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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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Könnens, Unterricht ist, im Unterricht, und zwar in jedem
ohne Ausnahme, seine Anwendung. In dieser allgemeinen, auf
alle Gebiete des Intellekts ohne wesentlichen Unterschied sich
erstreckenden Beziehung wäre die völlige Einheit des Unter-
richts mit der Erziehung höchstens noch nachdrücklicher zu
betonen, als es seitens der Herbartianer geschieht, die diese
Seite der Frage kaum je beachtet, vielmehr regelmässig nur
im Materialen der Vorstellungsbildung die Grundlage der
Willenserziehung gesucht haben. Dass im Materialen aller-
dings derselbe enge Zusammenhang der Intellekt- und Willens-
bildung stattfinden muss, folgt für uns schon aus der Grund-
voraussetzung der unumschränkten Herrschaft der Form über
den Stoff, im Erkennen wie im Wollen. Nur folgt aus der-
selben Voraussetzung, dass der Zusammenhang ursprünglich
formal, nicht material begründet
ist.

Auch hier treffen wir dagegen wieder genau zusammen
mit den Gedanken Pestalozzis, nämlich mit seiner Grund-
idee der Elementarbildung, deren Kern wir eben darin sehen,
dass aller Besitz des entwickelten Menschengeistes aufgebaut
werden muss aus den ursprünglichen Elementen des ge-
setzmässigen Verfahrens, nach welchem überhaupt
das Bewusstsein seinen Gegenstand sich gestaltet
und damit erkennt
(§ 5). Wir erblicken hierin einen
Gedanken von schlechthin entscheidender Bedeutung für das
Ganze zunächst der Intellektbildung; einen Gedanken, der
durch Pestalozzi zwar nicht nach allen Seiten gleichmässig
durchgeführt, von Herbart aber gründlich verkannt und ver-
dorben worden ist. So ist die Zahl der reine Ausdruck, nicht
irgend eines in der Erfahrung vorgefundenen Gegenstandes,
oder bloss einer höchst allgemein verbreiteten Eigenschaft
solcher, sondern des gesetzlichen Verfahrens des Verstandes,
einen Gegenstand überhaupt, im Denken ursprünglich, und erst
folgeweise in der Erfahrung, als einen, zwei u. s. f. zu setzen
und solcher Setzung gemäss zu erkennen. So ist die geome-
trische Form der Objekte nicht von gegebenen Gegenständen
abgelernt oder kopiert; dies Kopieren, wenn es sonst verständ-
lich wäre, würde den Besitz der Elemente geometrischer Ge-

Könnens, Unterricht ist, im Unterricht, und zwar in jedem
ohne Ausnahme, seine Anwendung. In dieser allgemeinen, auf
alle Gebiete des Intellekts ohne wesentlichen Unterschied sich
erstreckenden Beziehung wäre die völlige Einheit des Unter-
richts mit der Erziehung höchstens noch nachdrücklicher zu
betonen, als es seitens der Herbartianer geschieht, die diese
Seite der Frage kaum je beachtet, vielmehr regelmässig nur
im Materialen der Vorstellungsbildung die Grundlage der
Willenserziehung gesucht haben. Dass im Materialen aller-
dings derselbe enge Zusammenhang der Intellekt- und Willens-
bildung stattfinden muss, folgt für uns schon aus der Grund-
voraussetzung der unumschränkten Herrschaft der Form über
den Stoff, im Erkennen wie im Wollen. Nur folgt aus der-
selben Voraussetzung, dass der Zusammenhang ursprünglich
formal, nicht material begründet
ist.

Auch hier treffen wir dagegen wieder genau zusammen
mit den Gedanken Pestalozzis, nämlich mit seiner Grund-
idee der Elementarbildung, deren Kern wir eben darin sehen,
dass aller Besitz des entwickelten Menschengeistes aufgebaut
werden muss aus den ursprünglichen Elementen des ge-
setzmässigen Verfahrens, nach welchem überhaupt
das Bewusstsein seinen Gegenstand sich gestaltet
und damit erkennt
(§ 5). Wir erblicken hierin einen
Gedanken von schlechthin entscheidender Bedeutung für das
Ganze zunächst der Intellektbildung; einen Gedanken, der
durch Pestalozzi zwar nicht nach allen Seiten gleichmässig
durchgeführt, von Herbart aber gründlich verkannt und ver-
dorben worden ist. So ist die Zahl der reine Ausdruck, nicht
irgend eines in der Erfahrung vorgefundenen Gegenstandes,
oder bloss einer höchst allgemein verbreiteten Eigenschaft
solcher, sondern des gesetzlichen Verfahrens des Verstandes,
einen Gegenstand überhaupt, im Denken ursprünglich, und erst
folgeweise in der Erfahrung, als einen, zwei u. s. f. zu setzen
und solcher Setzung gemäss zu erkennen. So ist die geome-
trische Form der Objekte nicht von gegebenen Gegenständen
abgelernt oder kopiert; dies Kopieren, wenn es sonst verständ-
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[277/0293] Könnens, Unterricht ist, im Unterricht, und zwar in jedem ohne Ausnahme, seine Anwendung. In dieser allgemeinen, auf alle Gebiete des Intellekts ohne wesentlichen Unterschied sich erstreckenden Beziehung wäre die völlige Einheit des Unter- richts mit der Erziehung höchstens noch nachdrücklicher zu betonen, als es seitens der Herbartianer geschieht, die diese Seite der Frage kaum je beachtet, vielmehr regelmässig nur im Materialen der Vorstellungsbildung die Grundlage der Willenserziehung gesucht haben. Dass im Materialen aller- dings derselbe enge Zusammenhang der Intellekt- und Willens- bildung stattfinden muss, folgt für uns schon aus der Grund- voraussetzung der unumschränkten Herrschaft der Form über den Stoff, im Erkennen wie im Wollen. Nur folgt aus der- selben Voraussetzung, dass der Zusammenhang ursprünglich formal, nicht material begründet ist. Auch hier treffen wir dagegen wieder genau zusammen mit den Gedanken Pestalozzis, nämlich mit seiner Grund- idee der Elementarbildung, deren Kern wir eben darin sehen, dass aller Besitz des entwickelten Menschengeistes aufgebaut werden muss aus den ursprünglichen Elementen des ge- setzmässigen Verfahrens, nach welchem überhaupt das Bewusstsein seinen Gegenstand sich gestaltet und damit erkennt (§ 5). Wir erblicken hierin einen Gedanken von schlechthin entscheidender Bedeutung für das Ganze zunächst der Intellektbildung; einen Gedanken, der durch Pestalozzi zwar nicht nach allen Seiten gleichmässig durchgeführt, von Herbart aber gründlich verkannt und ver- dorben worden ist. So ist die Zahl der reine Ausdruck, nicht irgend eines in der Erfahrung vorgefundenen Gegenstandes, oder bloss einer höchst allgemein verbreiteten Eigenschaft solcher, sondern des gesetzlichen Verfahrens des Verstandes, einen Gegenstand überhaupt, im Denken ursprünglich, und erst folgeweise in der Erfahrung, als einen, zwei u. s. f. zu setzen und solcher Setzung gemäss zu erkennen. So ist die geome- trische Form der Objekte nicht von gegebenen Gegenständen abgelernt oder kopiert; dies Kopieren, wenn es sonst verständ- lich wäre, würde den Besitz der Elemente geometrischer Ge-

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/293>, abgerufen am 21.11.2024.