Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Neitzschitz, Georg Christoph von: Sieben-Jährige und gefährliche WeltBeschauung Durch die vornehmsten Drey Theil der Welt Europa/ Asia und Africa. Bautzen, 1666.

Bild:
<< vorherige Seite
An dem wohlgeneigten Leser.

Politici schreibt Herr Schupp am 8. Blat Dissert. de Nila. & Italia & Gal-
lia reduces a Patrum nostrorum moribus recedunt & omnes pulices tu-
stire audiunt, semperq nova instituta crepant, non quia bona, sed quiae
nova,
viel Politici/ wenn sie aus Welschland oder Franckreich wieder heim-
kommen/ ändern flugs ihrer Vor-Eltern Sitten/ hören die Flöh husten und
wollen lauter neue Anordnungen haben/ nicht daß sie so gut/ sondern weils nur
was neues ist. Also wird in des sel. Luth. Tischreden am 74. Blat gedacht/ es
sey dem seligen Manne über Tische einsmahls erzehlet worden/ daß einer von
Seckendorff sich bey einer Gasterey verlauten lassen: Wenn GOTT ihm sein
Reichthumb und Wollust liesse/ daß er tausend Jahr leben und allein seinen
Willen treiben mögte/ so wolte er hernach GOTT seinen Himmel gerne lassen.
Der hatte eine rechte Saue mit aus Franckreich bracht/ wie ihn der sel. Luth.
genennet/ in welchen nichts anders als Treber gehören.

Solche Leute sind/ traun! wie unerfahrne Aertzte/ die alle Patienten oh-
ne Unterscheid mit einerley Artzeney curiren wollen. Oder sie sind gleich wie
Unweise/ die sich mit dem Messer schaden thun/ das sie zu ihrer Nothdurfft und
besten gebrauchen solten. Oder sie sind/ wie dort Herostratus, der sich berühmt
zumachen den herrlichen und in aller Welt berühmten Tempel Dianae zu
Epheso in Brand steckte/ wie Strabo im 4. Buch davon schreibet. Dahero
denn dieselben mit ihrem bösen Verhalten dem ohne des nöthigen und nützli-
chen Reisen keinen Schandfleck aufklecken/ noch iemand dasselbige verleiten
können.

Und ob gleich auch viel Fabeln/ sonderlich bey den Antiquitäten und alten
Sachen und mach ungewiß Ding mit einlauffen/ so kans dennoch auch der
Wissenschafft des Reisens nicht schaden. Wo ist ein Geschichtschreiber der
nicht geirret hätte/ vors (1.) weil unser Wissen/ wie die Schrifft redet/ in die-
sem Leben nichts/ als stückwerck ist/ und wir alle klagen und bekennen müssen:

Haeret im ambiguis hominum prudentia rebus,
Was der Mensche weiß und dencket/
Jst in Zweiffel eingesencket.

Und dann vors (2.) weil ein Geschichtschreiber anderer Leute Bericht nach-
schreiben muß/ was er selber nicht sehen und erfahren kan. Drumb muß man

mit
B 2
An dem wohlgeneigten Leſer.

Politici ſchreibt Herr Schupp am 8. Blat Diſſert. de Nila. & Italia & Gal-
lia reduces à Patrum noſtrorum moribus recedunt & omnes pulices tu-
ſtire audiunt, ſemperq́ nova inſtituta crepant, non quia bona, ſed quiæ
nova,
viel Politici/ wenn ſie aus Welſchland oder Franckreich wieder heim-
kommen/ aͤndern flugs ihrer Vor-Eltern Sitten/ hoͤren die Floͤh huſten und
wollen lauter neue Anordnungen haben/ nicht daß ſie ſo gut/ ſondern weils nur
was neues iſt. Alſo wird in des ſel. Luth. Tiſchreden am 74. Blat gedacht/ es
ſey dem ſeligen Manne uͤber Tiſche einsmahls erzehlet worden/ daß einer von
Seckendorff ſich bey einer Gaſterey verlauten laſſen: Wenn GOTT ihm ſein
Reichthumb und Wolluſt lieſſe/ daß er tauſend Jahr leben und allein ſeinen
Willen treiben moͤgte/ ſo wolte er hernach GOTT ſeinen Himmel gerne laſſen.
Der hatte eine rechte Saue mit aus Franckreich bracht/ wie ihn der ſel. Luth.
genennet/ in welchen nichts anders als Treber gehoͤren.

Solche Leute ſind/ traun! wie unerfahrne Aertzte/ die alle Patienten oh-
ne Unterſcheid mit einerley Artzeney curiren wollen. Oder ſie ſind gleich wie
Unweiſe/ die ſich mit dem Meſſer ſchaden thun/ das ſie zu ihrer Nothdurfft und
beſten gebrauchen ſolten. Oder ſie ſind/ wie dort Heroſtratus, der ſich beruͤhmt
zumachen den herrlichen und in aller Welt beruͤhmten Tempel Dianae zu
Epheſo in Brand ſteckte/ wie Strabo im 4. Buch davon ſchreibet. Dahero
denn dieſelben mit ihrem boͤſen Verhalten dem ohne des noͤthigen und nuͤtzli-
chen Reiſen keinen Schandfleck aufklecken/ noch iemand daſſelbige verleiten
koͤnnen.

Und ob gleich auch viel Fabeln/ ſonderlich bey den Antiquitaͤten und alten
Sachen und mach ungewiß Ding mit einlauffen/ ſo kans dennoch auch der
Wiſſenſchafft des Reiſens nicht ſchaden. Wo iſt ein Geſchichtſchreiber der
nicht geirret haͤtte/ vors (1.) weil unſer Wiſſen/ wie die Schrifft redet/ in die-
ſem Leben nichts/ als ſtuͤckwerck iſt/ und wir alle klagen und bekennen muͤſſen:

Hæret im ambiguis hominum prudentia rebus,
Was der Menſche weiß und dencket/
Jſt in Zweiffel eingeſencket.

Und dann vors (2.) weil ein Geſchichtſchreiber anderer Leute Bericht nach-
ſchreiben muß/ was er ſelber nicht ſehen und erfahren kan. Drumb muß man

mit
B 2
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0015" n="9"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">An dem wohlgeneigten Le&#x017F;er.</hi> </fw><lb/>
        <p><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Politici</hi></hi> &#x017F;chreibt Herr Schupp am 8. Blat <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Di&#x017F;&#x017F;ert. de Nila. &amp; Italia &amp; Gal-<lb/>
lia reduces à Patrum no&#x017F;trorum moribus recedunt &amp; omnes pulices tu-<lb/>
&#x017F;tire audiunt, &#x017F;emperq&#x0301; nova in&#x017F;tituta crepant, non quia bona, &#x017F;ed quiæ<lb/>
nova,</hi></hi> viel Politici/ wenn &#x017F;ie aus Wel&#x017F;chland oder Franckreich wieder heim-<lb/>
kommen/ a&#x0364;ndern flugs ihrer Vor-Eltern Sitten/ ho&#x0364;ren die Flo&#x0364;h hu&#x017F;ten und<lb/>
wollen lauter neue Anordnungen haben/ nicht daß &#x017F;ie &#x017F;o gut/ &#x017F;ondern weils nur<lb/>
was neues i&#x017F;t. Al&#x017F;o wird in des &#x017F;el. Luth. Ti&#x017F;chreden am 74. Blat gedacht/ es<lb/>
&#x017F;ey dem &#x017F;eligen Manne u&#x0364;ber Ti&#x017F;che einsmahls erzehlet worden/ daß einer von<lb/>
Seckendorff &#x017F;ich bey einer Ga&#x017F;terey verlauten la&#x017F;&#x017F;en: Wenn GOTT ihm &#x017F;ein<lb/>
Reichthumb und Wollu&#x017F;t lie&#x017F;&#x017F;e/ daß er tau&#x017F;end Jahr leben und allein &#x017F;einen<lb/>
Willen treiben mo&#x0364;gte/ &#x017F;o wolte er hernach GOTT &#x017F;einen Himmel gerne la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Der hatte eine rechte Saue mit aus Franckreich bracht/ wie ihn der &#x017F;el. Luth.<lb/>
genennet/ in welchen nichts anders als Treber geho&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>Solche Leute &#x017F;ind/ traun! wie unerfahrne Aertzte/ die alle Patienten oh-<lb/>
ne Unter&#x017F;cheid mit einerley Artzeney curiren wollen. Oder &#x017F;ie &#x017F;ind gleich wie<lb/>
Unwei&#x017F;e/ die &#x017F;ich mit dem Me&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chaden thun/ das &#x017F;ie zu ihrer Nothdurfft und<lb/>
be&#x017F;ten gebrauchen &#x017F;olten. Oder &#x017F;ie &#x017F;ind/ wie dort <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Hero&#x017F;tratus</hi>,</hi> der &#x017F;ich beru&#x0364;hmt<lb/>
zumachen den herrlichen und in aller Welt beru&#x0364;hmten Tempel Dianae zu<lb/>
Ephe&#x017F;o in Brand &#x017F;teckte/ wie Strabo im 4. Buch davon &#x017F;chreibet. Dahero<lb/>
denn die&#x017F;elben mit ihrem bo&#x0364;&#x017F;en Verhalten dem ohne des no&#x0364;thigen und nu&#x0364;tzli-<lb/>
chen Rei&#x017F;en keinen Schandfleck aufklecken/ noch iemand da&#x017F;&#x017F;elbige verleiten<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Und ob gleich auch viel Fabeln/ &#x017F;onderlich bey den Antiquita&#x0364;ten und alten<lb/>
Sachen und mach ungewiß Ding mit einlauffen/ &#x017F;o kans dennoch auch der<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft des Rei&#x017F;ens nicht &#x017F;chaden. Wo i&#x017F;t ein Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber der<lb/>
nicht geirret ha&#x0364;tte/ vors (1.) weil un&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en/ wie die Schrifft redet/ in die-<lb/>
&#x017F;em Leben nichts/ als &#x017F;tu&#x0364;ckwerck i&#x017F;t/ und wir alle klagen und bekennen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Hæret im ambiguis hominum prudentia rebus,</hi> </hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#fr">Was der Men&#x017F;che weiß und dencket/</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#fr">J&#x017F;t in Zweiffel einge&#x017F;encket.</hi> </l>
        </lg><lb/>
        <p>Und dann vors (2.) weil ein Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber anderer Leute Bericht nach-<lb/>
&#x017F;chreiben muß/ was er &#x017F;elber nicht &#x017F;ehen und erfahren kan. Drumb muß man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[9/0015] An dem wohlgeneigten Leſer. Politici ſchreibt Herr Schupp am 8. Blat Diſſert. de Nila. & Italia & Gal- lia reduces à Patrum noſtrorum moribus recedunt & omnes pulices tu- ſtire audiunt, ſemperq́ nova inſtituta crepant, non quia bona, ſed quiæ nova, viel Politici/ wenn ſie aus Welſchland oder Franckreich wieder heim- kommen/ aͤndern flugs ihrer Vor-Eltern Sitten/ hoͤren die Floͤh huſten und wollen lauter neue Anordnungen haben/ nicht daß ſie ſo gut/ ſondern weils nur was neues iſt. Alſo wird in des ſel. Luth. Tiſchreden am 74. Blat gedacht/ es ſey dem ſeligen Manne uͤber Tiſche einsmahls erzehlet worden/ daß einer von Seckendorff ſich bey einer Gaſterey verlauten laſſen: Wenn GOTT ihm ſein Reichthumb und Wolluſt lieſſe/ daß er tauſend Jahr leben und allein ſeinen Willen treiben moͤgte/ ſo wolte er hernach GOTT ſeinen Himmel gerne laſſen. Der hatte eine rechte Saue mit aus Franckreich bracht/ wie ihn der ſel. Luth. genennet/ in welchen nichts anders als Treber gehoͤren. Solche Leute ſind/ traun! wie unerfahrne Aertzte/ die alle Patienten oh- ne Unterſcheid mit einerley Artzeney curiren wollen. Oder ſie ſind gleich wie Unweiſe/ die ſich mit dem Meſſer ſchaden thun/ das ſie zu ihrer Nothdurfft und beſten gebrauchen ſolten. Oder ſie ſind/ wie dort Heroſtratus, der ſich beruͤhmt zumachen den herrlichen und in aller Welt beruͤhmten Tempel Dianae zu Epheſo in Brand ſteckte/ wie Strabo im 4. Buch davon ſchreibet. Dahero denn dieſelben mit ihrem boͤſen Verhalten dem ohne des noͤthigen und nuͤtzli- chen Reiſen keinen Schandfleck aufklecken/ noch iemand daſſelbige verleiten koͤnnen. Und ob gleich auch viel Fabeln/ ſonderlich bey den Antiquitaͤten und alten Sachen und mach ungewiß Ding mit einlauffen/ ſo kans dennoch auch der Wiſſenſchafft des Reiſens nicht ſchaden. Wo iſt ein Geſchichtſchreiber der nicht geirret haͤtte/ vors (1.) weil unſer Wiſſen/ wie die Schrifft redet/ in die- ſem Leben nichts/ als ſtuͤckwerck iſt/ und wir alle klagen und bekennen muͤſſen: Hæret im ambiguis hominum prudentia rebus, Was der Menſche weiß und dencket/ Jſt in Zweiffel eingeſencket. Und dann vors (2.) weil ein Geſchichtſchreiber anderer Leute Bericht nach- ſchreiben muß/ was er ſelber nicht ſehen und erfahren kan. Drumb muß man mit B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/neitschitz_reise_1666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/neitschitz_reise_1666/15
Zitationshilfe: Neitzschitz, Georg Christoph von: Sieben-Jährige und gefährliche WeltBeschauung Durch die vornehmsten Drey Theil der Welt Europa/ Asia und Africa. Bautzen, 1666. , S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/neitschitz_reise_1666/15>, abgerufen am 21.11.2024.