Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



aß mein Stück Käse und Brodt, und verwünschte
alle Köche.

Seb. Aber ist es nicht ein herrliches Schauspiel,
eine so große Menge gelehrter Werke zusammen zu se-
hen, die doch alle, jedes in seiner Art, die Menschen klü-
ger, gelehrter, weiser, tugendhafter, kurz beßer machen?

Mag. Ein Schauspiel wie manches andere, von
dem uns die Einbildungskraft, ehe wir es sehen, die
angenehmste Vorstellungen macht. Wer wie Sie
vom Lande, aus der Einsamkeit kommt, ist sehr ge-
neigt sich durch jeden ersten Glanz blenden zu laßen,
und alles für schöner anzusehen als es ist. Mein lie-
ber Freund! Wenn die Gelehrten durch ihre Bücher
sonst nichts zu erlangen suchten, als was sie da sagen,
so würden neun Zehentheile der Bücher gar nicht ge-
schrieben werden. Wie die Menschen klüger weiser
und beßer werden sollen? Jch wette daran haben neun
Zehentheile der Schriftsteller, deren Werke die Meße
zur Meße machen, gar nicht gedacht. Sie haben
ganz andere Absichten zu erlangen und ganz andere
Bedürfniße zu befriedigen.

Seb. Welche könten die seyn? Ein Gelehrter hat
freilich viele Absichten und Bedürfniße, als Mensch
mit andern Menschen gemein. Was könte er aber
als Gelehrter für ein anderes. Bedürfniß haben, als

seinen



aß mein Stuͤck Kaͤſe und Brodt, und verwuͤnſchte
alle Koͤche.

Seb. Aber iſt es nicht ein herrliches Schauſpiel,
eine ſo große Menge gelehrter Werke zuſammen zu ſe-
hen, die doch alle, jedes in ſeiner Art, die Menſchen kluͤ-
ger, gelehrter, weiſer, tugendhafter, kurz beßer machen?

Mag. Ein Schauſpiel wie manches andere, von
dem uns die Einbildungskraft, ehe wir es ſehen, die
angenehmſte Vorſtellungen macht. Wer wie Sie
vom Lande, aus der Einſamkeit kommt, iſt ſehr ge-
neigt ſich durch jeden erſten Glanz blenden zu laßen,
und alles fuͤr ſchoͤner anzuſehen als es iſt. Mein lie-
ber Freund! Wenn die Gelehrten durch ihre Buͤcher
ſonſt nichts zu erlangen ſuchten, als was ſie da ſagen,
ſo wuͤrden neun Zehentheile der Buͤcher gar nicht ge-
ſchrieben werden. Wie die Menſchen kluͤger weiſer
und beßer werden ſollen? Jch wette daran haben neun
Zehentheile der Schriftſteller, deren Werke die Meße
zur Meße machen, gar nicht gedacht. Sie haben
ganz andere Abſichten zu erlangen und ganz andere
Beduͤrfniße zu befriedigen.

Seb. Welche koͤnten die ſeyn? Ein Gelehrter hat
freilich viele Abſichten und Beduͤrfniße, als Menſch
mit andern Menſchen gemein. Was koͤnte er aber
als Gelehrter fuͤr ein anderes. Beduͤrfniß haben, als

ſeinen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="84"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
aß mein Stu&#x0364;ck Ka&#x0364;&#x017F;e und Brodt, und verwu&#x0364;n&#x017F;chte<lb/>
alle Ko&#x0364;che.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seb.</hi> Aber i&#x017F;t es nicht ein herrliches Schau&#x017F;piel,<lb/>
eine &#x017F;o große Menge gelehrter Werke zu&#x017F;ammen zu &#x017F;e-<lb/>
hen, die doch alle, jedes in &#x017F;einer Art, die Men&#x017F;chen klu&#x0364;-<lb/>
ger, gelehrter, wei&#x017F;er, tugendhafter, kurz beßer machen?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mag.</hi> Ein Schau&#x017F;piel wie manches andere, von<lb/>
dem uns die Einbildungskraft, ehe wir es &#x017F;ehen, die<lb/>
angenehm&#x017F;te Vor&#x017F;tellungen macht. Wer wie Sie<lb/>
vom Lande, aus der Ein&#x017F;amkeit kommt, i&#x017F;t &#x017F;ehr ge-<lb/>
neigt &#x017F;ich durch jeden er&#x017F;ten Glanz blenden zu laßen,<lb/>
und alles fu&#x0364;r &#x017F;cho&#x0364;ner anzu&#x017F;ehen als es i&#x017F;t. Mein lie-<lb/>
ber Freund! Wenn die Gelehrten durch ihre Bu&#x0364;cher<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nichts zu erlangen &#x017F;uchten, als was &#x017F;ie da &#x017F;agen,<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rden neun Zehentheile der Bu&#x0364;cher gar nicht ge-<lb/>
&#x017F;chrieben werden. Wie die Men&#x017F;chen klu&#x0364;ger wei&#x017F;er<lb/>
und beßer werden &#x017F;ollen? Jch wette daran haben neun<lb/>
Zehentheile der Schrift&#x017F;teller, deren Werke die Meße<lb/>
zur Meße machen, gar nicht gedacht. Sie haben<lb/>
ganz andere Ab&#x017F;ichten zu erlangen und ganz andere<lb/>
Bedu&#x0364;rfniße zu befriedigen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seb.</hi> Welche ko&#x0364;nten die &#x017F;eyn? Ein Gelehrter hat<lb/>
freilich viele Ab&#x017F;ichten und Bedu&#x0364;rfniße, als Men&#x017F;ch<lb/>
mit andern Men&#x017F;chen gemein. Was ko&#x0364;nte er aber<lb/>
als Gelehrter fu&#x0364;r ein anderes. Bedu&#x0364;rfniß haben, als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;einen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0108] aß mein Stuͤck Kaͤſe und Brodt, und verwuͤnſchte alle Koͤche. Seb. Aber iſt es nicht ein herrliches Schauſpiel, eine ſo große Menge gelehrter Werke zuſammen zu ſe- hen, die doch alle, jedes in ſeiner Art, die Menſchen kluͤ- ger, gelehrter, weiſer, tugendhafter, kurz beßer machen? Mag. Ein Schauſpiel wie manches andere, von dem uns die Einbildungskraft, ehe wir es ſehen, die angenehmſte Vorſtellungen macht. Wer wie Sie vom Lande, aus der Einſamkeit kommt, iſt ſehr ge- neigt ſich durch jeden erſten Glanz blenden zu laßen, und alles fuͤr ſchoͤner anzuſehen als es iſt. Mein lie- ber Freund! Wenn die Gelehrten durch ihre Buͤcher ſonſt nichts zu erlangen ſuchten, als was ſie da ſagen, ſo wuͤrden neun Zehentheile der Buͤcher gar nicht ge- ſchrieben werden. Wie die Menſchen kluͤger weiſer und beßer werden ſollen? Jch wette daran haben neun Zehentheile der Schriftſteller, deren Werke die Meße zur Meße machen, gar nicht gedacht. Sie haben ganz andere Abſichten zu erlangen und ganz andere Beduͤrfniße zu befriedigen. Seb. Welche koͤnten die ſeyn? Ein Gelehrter hat freilich viele Abſichten und Beduͤrfniße, als Menſch mit andern Menſchen gemein. Was koͤnte er aber als Gelehrter fuͤr ein anderes. Beduͤrfniß haben, als ſeinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/108
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/108>, abgerufen am 14.05.2024.