Statt dessen kennen wir nur dies Zweierlei: Zeitbewusstsein und überzeitliches Bewusstsein. Bewusstsein ist Einheit des Mannigfaltigen, Identität des zugleich Zu-unterscheidenden. Aber die Einheit, die Identität drückt ursprünglicher das Be- wusstsein selbst, die Mannigfaltigkeit d. i. Mehrheit und Ver- schiedenheit sein Gegenüber, seinen allgemeinen Gegenstand, die Erscheinung aus. Der wahre Ausgang der Erkenntnis ist aber von jenem und nicht von diesem; nur hatten wir auf diesen wahren Ausgang uns erst zu besinnen, und diese Be- sinnung, die noch nicht Erkenntnis war, sondern erst den Zugang zu ihr suchte, ging naturgemäss aus vom Verfolg des Mannigfaltigen, von der Erfahrung. Das sagt zuletzt das Kant'- sche Wort: dass Erfahrung der Anfang, aber nicht der Ursprung der Erkenntnis sei.
Nichts weiter als die Besinnung auf diesen Ursprung ist aber erforderlich, um zur Idee zu gelangen. Sie besagt schliess- lich nichts andres als die bloss gedachte letzte Einheit, den letzten, eigensten Blickpunkt der Erkenntnis. So wird verständlich, inwiefern die Idee überzeitlich, über Natur und selbst Mathematik hinaus, nämlich fundamentaler ist als dies alles. Die Bedeutung des Zieles, des Gesollten, also nicht Wirklichen, erhält sie erst im Rückblick auf die Wirklichkeit der Erfahrung; ursprünglich ist sie nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt, nicht das Ende, sondern der wahrste Anfang, nämlich Ursprung: das Prinzip. Also war die teleologische Auffassung der letzten Gesetze der Erkenntnis doch nicht ganz auf falscher Fährte. Sie irrt zwar darin, dass sie den Zweck, das Sollen, zur Voraussetzung auch des logischen Seins macht. Das letzte Sein, das der Idee, begründet vielmehr erst das Sollen, nämlich in der praktischen Erkenntnis. Aber der In- halt der Idee ist allerdings eins mit dem des Sollens, nämlich Einheit, Einheit unbedingt. Daher begreift sich, weshalb die letzten Erkenntnisgesetze so gern den Ausdruck des Sollens auch da annehmen, wo es sich nicht um praktische Er- kenntnis handelt.
Um von dem nun erreichten Punkte zum Ziele dieser ganzen Betrachtung zu gelangen, ist es nur noch erforderlich.
Statt dessen kennen wir nur dies Zweierlei: Zeitbewusstsein und überzeitliches Bewusstsein. Bewusstsein ist Einheit des Mannigfaltigen, Identität des zugleich Zu-unterscheidenden. Aber die Einheit, die Identität drückt ursprünglicher das Be- wusstsein selbst, die Mannigfaltigkeit d. i. Mehrheit und Ver- schiedenheit sein Gegenüber, seinen allgemeinen Gegenstand, die Erscheinung aus. Der wahre Ausgang der Erkenntnis ist aber von jenem und nicht von diesem; nur hatten wir auf diesen wahren Ausgang uns erst zu besinnen, und diese Be- sinnung, die noch nicht Erkenntnis war, sondern erst den Zugang zu ihr suchte, ging naturgemäss aus vom Verfolg des Mannigfaltigen, von der Erfahrung. Das sagt zuletzt das Kant’- sche Wort: dass Erfahrung der Anfang, aber nicht der Ursprung der Erkenntnis sei.
Nichts weiter als die Besinnung auf diesen Ursprung ist aber erforderlich, um zur Idee zu gelangen. Sie besagt schliess- lich nichts andres als die bloss gedachte letzte Einheit, den letzten, eigensten Blickpunkt der Erkenntnis. So wird verständlich, inwiefern die Idee überzeitlich, über Natur und selbst Mathematik hinaus, nämlich fundamentaler ist als dies alles. Die Bedeutung des Zieles, des Gesollten, also nicht Wirklichen, erhält sie erst im Rückblick auf die Wirklichkeit der Erfahrung; ursprünglich ist sie nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt, nicht das Ende, sondern der wahrste Anfang, nämlich Ursprung: das Prinzip. Also war die teleologische Auffassung der letzten Gesetze der Erkenntnis doch nicht ganz auf falscher Fährte. Sie irrt zwar darin, dass sie den Zweck, das Sollen, zur Voraussetzung auch des logischen Seins macht. Das letzte Sein, das der Idee, begründet vielmehr erst das Sollen, nämlich in der praktischen Erkenntnis. Aber der In- halt der Idee ist allerdings eins mit dem des Sollens, nämlich Einheit, Einheit unbedingt. Daher begreift sich, weshalb die letzten Erkenntnisgesetze so gern den Ausdruck des Sollens auch da annehmen, wo es sich nicht um praktische Er- kenntnis handelt.
Um von dem nun erreichten Punkte zum Ziele dieser ganzen Betrachtung zu gelangen, ist es nur noch erforderlich.
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Statt dessen kennen wir nur dies Zweierlei: Zeitbewusstsein
und überzeitliches Bewusstsein. Bewusstsein ist Einheit des
Mannigfaltigen, Identität des zugleich Zu-unterscheidenden.
Aber die Einheit, die Identität drückt ursprünglicher das Be-
wusstsein selbst, die Mannigfaltigkeit d. i. Mehrheit und Ver-
schiedenheit sein Gegenüber, seinen allgemeinen Gegenstand,
die Erscheinung aus. Der wahre Ausgang der Erkenntnis ist
aber von jenem und nicht von diesem; nur hatten wir auf
diesen wahren Ausgang uns erst zu besinnen, und diese Be-
sinnung, die noch nicht Erkenntnis war, sondern erst den
Zugang zu ihr suchte, ging naturgemäss aus vom Verfolg des
Mannigfaltigen, von der Erfahrung. Das sagt zuletzt das Kant’-
sche Wort: dass Erfahrung der Anfang, aber nicht der Ursprung
der Erkenntnis sei.
Nichts weiter als die Besinnung auf diesen Ursprung ist
aber erforderlich, um zur Idee zu gelangen. Sie besagt schliess-
lich nichts andres als die bloss gedachte letzte Einheit,
den letzten, eigensten Blickpunkt der Erkenntnis. So
wird verständlich, inwiefern die Idee überzeitlich, über Natur
und selbst Mathematik hinaus, nämlich fundamentaler ist als
dies alles. Die Bedeutung des Zieles, des Gesollten, also nicht
Wirklichen, erhält sie erst im Rückblick auf die Wirklichkeit
der Erfahrung; ursprünglich ist sie nicht das Ziel, sondern der
Ausgangspunkt, nicht das Ende, sondern der wahrste Anfang,
nämlich Ursprung: das Prinzip. Also war die teleologische
Auffassung der letzten Gesetze der Erkenntnis doch nicht ganz
auf falscher Fährte. Sie irrt zwar darin, dass sie den Zweck,
das Sollen, zur Voraussetzung auch des logischen Seins macht.
Das letzte Sein, das der Idee, begründet vielmehr erst das
Sollen, nämlich in der praktischen Erkenntnis. Aber der In-
halt der Idee ist allerdings eins mit dem des Sollens, nämlich
Einheit, Einheit unbedingt. Daher begreift sich, weshalb
die letzten Erkenntnisgesetze so gern den Ausdruck des Sollens
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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