allein zu bauen, und gerade um der reinen Gemütswirkung willen lieber verzichten auf jeden auf die Ueberzeugung ge- übten Zwang, in einem Alter zumal, wo die verlangte Ueber- zeugung ganz rein und unerzwungen kaum vorhanden sein kann.
Zuletzt freilich muss es auch Bedürfnis werden, eine feste Stellung zur Religion sich zu erringen. Dies ist die Aufgabe der dritten Erziehungsstufe, als der der autonomen Kritik. Ohne religionsgeschichtliche und wenigstens vorbereitend re- ligionsphilosophische Belehrung würde aber diese Entscheidung der sicheren Basis entbehren. Denn das Ziel muss sein die Abklärung der Religion zur Ideenerkenntnis. Indem wir dieses Ziel der religiösen Bildung stecken, scheiden wir uns scharf von jedem "Illusionismus", ebenso wie wir von der blossen Aufklärung uns geschieden haben durch die ausdrück- liche Anerkennung der unzerstörlichen Gefühlsgrundlage der Religion. Eine Illusion, einen subjektiv festgehaltenen Glauben an das objektiv als falsch oder doch nichtbegründet Erkannte empfehlen oder verteidigen wir nicht. Was wir als echten Gehalt der Religion festhalten wollen, woran zugleich die ganze Wärme des Gefühls sich heften darf und soll, es ist zu- letzt die Idee und nichts Andres; sie aber gilt uns als so ob- jektiv erkennbar wie irgend ein Satz der Wissenschaft oder theoretischen Philosophie objektiv erkennbar ist. Es ist nur die unmittelbare Beziehung auf das Erlebnis des Individuums, was dem Ideenglauben das Pathos der Religion hinzufügt und zugleich die sinnbildliche Vorstellung, eben als Halt für das Gefühl, als Mittel seiner "Erbauung" herbeiruft. Dem zu wehren, sehe ich keinen Grund, obgleich es subjektiv ist; wo- fern nur der falsche Anspruch aufgegeben wird, dass in dem Sinnbild das Objekt der Idee mir dem Individuum leibhaft gegenwärtig und gegeben sei. Das geklärte Verständnis des ganzen Sinns einer Idee aber macht ja einen so verkehrten Anspruch zur vollen Unmöglichkeit.
Gerade so aber leuchtet erst ein, wie Religion der Sitt- lichkeit zu einer sehr gewichtigen, ja kaum entbehrlichen Stütze werden kann. Sie macht für sich nicht sittlich; keiner der sonstigen Faktoren der Willenserziehung wird durch sie etwa
allein zu bauen, und gerade um der reinen Gemütswirkung willen lieber verzichten auf jeden auf die Ueberzeugung ge- übten Zwang, in einem Alter zumal, wo die verlangte Ueber- zeugung ganz rein und unerzwungen kaum vorhanden sein kann.
Zuletzt freilich muss es auch Bedürfnis werden, eine feste Stellung zur Religion sich zu erringen. Dies ist die Aufgabe der dritten Erziehungsstufe, als der der autonomen Kritik. Ohne religionsgeschichtliche und wenigstens vorbereitend re- ligionsphilosophische Belehrung würde aber diese Entscheidung der sicheren Basis entbehren. Denn das Ziel muss sein die Abklärung der Religion zur Ideenerkenntnis. Indem wir dieses Ziel der religiösen Bildung stecken, scheiden wir uns scharf von jedem „Illusionismus“, ebenso wie wir von der blossen Aufklärung uns geschieden haben durch die ausdrück- liche Anerkennung der unzerstörlichen Gefühlsgrundlage der Religion. Eine Illusion, einen subjektiv festgehaltenen Glauben an das objektiv als falsch oder doch nichtbegründet Erkannte empfehlen oder verteidigen wir nicht. Was wir als echten Gehalt der Religion festhalten wollen, woran zugleich die ganze Wärme des Gefühls sich heften darf und soll, es ist zu- letzt die Idee und nichts Andres; sie aber gilt uns als so ob- jektiv erkennbar wie irgend ein Satz der Wissenschaft oder theoretischen Philosophie objektiv erkennbar ist. Es ist nur die unmittelbare Beziehung auf das Erlebnis des Individuums, was dem Ideenglauben das Pathos der Religion hinzufügt und zugleich die sinnbildliche Vorstellung, eben als Halt für das Gefühl, als Mittel seiner „Erbauung“ herbeiruft. Dem zu wehren, sehe ich keinen Grund, obgleich es subjektiv ist; wo- fern nur der falsche Anspruch aufgegeben wird, dass in dem Sinnbild das Objekt der Idee mir dem Individuum leibhaft gegenwärtig und gegeben sei. Das geklärte Verständnis des ganzen Sinns einer Idee aber macht ja einen so verkehrten Anspruch zur vollen Unmöglichkeit.
Gerade so aber leuchtet erst ein, wie Religion der Sitt- lichkeit zu einer sehr gewichtigen, ja kaum entbehrlichen Stütze werden kann. Sie macht für sich nicht sittlich; keiner der sonstigen Faktoren der Willenserziehung wird durch sie etwa
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allein zu bauen, und gerade um der reinen Gemütswirkung
willen lieber verzichten auf jeden auf die Ueberzeugung ge-
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zeugung ganz rein und unerzwungen kaum vorhanden sein kann.
Zuletzt freilich muss es auch Bedürfnis werden, eine feste
Stellung zur Religion sich zu erringen. Dies ist die Aufgabe
der dritten Erziehungsstufe, als der der autonomen Kritik.
Ohne religionsgeschichtliche und wenigstens vorbereitend re-
ligionsphilosophische Belehrung würde aber diese Entscheidung
der sicheren Basis entbehren. Denn das Ziel muss sein die
Abklärung der Religion zur Ideenerkenntnis. Indem wir
dieses Ziel der religiösen Bildung stecken, scheiden wir uns
scharf von jedem „Illusionismus“, ebenso wie wir von der
blossen Aufklärung uns geschieden haben durch die ausdrück-
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Religion. Eine Illusion, einen subjektiv festgehaltenen Glauben
an das objektiv als falsch oder doch nichtbegründet Erkannte
empfehlen oder verteidigen wir nicht. Was wir als echten
Gehalt der Religion festhalten wollen, woran zugleich die
ganze Wärme des Gefühls sich heften darf und soll, es ist zu-
letzt die Idee und nichts Andres; sie aber gilt uns als so ob-
jektiv erkennbar wie irgend ein Satz der Wissenschaft oder
theoretischen Philosophie objektiv erkennbar ist. Es ist nur
die unmittelbare Beziehung auf das Erlebnis des Individuums,
was dem Ideenglauben das Pathos der Religion hinzufügt und
zugleich die sinnbildliche Vorstellung, eben als Halt für das
Gefühl, als Mittel seiner „Erbauung“ herbeiruft. Dem zu
wehren, sehe ich keinen Grund, obgleich es subjektiv ist; wo-
fern nur der falsche Anspruch aufgegeben wird, dass in dem
Sinnbild das Objekt der Idee mir dem Individuum leibhaft
gegenwärtig und gegeben sei. Das geklärte Verständnis des
ganzen Sinns einer Idee aber macht ja einen so verkehrten
Anspruch zur vollen Unmöglichkeit.
Gerade so aber leuchtet erst ein, wie Religion der Sitt-
lichkeit zu einer sehr gewichtigen, ja kaum entbehrlichen Stütze
werden kann. Sie macht für sich nicht sittlich; keiner der
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/366>, abgerufen am 01.12.2024.
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