Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



und vernunftmäßiger Gedanken, gebraucht
worden.

Einige Tage nach Sebaldus Ankunft, besuchte
ihn der Magister, um den Abend bey einer sehr fruga-
len Abendmahlzeit zu verplaudern. Der Magister
fragte, wie ihm Leipzig gefiele. Sebaldus der nichts
für merkwürdig hielt, was nicht einem Buche ähnlich
sahe, hatte auch in Leipzig nichts als die vielen Buch-
druckereyen und Buchläden bemerkt. Jhm war
gar nicht in die Augen gefallen, ob die Einwohner den
Rang oder die Bequemlichkeit liebten, ob sie gesellig
oder steif wären, ob die Damen lieber geputzt als
schön zu seyn suchten, ob die Studenten ein gelehrtes
oder ein soldatisches, ein galantes oder ein liederliches
Ansehen affectirten, ob die Jungemädgen Niedlich-
keit und Artigkeit für den ersten Zweck ihres Da-
seyns hielten oder nicht. Jhm war es nie eingekom-
men zu untersuchen, wie die Bauart der Häuser, den
Zweck der Eigenthümer bey wenigem Platze ihre
Wohnungen bequem zu machen, verriethe, welchen
Beweis des Wohlstandes der Einwohner die schönen
Gärten und Gartenhäuser in den Vorstädten darbö-
ten, und ob daselbst Reichthum und Kenntniß des
Schönen mit gleichen Schritten fortgegangen sey.
Er hatte sich auf den Straßen nie umgesehen, und

es
Erster Theil. F



und vernunftmaͤßiger Gedanken, gebraucht
worden.

Einige Tage nach Sebaldus Ankunft, beſuchte
ihn der Magiſter, um den Abend bey einer ſehr fruga-
len Abendmahlzeit zu verplaudern. Der Magiſter
fragte, wie ihm Leipzig gefiele. Sebaldus der nichts
fuͤr merkwuͤrdig hielt, was nicht einem Buche aͤhnlich
ſahe, hatte auch in Leipzig nichts als die vielen Buch-
druckereyen und Buchlaͤden bemerkt. Jhm war
gar nicht in die Augen gefallen, ob die Einwohner den
Rang oder die Bequemlichkeit liebten, ob ſie geſellig
oder ſteif waͤren, ob die Damen lieber geputzt als
ſchoͤn zu ſeyn ſuchten, ob die Studenten ein gelehrtes
oder ein ſoldatiſches, ein galantes oder ein liederliches
Anſehen affectirten, ob die Jungemaͤdgen Niedlich-
keit und Artigkeit fuͤr den erſten Zweck ihres Da-
ſeyns hielten oder nicht. Jhm war es nie eingekom-
men zu unterſuchen, wie die Bauart der Haͤuſer, den
Zweck der Eigenthuͤmer bey wenigem Platze ihre
Wohnungen bequem zu machen, verriethe, welchen
Beweis des Wohlſtandes der Einwohner die ſchoͤnen
Gaͤrten und Gartenhaͤuſer in den Vorſtaͤdten darboͤ-
ten, und ob daſelbſt Reichthum und Kenntniß des
Schoͤnen mit gleichen Schritten fortgegangen ſey.
Er hatte ſich auf den Straßen nie umgeſehen, und

es
Erſter Theil. F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="81"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">und vernunftma&#x0364;ßiger Gedanken,</hi> gebraucht<lb/>
worden.</p><lb/>
          <p>Einige Tage nach <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> Ankunft, be&#x017F;uchte<lb/>
ihn der Magi&#x017F;ter, um den Abend bey einer &#x017F;ehr fruga-<lb/>
len Abendmahlzeit zu verplaudern. Der Magi&#x017F;ter<lb/>
fragte, wie ihm Leipzig gefiele. <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> der nichts<lb/>
fu&#x0364;r merkwu&#x0364;rdig hielt, was nicht einem Buche a&#x0364;hnlich<lb/>
&#x017F;ahe, hatte auch in Leipzig nichts als die vielen Buch-<lb/>
druckereyen und Buchla&#x0364;den bemerkt. Jhm war<lb/>
gar nicht in die Augen gefallen, ob die Einwohner den<lb/>
Rang oder die Bequemlichkeit liebten, ob &#x017F;ie ge&#x017F;ellig<lb/>
oder &#x017F;teif wa&#x0364;ren, ob die Damen lieber geputzt als<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n zu &#x017F;eyn &#x017F;uchten, ob die Studenten ein gelehrtes<lb/>
oder ein &#x017F;oldati&#x017F;ches, ein galantes oder ein liederliches<lb/>
An&#x017F;ehen affectirten, ob die Jungema&#x0364;dgen Niedlich-<lb/>
keit und Artigkeit fu&#x0364;r den er&#x017F;ten Zweck ihres Da-<lb/>
&#x017F;eyns hielten oder nicht. Jhm war es nie eingekom-<lb/>
men zu unter&#x017F;uchen, wie die Bauart der Ha&#x0364;u&#x017F;er, den<lb/>
Zweck der Eigenthu&#x0364;mer bey wenigem Platze ihre<lb/>
Wohnungen bequem zu machen, verriethe, welchen<lb/>
Beweis des Wohl&#x017F;tandes der Einwohner die &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Ga&#x0364;rten und Gartenha&#x0364;u&#x017F;er in den Vor&#x017F;ta&#x0364;dten darbo&#x0364;-<lb/>
ten, und ob da&#x017F;elb&#x017F;t Reichthum und Kenntniß des<lb/>
Scho&#x0364;nen mit gleichen Schritten fortgegangen &#x017F;ey.<lb/>
Er hatte &#x017F;ich auf den Straßen nie umge&#x017F;ehen, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> F</fw><fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0105] und vernunftmaͤßiger Gedanken, gebraucht worden. Einige Tage nach Sebaldus Ankunft, beſuchte ihn der Magiſter, um den Abend bey einer ſehr fruga- len Abendmahlzeit zu verplaudern. Der Magiſter fragte, wie ihm Leipzig gefiele. Sebaldus der nichts fuͤr merkwuͤrdig hielt, was nicht einem Buche aͤhnlich ſahe, hatte auch in Leipzig nichts als die vielen Buch- druckereyen und Buchlaͤden bemerkt. Jhm war gar nicht in die Augen gefallen, ob die Einwohner den Rang oder die Bequemlichkeit liebten, ob ſie geſellig oder ſteif waͤren, ob die Damen lieber geputzt als ſchoͤn zu ſeyn ſuchten, ob die Studenten ein gelehrtes oder ein ſoldatiſches, ein galantes oder ein liederliches Anſehen affectirten, ob die Jungemaͤdgen Niedlich- keit und Artigkeit fuͤr den erſten Zweck ihres Da- ſeyns hielten oder nicht. Jhm war es nie eingekom- men zu unterſuchen, wie die Bauart der Haͤuſer, den Zweck der Eigenthuͤmer bey wenigem Platze ihre Wohnungen bequem zu machen, verriethe, welchen Beweis des Wohlſtandes der Einwohner die ſchoͤnen Gaͤrten und Gartenhaͤuſer in den Vorſtaͤdten darboͤ- ten, und ob daſelbſt Reichthum und Kenntniß des Schoͤnen mit gleichen Schritten fortgegangen ſey. Er hatte ſich auf den Straßen nie umgeſehen, und es Erſter Theil. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/105
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/105>, abgerufen am 04.12.2024.