Eigensinn eines ersten Irrtums sein, der unfehlbar die ganze, von da ab richtig geführte Rechnung verfälscht; es ist darum noch immer Wille, der auch in diesem Fall seine Macht über den willenlosen Trieb beweist. Mit Sittlichkeit hat das noch wenig zu thun; der blosse Wille ist sittlich so indifferent wie der blosse Trieb, an sich des Bösen so gut fähig wie des Guten. Es hätten daher ebenso gut Beispiele eines auf ganz unsittliche Ziele gerichteten, wenn nur unerschütterlich ent- schlossenen Wollens angeführt werden können. Auch der Ver- brecher setzt seine ganze verwegene Thatkraft oft weit weniger an die Befriedigung einer Lust oder den Gewinn eines bestimm- ten persönlichen Vorteils als an die Verwirklichung einer schlimmen Einbildung; es ist sehr oft nur perverse Anwendung einer Kraft, die, auf richtigere Ziele gelenkt, Grosses zuwege gebracht hätte. Was sind denn die "Grossen" der Geschichte oft anders als höchst besonnene und willensstarke Verbrecher!
Hieraus ist denn schon klar, dass die Erhebung von der Stufe des blinden Triebs zu der des zielsichern Wollens keines- wegs notwendig auch die Erhebung zur Höhe des vernünf- tigen d. i. des sittlichen Wollens bedeutet. Der Wille im eigentlichen Sinne gehorcht zwar, nach Kants richtiger An- nahme, jederzeit einer "Maxime", aber die Maxime taugt nicht immer zu einer "allgemeinen Gesetzgebung". Sie behält zu- nächst ganz den Charakter des Empirischen; der Wille bleibt auf ein bestimmtes empirisches Objekt, einen Gegenstand des Triebs, vorerst ausschliesslich gerichtet. Darum fehlt ihm zwar nicht das Moment der Form. Es tritt deutlich zu Tage in der bewusst festgehaltenen Einheit der Bewusstseinsrichtung, ohne die die bewusste Setzung eines Objekts als eines sein- sollenden nicht möglich wäre. Sogar die unbedingte Setzung schlummert darin, wenngleich irrtümlich ein Empirisches als unbedingtes Ziel aufgestellt wird. So beweist der empirische Forscher, wenn er auch darin irrt, dass er ein bloss empirisches Gesetz für ein unbedingtes nimmt, doch selbst in diesem Irrtum, dass es das Unbedingte ist, das seine Forschung schliesslich sucht und meint. Aber in der bewussten Erhebung zum Standpunkte des Unbedingten, nämlich unbedingt Gesetzlichen,
Eigensinn eines ersten Irrtums sein, der unfehlbar die ganze, von da ab richtig geführte Rechnung verfälscht; es ist darum noch immer Wille, der auch in diesem Fall seine Macht über den willenlosen Trieb beweist. Mit Sittlichkeit hat das noch wenig zu thun; der blosse Wille ist sittlich so indifferent wie der blosse Trieb, an sich des Bösen so gut fähig wie des Guten. Es hätten daher ebenso gut Beispiele eines auf ganz unsittliche Ziele gerichteten, wenn nur unerschütterlich ent- schlossenen Wollens angeführt werden können. Auch der Ver- brecher setzt seine ganze verwegene Thatkraft oft weit weniger an die Befriedigung einer Lust oder den Gewinn eines bestimm- ten persönlichen Vorteils als an die Verwirklichung einer schlimmen Einbildung; es ist sehr oft nur perverse Anwendung einer Kraft, die, auf richtigere Ziele gelenkt, Grosses zuwege gebracht hätte. Was sind denn die „Grossen“ der Geschichte oft anders als höchst besonnene und willensstarke Verbrecher!
Hieraus ist denn schon klar, dass die Erhebung von der Stufe des blinden Triebs zu der des zielsichern Wollens keines- wegs notwendig auch die Erhebung zur Höhe des vernünf- tigen d. i. des sittlichen Wollens bedeutet. Der Wille im eigentlichen Sinne gehorcht zwar, nach Kants richtiger An- nahme, jederzeit einer „Maxime“, aber die Maxime taugt nicht immer zu einer „allgemeinen Gesetzgebung“. Sie behält zu- nächst ganz den Charakter des Empirischen; der Wille bleibt auf ein bestimmtes empirisches Objekt, einen Gegenstand des Triebs, vorerst ausschliesslich gerichtet. Darum fehlt ihm zwar nicht das Moment der Form. Es tritt deutlich zu Tage in der bewusst festgehaltenen Einheit der Bewusstseinsrichtung, ohne die die bewusste Setzung eines Objekts als eines sein- sollenden nicht möglich wäre. Sogar die unbedingte Setzung schlummert darin, wenngleich irrtümlich ein Empirisches als unbedingtes Ziel aufgestellt wird. So beweist der empirische Forscher, wenn er auch darin irrt, dass er ein bloss empirisches Gesetz für ein unbedingtes nimmt, doch selbst in diesem Irrtum, dass es das Unbedingte ist, das seine Forschung schliesslich sucht und meint. Aber in der bewussten Erhebung zum Standpunkte des Unbedingten, nämlich unbedingt Gesetzlichen,
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Eigensinn eines ersten Irrtums sein, der unfehlbar die ganze,
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den willenlosen Trieb beweist. Mit Sittlichkeit hat das noch
wenig zu thun; der blosse Wille ist sittlich so indifferent
wie der blosse Trieb, an sich des Bösen so gut fähig wie des
Guten. Es hätten daher ebenso gut Beispiele eines auf ganz
unsittliche Ziele gerichteten, wenn nur unerschütterlich ent-
schlossenen Wollens angeführt werden können. Auch der Ver-
brecher setzt seine ganze verwegene Thatkraft oft weit weniger
an die Befriedigung einer Lust oder den Gewinn eines bestimm-
ten persönlichen Vorteils als an die Verwirklichung einer
schlimmen Einbildung; es ist sehr oft nur perverse Anwendung
einer Kraft, die, auf richtigere Ziele gelenkt, Grosses zuwege
gebracht hätte. Was sind denn die „Grossen“ der Geschichte
oft anders als höchst besonnene und willensstarke Verbrecher!
Hieraus ist denn schon klar, dass die Erhebung von der
Stufe des blinden Triebs zu der des zielsichern Wollens keines-
wegs notwendig auch die Erhebung zur Höhe des vernünf-
tigen d. i. des sittlichen Wollens bedeutet. Der Wille im
eigentlichen Sinne gehorcht zwar, nach Kants richtiger An-
nahme, jederzeit einer „Maxime“, aber die Maxime taugt nicht
immer zu einer „allgemeinen Gesetzgebung“. Sie behält zu-
nächst ganz den Charakter des Empirischen; der Wille bleibt
auf ein bestimmtes empirisches Objekt, einen Gegenstand des
Triebs, vorerst ausschliesslich gerichtet. Darum fehlt ihm
zwar nicht das Moment der Form. Es tritt deutlich zu Tage
in der bewusst festgehaltenen Einheit der Bewusstseinsrichtung,
ohne die die bewusste Setzung eines Objekts als eines sein-
sollenden nicht möglich wäre. Sogar die unbedingte Setzung
schlummert darin, wenngleich irrtümlich ein Empirisches als
unbedingtes Ziel aufgestellt wird. So beweist der empirische
Forscher, wenn er auch darin irrt, dass er ein bloss empirisches
Gesetz für ein unbedingtes nimmt, doch selbst in diesem Irrtum,
dass es das Unbedingte ist, das seine Forschung schliesslich
sucht und meint. Aber in der bewussten Erhebung zum
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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