der ersteren. Es soll denn jetzt noch das Eigentümliche der Lehre in formaler Hinsicht erwogen, und damit zugleich der Uebergang zur materialen Betrachtung der Erziehungsarbeit gemacht werden. Das Materiale der Willensbildung findet seinen natürlichen Ausdruck im Inhalt der praktischen Lehre, obwohl es sich ebenso auf die Uebung bezieht. Denn in der Materie müssen beide sich decken.
Im Zusammenthun, im Zeigen, Helfen und vornehmlich Berichtigen geht aus der Uebung die Lehre unmittelbar her- vor. Sie ist daher anfangs nur die wörtliche Erklärung dessen, was vorgethan wird, um nachgethan zu werden. Nun aber ist es der Lehre eigen, sich aus dieser unmittelbaren Verbin- dung mit dem Thun in dem Maasse zu lösen, als die Ziele des Thuns weiter und weiter hinausrücken und so eine kom- plexere Erwägung der Zusammenhänge von Mitteln und Zwecken notwendig wird, während gleichzeitig die unmittel- bare Uebung den Grad von Festigkeit erreicht haben muss, dass sie für sich selbst der wörtlichen Lehre kaum mehr be- darf. Eben damit kann nun die Gefahr entstehen, dass die Lehre sich von der Uebung überhaupt loslöst. Sie scheint leicht in dieser Loslösung sich als Theorie erst zu vollenden. Aber desto unwirksamer wird sie für die Praxis. Vor dieser Gefahr ist nachdrücklich zu warnen.
Soll die Lehre im rechten Sinne praktisch sein, d. i. von der Uebung ausgehen und zu ihr zurückkehren, so muss sie der logischen Form nach Induktion sein. Nun genügt als Grundlage einer zulänglichen Induktion freilich nicht die eigene Uebung und unmittelbare Erfahrung des Zög- lings; sie ist vielmehr, nach Herbarts richtiger Vorschrift und der guten Praxis aller Zeiten, zu erweitern durch Unter- richt. Aber um so wichtiger ist es, dass im Unterricht selbst die Anknüpfung an die eigene Erfahrung und schliesslich an die Uebung nicht verloren geht; dass auch das Fernste, das die Lehre bloss mitteilend in den Gesichtskreis des Lernenden rückt, mit dem Nahen in kontinuierliche Verbindung tritt. So greift hier der Unterricht, auch nach der Intellektseite, in die Willenserziehung tief ein; insoweit bleibt Herbart im Recht;
der ersteren. Es soll denn jetzt noch das Eigentümliche der Lehre in formaler Hinsicht erwogen, und damit zugleich der Uebergang zur materialen Betrachtung der Erziehungsarbeit gemacht werden. Das Materiale der Willensbildung findet seinen natürlichen Ausdruck im Inhalt der praktischen Lehre, obwohl es sich ebenso auf die Uebung bezieht. Denn in der Materie müssen beide sich decken.
Im Zusammenthun, im Zeigen, Helfen und vornehmlich Berichtigen geht aus der Uebung die Lehre unmittelbar her- vor. Sie ist daher anfangs nur die wörtliche Erklärung dessen, was vorgethan wird, um nachgethan zu werden. Nun aber ist es der Lehre eigen, sich aus dieser unmittelbaren Verbin- dung mit dem Thun in dem Maasse zu lösen, als die Ziele des Thuns weiter und weiter hinausrücken und so eine kom- plexere Erwägung der Zusammenhänge von Mitteln und Zwecken notwendig wird, während gleichzeitig die unmittel- bare Uebung den Grad von Festigkeit erreicht haben muss, dass sie für sich selbst der wörtlichen Lehre kaum mehr be- darf. Eben damit kann nun die Gefahr entstehen, dass die Lehre sich von der Uebung überhaupt loslöst. Sie scheint leicht in dieser Loslösung sich als Theorie erst zu vollenden. Aber desto unwirksamer wird sie für die Praxis. Vor dieser Gefahr ist nachdrücklich zu warnen.
Soll die Lehre im rechten Sinne praktisch sein, d. i. von der Uebung ausgehen und zu ihr zurückkehren, so muss sie der logischen Form nach Induktion sein. Nun genügt als Grundlage einer zulänglichen Induktion freilich nicht die eigene Uebung und unmittelbare Erfahrung des Zög- lings; sie ist vielmehr, nach Herbarts richtiger Vorschrift und der guten Praxis aller Zeiten, zu erweitern durch Unter- richt. Aber um so wichtiger ist es, dass im Unterricht selbst die Anknüpfung an die eigene Erfahrung und schliesslich an die Uebung nicht verloren geht; dass auch das Fernste, das die Lehre bloss mitteilend in den Gesichtskreis des Lernenden rückt, mit dem Nahen in kontinuierliche Verbindung tritt. So greift hier der Unterricht, auch nach der Intellektseite, in die Willenserziehung tief ein; insoweit bleibt Herbart im Recht;
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der ersteren. Es soll denn jetzt noch das Eigentümliche der
Lehre in formaler Hinsicht erwogen, und damit zugleich der
Uebergang zur materialen Betrachtung der Erziehungsarbeit
gemacht werden. Das Materiale der Willensbildung findet
seinen natürlichen Ausdruck im Inhalt der praktischen Lehre,
obwohl es sich ebenso auf die Uebung bezieht. Denn in der
Materie müssen beide sich decken.
Im Zusammenthun, im Zeigen, Helfen und vornehmlich
Berichtigen geht aus der Uebung die Lehre unmittelbar her-
vor. Sie ist daher anfangs nur die wörtliche Erklärung dessen,
was vorgethan wird, um nachgethan zu werden. Nun aber
ist es der Lehre eigen, sich aus dieser unmittelbaren Verbin-
dung mit dem Thun in dem Maasse zu lösen, als die Ziele
des Thuns weiter und weiter hinausrücken und so eine kom-
plexere Erwägung der Zusammenhänge von Mitteln und
Zwecken notwendig wird, während gleichzeitig die unmittel-
bare Uebung den Grad von Festigkeit erreicht haben muss,
dass sie für sich selbst der wörtlichen Lehre kaum mehr be-
darf. Eben damit kann nun die Gefahr entstehen, dass die
Lehre sich von der Uebung überhaupt loslöst. Sie scheint
leicht in dieser Loslösung sich als Theorie erst zu vollenden.
Aber desto unwirksamer wird sie für die Praxis. Vor dieser
Gefahr ist nachdrücklich zu warnen.
Soll die Lehre im rechten Sinne praktisch sein, d. i. von
der Uebung ausgehen und zu ihr zurückkehren, so muss
sie der logischen Form nach Induktion sein. Nun
genügt als Grundlage einer zulänglichen Induktion freilich
nicht die eigene Uebung und unmittelbare Erfahrung des Zög-
lings; sie ist vielmehr, nach Herbarts richtiger Vorschrift
und der guten Praxis aller Zeiten, zu erweitern durch Unter-
richt. Aber um so wichtiger ist es, dass im Unterricht selbst
die Anknüpfung an die eigene Erfahrung und schliesslich an
die Uebung nicht verloren geht; dass auch das Fernste, das
die Lehre bloss mitteilend in den Gesichtskreis des Lernenden
rückt, mit dem Nahen in kontinuierliche Verbindung tritt. So
greift hier der Unterricht, auch nach der Intellektseite, in die
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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