nannten zwei; Humboldt: "Der Gewinn, welchen der Mensch an Grösse und Schönheit einerntet, wenn er unaufhörlich dahin strebt, dass sein inneres Dasein immer den ersten Platz be- haupte, dass es immer der erste Quell und das letzte Ziel alles Wirkens, und alles Körperliche und Aeussere nur Hülle und Werkzeug desselben sei, ist unabsehlich;" und Pestalozzi: "Der Eindruck der harten Abrichtungskünste [im Spinnen] war menschlich gemildert und dem Höheren des Bildenden und Erhebenden in der Erziehung unter- geordnet und durch diese Unterordnung unschädlich gemacht." Anderwärts spricht derselbe von der Unterordnung der "äusseren" Arbeit unter die "innere", auf der der Segen und die sittliche Wirkung der Arbeit überhaupt beruhe; genau mit dieser Unter- ordnung aber nimmt die Arbeit selbst ästhetischen Charakter an.
Vielleicht scheint manchem dennoch wenigstens der Ernst der Schulerziehung dem Aesthetischen ferner zu stehen. Doch möchten wir, wenn es irgend in unsrer Macht stände, den finsteren Pedanten das Gewissen schärfen, die es oft wie mit Gewalt aus der Schule fernhalten zu wollen scheinen, und damit den höchst lebendigen und im tiefsten Grunde berechtigten ästhetischen Drang der Jugend sich zum Feinde machen. An sich widerspricht nichts im Leben der Schule der Forderung ästhetischer Gestaltung, nur dass es eine besondere Seite des Aesthetischen ist, die hier beherrschend vorantritt. Das Kindische des Spiels wird verachtet; aber ist denn die Welt des Schul- kinds schon die ganze, wache Wirklichkeit? Ist es nicht auch eine Art Spielwelt, in die es eintritt, wenn auch schon auf höherer, der Wirklichkeit um einen Grad näherer Stufe? Oder ist es weniger wahr für diese als für irgend eine andre Stufe, dass dem Menschen "nur mit dem Schönen zu spielen er- laubt" sei?
Der Realismus des Schulalters scheint dem schönen Spiel zu widerstreben. Aber das Schöne hat selbst eine rea- listische Seite, und eben diese ist es, zu der die zweite Erziehungsstufe den Grund zu legen hat. Auf der ersten ver- blieb noch alles in sinnlicher Ungeschiedenheit; der ästhetische Trieb war vielleicht schon sehr lebendig, aber er war noch
Natorp, Sozialpädagogik. 21
nannten zwei; Humboldt: „Der Gewinn, welchen der Mensch an Grösse und Schönheit einerntet, wenn er unaufhörlich dahin strebt, dass sein inneres Dasein immer den ersten Platz be- haupte, dass es immer der erste Quell und das letzte Ziel alles Wirkens, und alles Körperliche und Aeussere nur Hülle und Werkzeug desselben sei, ist unabsehlich;“ und Pestalozzi: „Der Eindruck der harten Abrichtungskünste [im Spinnen] war menschlich gemildert und dem Höheren des Bildenden und Erhebenden in der Erziehung unter- geordnet und durch diese Unterordnung unschädlich gemacht.“ Anderwärts spricht derselbe von der Unterordnung der „äusseren“ Arbeit unter die „innere“, auf der der Segen und die sittliche Wirkung der Arbeit überhaupt beruhe; genau mit dieser Unter- ordnung aber nimmt die Arbeit selbst ästhetischen Charakter an.
Vielleicht scheint manchem dennoch wenigstens der Ernst der Schulerziehung dem Aesthetischen ferner zu stehen. Doch möchten wir, wenn es irgend in unsrer Macht stände, den finsteren Pedanten das Gewissen schärfen, die es oft wie mit Gewalt aus der Schule fernhalten zu wollen scheinen, und damit den höchst lebendigen und im tiefsten Grunde berechtigten ästhetischen Drang der Jugend sich zum Feinde machen. An sich widerspricht nichts im Leben der Schule der Forderung ästhetischer Gestaltung, nur dass es eine besondere Seite des Aesthetischen ist, die hier beherrschend vorantritt. Das Kindische des Spiels wird verachtet; aber ist denn die Welt des Schul- kinds schon die ganze, wache Wirklichkeit? Ist es nicht auch eine Art Spielwelt, in die es eintritt, wenn auch schon auf höherer, der Wirklichkeit um einen Grad näherer Stufe? Oder ist es weniger wahr für diese als für irgend eine andre Stufe, dass dem Menschen „nur mit dem Schönen zu spielen er- laubt“ sei?
Der Realismus des Schulalters scheint dem schönen Spiel zu widerstreben. Aber das Schöne hat selbst eine rea- listische Seite, und eben diese ist es, zu der die zweite Erziehungsstufe den Grund zu legen hat. Auf der ersten ver- blieb noch alles in sinnlicher Ungeschiedenheit; der ästhetische Trieb war vielleicht schon sehr lebendig, aber er war noch
Natorp, Sozialpädagogik. 21
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nannten zwei; Humboldt: „Der Gewinn, welchen der Mensch
an Grösse und Schönheit einerntet, wenn er unaufhörlich dahin
strebt, dass sein inneres Dasein immer den ersten Platz be-
haupte, dass es immer der erste Quell und das letzte
Ziel alles Wirkens, und alles Körperliche und Aeussere nur
Hülle und Werkzeug desselben sei, ist unabsehlich;“ und
Pestalozzi: „Der Eindruck der harten Abrichtungskünste [im
Spinnen] war menschlich gemildert und dem Höheren des
Bildenden und Erhebenden in der Erziehung unter-
geordnet und durch diese Unterordnung unschädlich gemacht.“
Anderwärts spricht derselbe von der Unterordnung der „äusseren“
Arbeit unter die „innere“, auf der der Segen und die sittliche
Wirkung der Arbeit überhaupt beruhe; genau mit dieser Unter-
ordnung aber nimmt die Arbeit selbst ästhetischen Charakter an.
Vielleicht scheint manchem dennoch wenigstens der Ernst
der Schulerziehung dem Aesthetischen ferner zu stehen. Doch
möchten wir, wenn es irgend in unsrer Macht stände, den
finsteren Pedanten das Gewissen schärfen, die es oft wie mit
Gewalt aus der Schule fernhalten zu wollen scheinen, und
damit den höchst lebendigen und im tiefsten Grunde berechtigten
ästhetischen Drang der Jugend sich zum Feinde machen. An
sich widerspricht nichts im Leben der Schule der Forderung
ästhetischer Gestaltung, nur dass es eine besondere Seite des
Aesthetischen ist, die hier beherrschend vorantritt. Das Kindische
des Spiels wird verachtet; aber ist denn die Welt des Schul-
kinds schon die ganze, wache Wirklichkeit? Ist es nicht auch
eine Art Spielwelt, in die es eintritt, wenn auch schon auf
höherer, der Wirklichkeit um einen Grad näherer Stufe? Oder
ist es weniger wahr für diese als für irgend eine andre Stufe,
dass dem Menschen „nur mit dem Schönen zu spielen er-
laubt“ sei?
Der Realismus des Schulalters scheint dem schönen Spiel
zu widerstreben. Aber das Schöne hat selbst eine rea-
listische Seite, und eben diese ist es, zu der die zweite
Erziehungsstufe den Grund zu legen hat. Auf der ersten ver-
blieb noch alles in sinnlicher Ungeschiedenheit; der ästhetische
Trieb war vielleicht schon sehr lebendig, aber er war noch
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/337>, abgerufen am 28.11.2024.
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