arbeit, wie sie innerhalb jener Organisationen und unter ihrer fortwährenden Einwirkung, aber unmittelbar durch Einzelne an Einzelnen vollbracht wird, zu erforschen und unter allgemeine Gesetze zu bringen. Und zwar fordert zuerst die Form der willenbildenden Thätigkeit eine eigene Untersuchung. Es fragt sich, in welcher allgemeinen Art vollzieht sich die Erziehung des Willens, was ist das Allgemeine des Thuns hierbei, von seiten des Erziehers und von seiten des Zöglings?
Auf diese Frage hat man seit alter Zeit geantwortet mit der Aufstellung der drei Grundfaktoren der Erziehung: erstlich der Natur oder Anlage des Zöglings; diese nimmt man als gegeben an; zweitens der Uebung, und drittens der Lehre. Dass von den letzteren beiden die Uebung, das unmittelbare Thun, vorangehen muss und durch die nachfolgende Lehre nur zum Bewusstsein ihrer selbst und damit zu grösserer Sicher- heit und geregelterem Fortschritt gebracht wird, ist längst erkannt und mit allem bis hierher Bewiesenen in klarem Ein- klang. Soll das Thun, ja das Wollen gelernt werden, so muss der Wille und die That erst einmal wagen sich einzu- setzen, dann erst kann die Lehre wirksam eingreifen; nur so ist es praktische Lehre, Lehre des Thuns, des Wollens selber. Sie wird selbst nur wollend begriffen, also muss man zu diesem Wollen schon vorbereitet sein; nur so kann sie dann umgekehrt das Wollen befestigen und vertiefen. Andernfalls mehrt sie nur den unnützen Ballast eines Wissens, das man mitschleppt, ohne es in Fleisch und Blut zu wandeln. Umgekehrt kann das Thun, und zwar von Anfang an, des Lichtes der Einsicht nicht entbehren, wenn es nicht auf Schritt und Tritt ins Un- sichere tappen und sein Ziel verfehlen soll.
Beide aber, Uebung und Lehre, müssen sich, wenn sie er- ziehend wirken sollen, in einem und demselben Elemente der Gemeinschaft verbinden. Nur in ihr wird das erziehende Thun und Ueben eingeleitet, und geht dann die Lehre daraus zwingend hervor. Das Zusammenthun fordert gegenseitige Ver- ständigung des Voranschreitenden und Nachfolgenden, die durch die gute Gewohnheit, über den zu gehenden Weg voraus Klarheit zu suchen, schrittweis zur Verständigung mit sich selbst und
Natorp, Sozialpädagogik. 15
arbeit, wie sie innerhalb jener Organisationen und unter ihrer fortwährenden Einwirkung, aber unmittelbar durch Einzelne an Einzelnen vollbracht wird, zu erforschen und unter allgemeine Gesetze zu bringen. Und zwar fordert zuerst die Form der willenbildenden Thätigkeit eine eigene Untersuchung. Es fragt sich, in welcher allgemeinen Art vollzieht sich die Erziehung des Willens, was ist das Allgemeine des Thuns hierbei, von seiten des Erziehers und von seiten des Zöglings?
Auf diese Frage hat man seit alter Zeit geantwortet mit der Aufstellung der drei Grundfaktoren der Erziehung: erstlich der Natur oder Anlage des Zöglings; diese nimmt man als gegeben an; zweitens der Uebung, und drittens der Lehre. Dass von den letzteren beiden die Uebung, das unmittelbare Thun, vorangehen muss und durch die nachfolgende Lehre nur zum Bewusstsein ihrer selbst und damit zu grösserer Sicher- heit und geregelterem Fortschritt gebracht wird, ist längst erkannt und mit allem bis hierher Bewiesenen in klarem Ein- klang. Soll das Thun, ja das Wollen gelernt werden, so muss der Wille und die That erst einmal wagen sich einzu- setzen, dann erst kann die Lehre wirksam eingreifen; nur so ist es praktische Lehre, Lehre des Thuns, des Wollens selber. Sie wird selbst nur wollend begriffen, also muss man zu diesem Wollen schon vorbereitet sein; nur so kann sie dann umgekehrt das Wollen befestigen und vertiefen. Andernfalls mehrt sie nur den unnützen Ballast eines Wissens, das man mitschleppt, ohne es in Fleisch und Blut zu wandeln. Umgekehrt kann das Thun, und zwar von Anfang an, des Lichtes der Einsicht nicht entbehren, wenn es nicht auf Schritt und Tritt ins Un- sichere tappen und sein Ziel verfehlen soll.
Beide aber, Uebung und Lehre, müssen sich, wenn sie er- ziehend wirken sollen, in einem und demselben Elemente der Gemeinschaft verbinden. Nur in ihr wird das erziehende Thun und Ueben eingeleitet, und geht dann die Lehre daraus zwingend hervor. Das Zusammenthun fordert gegenseitige Ver- ständigung des Voranschreitenden und Nachfolgenden, die durch die gute Gewohnheit, über den zu gehenden Weg voraus Klarheit zu suchen, schrittweis zur Verständigung mit sich selbst und
Natorp, Sozialpädagogik. 15
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Gesetze zu bringen. Und zwar fordert zuerst die Form der
willenbildenden Thätigkeit eine eigene Untersuchung. Es fragt
sich, in welcher allgemeinen Art vollzieht sich die Erziehung
des Willens, was ist das Allgemeine des Thuns hierbei, von
seiten des Erziehers und von seiten des Zöglings?
Auf diese Frage hat man seit alter Zeit geantwortet mit
der Aufstellung der drei Grundfaktoren der Erziehung: erstlich
der Natur oder Anlage des Zöglings; diese nimmt man als
gegeben an; zweitens der Uebung, und drittens der Lehre.
Dass von den letzteren beiden die Uebung, das unmittelbare
Thun, vorangehen muss und durch die nachfolgende Lehre nur
zum Bewusstsein ihrer selbst und damit zu grösserer Sicher-
heit und geregelterem Fortschritt gebracht wird, ist längst
erkannt und mit allem bis hierher Bewiesenen in klarem Ein-
klang. Soll das Thun, ja das Wollen gelernt werden, so
muss der Wille und die That erst einmal wagen sich einzu-
setzen, dann erst kann die Lehre wirksam eingreifen; nur so
ist es praktische Lehre, Lehre des Thuns, des Wollens selber.
Sie wird selbst nur wollend begriffen, also muss man zu diesem
Wollen schon vorbereitet sein; nur so kann sie dann umgekehrt
das Wollen befestigen und vertiefen. Andernfalls mehrt sie
nur den unnützen Ballast eines Wissens, das man mitschleppt,
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nicht entbehren, wenn es nicht auf Schritt und Tritt ins Un-
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Beide aber, Uebung und Lehre, müssen sich, wenn sie er-
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Thun und Ueben eingeleitet, und geht dann die Lehre daraus
zwingend hervor. Das Zusammenthun fordert gegenseitige Ver-
ständigung des Voranschreitenden und Nachfolgenden, die durch
die gute Gewohnheit, über den zu gehenden Weg voraus Klarheit
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/241>, abgerufen am 18.12.2024.
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