vgl. "Religion innerhalb der Grenzen der Humanität", bes. Kap. 5;
und unten § 34.

Gemeinschaft stellt, das Leben der Gemeinschaft in seinen
mancherlei Richtungen ganz der Erziehung dienstbar wird;
dass alles zugleich, die wirtschaftlich-rechtliche Verfassung, eine
sehr systematische Pflege der Wissenschaft, eine an wohler-
kannte, zugleich sittlich zuträgliche Gesetze gebundene, nicht
minder das ganze Leben der Gemeinschaft durchdringende,
selbst zum Leben gewordene Kunst, und als Folge aus dem
allen eine einstimmige Ordnung auch des häuslichen Lebens
bis selbst zum Verkehr der Geschlechter und der Aufzucht
der Kinder, zu einem und demselben Ende: der reinen Ge-
meinschaft im Erkennen und Wollen des einen, ewigen Guten
zusammenwirkt; so dass auch, wer nicht bis zur höchsten
Stufe (der „Philosophie“, wie Plato sagt) durchdringt, doch
durch den ganzen Zug des Lebens in solcher Gemeinschaft
gleichsam mitfortgetragen und durch Sitte und richtigen In-
stinkt zu einer Lebensführung geleitet wird, wie sie den höch-
sten Zwecken der Gesamtheit entspricht oder doch nicht wider-
spricht.

Was am Ideale Platos der Korrektur bedarf, ist schon
gesagt: er hat die Bedeutung des wirtschaftlichen sowohl als
des politischen Faktors des sozialen Lebens, namentlich an-
fangs, nicht in vollem Umfang erkennen können. Zwar be-
richtigt sich der Fehler zum Teil schon bei ihm selbst wieder;
und Morus hat die nötige Korrektur mit sicherer Hand voll-
zogen. Aber doch bleibt es nötig, auf diesen Fehler ausdrück-
lich hinzuweisen, da das mittelalterliche Christentum, das unter
uns ja immer noch über eine ungeheure Macht gebietet, ihn
wiederholt und noch verschärft hat.

Ueberhaupt wird eine Auseinandersetzung mit der Reli-
gion
*) an dieser Stelle um so dringlicher, je sichtlicher sich
unser Ideal mit ihren uralten Forderungen berührt. Die neue
Bedeutung, die die Religion in den sozialen Kämpfen unsrer
Tage unleugbar gewonnen hat, beruht vielleicht gar nicht auf
einer wirklichen religiösen Erneuerung, von der man doch

*) Vgl. „Religion innerhalb der Grenzen der Humanität“, bes. Kap. 5;
und unten § 34.
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[221/0237] Gemeinschaft stellt, das Leben der Gemeinschaft in seinen mancherlei Richtungen ganz der Erziehung dienstbar wird; dass alles zugleich, die wirtschaftlich-rechtliche Verfassung, eine sehr systematische Pflege der Wissenschaft, eine an wohler- kannte, zugleich sittlich zuträgliche Gesetze gebundene, nicht minder das ganze Leben der Gemeinschaft durchdringende, selbst zum Leben gewordene Kunst, und als Folge aus dem allen eine einstimmige Ordnung auch des häuslichen Lebens bis selbst zum Verkehr der Geschlechter und der Aufzucht der Kinder, zu einem und demselben Ende: der reinen Ge- meinschaft im Erkennen und Wollen des einen, ewigen Guten zusammenwirkt; so dass auch, wer nicht bis zur höchsten Stufe (der „Philosophie“, wie Plato sagt) durchdringt, doch durch den ganzen Zug des Lebens in solcher Gemeinschaft gleichsam mitfortgetragen und durch Sitte und richtigen In- stinkt zu einer Lebensführung geleitet wird, wie sie den höch- sten Zwecken der Gesamtheit entspricht oder doch nicht wider- spricht. Was am Ideale Platos der Korrektur bedarf, ist schon gesagt: er hat die Bedeutung des wirtschaftlichen sowohl als des politischen Faktors des sozialen Lebens, namentlich an- fangs, nicht in vollem Umfang erkennen können. Zwar be- richtigt sich der Fehler zum Teil schon bei ihm selbst wieder; und Morus hat die nötige Korrektur mit sicherer Hand voll- zogen. Aber doch bleibt es nötig, auf diesen Fehler ausdrück- lich hinzuweisen, da das mittelalterliche Christentum, das unter uns ja immer noch über eine ungeheure Macht gebietet, ihn wiederholt und noch verschärft hat. Ueberhaupt wird eine Auseinandersetzung mit der Reli- gion *) an dieser Stelle um so dringlicher, je sichtlicher sich unser Ideal mit ihren uralten Forderungen berührt. Die neue Bedeutung, die die Religion in den sozialen Kämpfen unsrer Tage unleugbar gewonnen hat, beruht vielleicht gar nicht auf einer wirklichen religiösen Erneuerung, von der man doch *) Vgl. „Religion innerhalb der Grenzen der Humanität“, bes. Kap. 5; und unten § 34.

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/237>, abgerufen am 24.11.2024.