es in jene sinnliche Führung ein, die wir als erste Stufe er- ziehender Gemeinschaft erkannten. Ausschliesslich hierauf be- ruht die erste Gestaltung der Liebesbeziehungen zur Umgebung, welche die wesentlichste Vorbedingung für die ganze psy- chische Weiterentwicklung besonders in ethischer Richtung, d. h. eben in der Richtung der Gemeinschaft ist. Auch die Ordnung des Affektlebens liegt für diese Stufe fast allein hierin. Wo es an Verständnis und liebender Fürsorge nicht fehlt, wird selbst ein schwierig angelegtes Kind sich von Hülfe gegen die hier drohenden ernsten Gefahren nie verlassen finden. Das gilt freilich nicht bloss vom zarten Alter, es gilt, nur nicht mehr als Einziges, sondern neben den neu hinzu- tretenden Faktoren, durch die ganze Kindheit hindurch. Ja noch Jungfrau und Jüngling wahrt sich wohl in keuscher Heim- lichkeit einen Rest davon, den kaum die Mutter wissen oder ahnen darf, noch weniger der Vater, am wenigsten die Ge- schwister, denn freilich würde es als fehlerhafte Weichheit empfunden, sobald es sich vordrängen und irgend ein Recht für sich in Anspruch nehmen wollte.
Dem mehr passiven Verhalten in allen genannten Bezieh- ungen tritt dann bald ein entschieden selbstthätiges Moment zur Seite in der, nach dem ersten schweren Anfang rasch fort- schreitenden Uebung der Sinnes- und Muskelthätigkeit, an deren Ausbildung der werdende Wille aufs stärkste beteiligt ist und also seine Kräfte daran stählt und vielseitiger ent- faltet. Der grosse Fortschritt liegt hier in der bestimmten, mehr und mehr bewussten Richtung der sinnlichen wie moto- rischen Bethätigung aufs Objekt, während in den zuvor er- wogenen Beziehungen alles in der Subjektivität des Fühlens beschlossen bleibt, allenfalls, als Mitfühlen, sich auf die fremde Subjektivität zugleich erstreckt. Mit jener Objektbeziehung ist aber schon der entscheidende erste Schritt vom Trieb zum Willen gethan, dessen Eigentümlichkeit ganz in der bewussten Objektivierung liegt. Dem Umfang nach ist es ein sehr mäch- tiger Teil der kindlichen Entwicklung, der hierher gehört. Die ganze, so viel umfassende Uebung des Blicks, des Gehörs, des Getasts, der Körperbewegungen im Greifen und Gehen,
es in jene sinnliche Führung ein, die wir als erste Stufe er- ziehender Gemeinschaft erkannten. Ausschliesslich hierauf be- ruht die erste Gestaltung der Liebesbeziehungen zur Umgebung, welche die wesentlichste Vorbedingung für die ganze psy- chische Weiterentwicklung besonders in ethischer Richtung, d. h. eben in der Richtung der Gemeinschaft ist. Auch die Ordnung des Affektlebens liegt für diese Stufe fast allein hierin. Wo es an Verständnis und liebender Fürsorge nicht fehlt, wird selbst ein schwierig angelegtes Kind sich von Hülfe gegen die hier drohenden ernsten Gefahren nie verlassen finden. Das gilt freilich nicht bloss vom zarten Alter, es gilt, nur nicht mehr als Einziges, sondern neben den neu hinzu- tretenden Faktoren, durch die ganze Kindheit hindurch. Ja noch Jungfrau und Jüngling wahrt sich wohl in keuscher Heim- lichkeit einen Rest davon, den kaum die Mutter wissen oder ahnen darf, noch weniger der Vater, am wenigsten die Ge- schwister, denn freilich würde es als fehlerhafte Weichheit empfunden, sobald es sich vordrängen und irgend ein Recht für sich in Anspruch nehmen wollte.
Dem mehr passiven Verhalten in allen genannten Bezieh- ungen tritt dann bald ein entschieden selbstthätiges Moment zur Seite in der, nach dem ersten schweren Anfang rasch fort- schreitenden Uebung der Sinnes- und Muskelthätigkeit, an deren Ausbildung der werdende Wille aufs stärkste beteiligt ist und also seine Kräfte daran stählt und vielseitiger ent- faltet. Der grosse Fortschritt liegt hier in der bestimmten, mehr und mehr bewussten Richtung der sinnlichen wie moto- rischen Bethätigung aufs Objekt, während in den zuvor er- wogenen Beziehungen alles in der Subjektivität des Fühlens beschlossen bleibt, allenfalls, als Mitfühlen, sich auf die fremde Subjektivität zugleich erstreckt. Mit jener Objektbeziehung ist aber schon der entscheidende erste Schritt vom Trieb zum Willen gethan, dessen Eigentümlichkeit ganz in der bewussten Objektivierung liegt. Dem Umfang nach ist es ein sehr mäch- tiger Teil der kindlichen Entwicklung, der hierher gehört. Die ganze, so viel umfassende Uebung des Blicks, des Gehörs, des Getasts, der Körperbewegungen im Greifen und Gehen,
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es in jene sinnliche Führung ein, die wir als erste Stufe er-
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ruht die erste Gestaltung der Liebesbeziehungen zur Umgebung,
welche die wesentlichste Vorbedingung für die ganze psy-
chische Weiterentwicklung besonders in ethischer Richtung,
d. h. eben in der Richtung der Gemeinschaft ist. Auch die
Ordnung des Affektlebens liegt für diese Stufe fast allein
hierin. Wo es an Verständnis und liebender Fürsorge nicht
fehlt, wird selbst ein schwierig angelegtes Kind sich von
Hülfe gegen die hier drohenden ernsten Gefahren nie verlassen
finden. Das gilt freilich nicht bloss vom zarten Alter, es gilt,
nur nicht mehr als Einziges, sondern neben den neu hinzu-
tretenden Faktoren, durch die ganze Kindheit hindurch. Ja
noch Jungfrau und Jüngling wahrt sich wohl in keuscher Heim-
lichkeit einen Rest davon, den kaum die Mutter wissen oder
ahnen darf, noch weniger der Vater, am wenigsten die Ge-
schwister, denn freilich würde es als fehlerhafte Weichheit
empfunden, sobald es sich vordrängen und irgend ein Recht
für sich in Anspruch nehmen wollte.
Dem mehr passiven Verhalten in allen genannten Bezieh-
ungen tritt dann bald ein entschieden selbstthätiges Moment
zur Seite in der, nach dem ersten schweren Anfang rasch fort-
schreitenden Uebung der Sinnes- und Muskelthätigkeit, an
deren Ausbildung der werdende Wille aufs stärkste beteiligt
ist und also seine Kräfte daran stählt und vielseitiger ent-
faltet. Der grosse Fortschritt liegt hier in der bestimmten,
mehr und mehr bewussten Richtung der sinnlichen wie moto-
rischen Bethätigung aufs Objekt, während in den zuvor er-
wogenen Beziehungen alles in der Subjektivität des Fühlens
beschlossen bleibt, allenfalls, als Mitfühlen, sich auf die fremde
Subjektivität zugleich erstreckt. Mit jener Objektbeziehung
ist aber schon der entscheidende erste Schritt vom Trieb zum
Willen gethan, dessen Eigentümlichkeit ganz in der bewussten
Objektivierung liegt. Dem Umfang nach ist es ein sehr mäch-
tiger Teil der kindlichen Entwicklung, der hierher gehört.
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/262>, abgerufen am 22.11.2024.
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