Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite


Hier. Das komt daher, weil in Frankreich und
in England, die Classe der Schriftsteller der Classe der
Leser entspricht; weil jene schreiben was diese zu lesen
nöthig haben und lesen können.

Seb. Jst es denn in Deutschland nicht eben so?

Hier. Sehr selten. Der Stand der Schriftstel-
ler beziehet sich in Deutschland beinahe bloß auf sich
selber, oder auf den gelehrten Stand. Sehr selten
ist bey uns ein Gelehrter ein Homme de Lettres. Ein
Gelehrter ist bey uns ein Theologe, ein Jurist, ein
Mediciner, ein Philosoph, ein Professor, ein Ma-
gister, ein Director, ein Rector, ein Conrector, ein
Subrector, ein Baccalaureus, ein Collega infimus,
und er schreibt auch nur für seine Zuhörer und seine
Untergebnen. Dieses gelehrte Völkchen von Lehrern
und Lernenden, das etwa 20000 Menschen stark ist,
verachtet die übrigen 20 Millionen Menschen, die
außer ihnen deutsch reden, so herzlich, daß es sich nicht
die Mühe nimmt für sie zu schreiben, und wenn es
zuweilen geschiehet, so riecht das Werk gemeiniglich
dermaßen nach der Lampe,*) daß es niemand

an-
*) Der Verfasser, der als ein Deutscher, sich in nichts des-
sen was deutsch ist schämet, bekennet gern, daß auch
dieses Werk von diesem Geruche nicht wenig an sich hat.
Er warnet alle Weltleute, nicht zu wagen es zu lesen.
H 5


Hier. Das komt daher, weil in Frankreich und
in England, die Claſſe der Schriftſteller der Claſſe der
Leſer entſpricht; weil jene ſchreiben was dieſe zu leſen
noͤthig haben und leſen koͤnnen.

Seb. Jſt es denn in Deutſchland nicht eben ſo?

Hier. Sehr ſelten. Der Stand der Schriftſtel-
ler beziehet ſich in Deutſchland beinahe bloß auf ſich
ſelber, oder auf den gelehrten Stand. Sehr ſelten
iſt bey uns ein Gelehrter ein Homme de Lettres. Ein
Gelehrter iſt bey uns ein Theologe, ein Juriſt, ein
Mediciner, ein Philoſoph, ein Profeſſor, ein Ma-
giſter, ein Director, ein Rector, ein Conrector, ein
Subrector, ein Baccalaureus, ein Collega infimus,
und er ſchreibt auch nur fuͤr ſeine Zuhoͤrer und ſeine
Untergebnen. Dieſes gelehrte Voͤlkchen von Lehrern
und Lernenden, das etwa 20000 Menſchen ſtark iſt,
verachtet die uͤbrigen 20 Millionen Menſchen, die
außer ihnen deutſch reden, ſo herzlich, daß es ſich nicht
die Muͤhe nimmt fuͤr ſie zu ſchreiben, und wenn es
zuweilen geſchiehet, ſo riecht das Werk gemeiniglich
dermaßen nach der Lampe,*) daß es niemand

an-
*) Der Verfaſſer, der als ein Deutſcher, ſich in nichts deſ-
ſen was deutſch iſt ſchaͤmet, bekennet gern, daß auch
dieſes Werk von dieſem Geruche nicht wenig an ſich hat.
Er warnet alle Weltleute, nicht zu wagen es zu leſen.
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0145" n="121"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Hier.</hi> Das komt daher, weil in Frankreich und<lb/>
in England, die Cla&#x017F;&#x017F;e der Schrift&#x017F;teller der Cla&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Le&#x017F;er ent&#x017F;pricht; weil jene &#x017F;chreiben was die&#x017F;e zu le&#x017F;en<lb/>
no&#x0364;thig haben und le&#x017F;en ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seb.</hi> J&#x017F;t es denn in Deut&#x017F;chland nicht eben &#x017F;o?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Hier.</hi> Sehr &#x017F;elten. Der Stand der Schrift&#x017F;tel-<lb/>
ler beziehet &#x017F;ich in Deut&#x017F;chland beinahe bloß auf &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber, oder auf den gelehrten Stand. Sehr &#x017F;elten<lb/>
i&#x017F;t bey uns ein Gelehrter ein <hi rendition="#aq">Homme de Lettres.</hi> Ein<lb/>
Gelehrter i&#x017F;t bey uns ein Theologe, ein Juri&#x017F;t, ein<lb/>
Mediciner, ein Philo&#x017F;oph, ein Profe&#x017F;&#x017F;or, ein Ma-<lb/>
gi&#x017F;ter, ein Director, ein Rector, ein Conrector, ein<lb/>
Subrector, ein Baccalaureus, ein <hi rendition="#aq">Collega infimus,</hi><lb/>
und er &#x017F;chreibt auch nur fu&#x0364;r &#x017F;eine Zuho&#x0364;rer und &#x017F;eine<lb/>
Untergebnen. Die&#x017F;es gelehrte Vo&#x0364;lkchen von Lehrern<lb/>
und Lernenden, das etwa 20000 Men&#x017F;chen &#x017F;tark i&#x017F;t,<lb/>
verachtet die u&#x0364;brigen 20 Millionen Men&#x017F;chen, die<lb/>
außer ihnen deut&#x017F;ch reden, &#x017F;o herzlich, daß es &#x017F;ich nicht<lb/>
die Mu&#x0364;he nimmt fu&#x0364;r &#x017F;ie zu &#x017F;chreiben, und wenn es<lb/>
zuweilen ge&#x017F;chiehet, &#x017F;o riecht das Werk gemeiniglich<lb/>
dermaßen <hi rendition="#fr">nach der Lampe,</hi><note place="foot" n="*)">Der Verfa&#x017F;&#x017F;er, der als ein <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;cher,</hi> &#x017F;ich in nichts de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en was deut&#x017F;ch i&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;met, bekennet gern, daß auch<lb/>
die&#x017F;es Werk von die&#x017F;em Geruche nicht wenig an &#x017F;ich hat.<lb/>
Er warnet alle <hi rendition="#fr">Weltleute,</hi> nicht zu wagen es zu le&#x017F;en.</note> daß es niemand<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">an-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0145] Hier. Das komt daher, weil in Frankreich und in England, die Claſſe der Schriftſteller der Claſſe der Leſer entſpricht; weil jene ſchreiben was dieſe zu leſen noͤthig haben und leſen koͤnnen. Seb. Jſt es denn in Deutſchland nicht eben ſo? Hier. Sehr ſelten. Der Stand der Schriftſtel- ler beziehet ſich in Deutſchland beinahe bloß auf ſich ſelber, oder auf den gelehrten Stand. Sehr ſelten iſt bey uns ein Gelehrter ein Homme de Lettres. Ein Gelehrter iſt bey uns ein Theologe, ein Juriſt, ein Mediciner, ein Philoſoph, ein Profeſſor, ein Ma- giſter, ein Director, ein Rector, ein Conrector, ein Subrector, ein Baccalaureus, ein Collega infimus, und er ſchreibt auch nur fuͤr ſeine Zuhoͤrer und ſeine Untergebnen. Dieſes gelehrte Voͤlkchen von Lehrern und Lernenden, das etwa 20000 Menſchen ſtark iſt, verachtet die uͤbrigen 20 Millionen Menſchen, die außer ihnen deutſch reden, ſo herzlich, daß es ſich nicht die Muͤhe nimmt fuͤr ſie zu ſchreiben, und wenn es zuweilen geſchiehet, ſo riecht das Werk gemeiniglich dermaßen nach der Lampe, *) daß es niemand an- *) Der Verfaſſer, der als ein Deutſcher, ſich in nichts deſ- ſen was deutſch iſt ſchaͤmet, bekennet gern, daß auch dieſes Werk von dieſem Geruche nicht wenig an ſich hat. Er warnet alle Weltleute, nicht zu wagen es zu leſen. H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/145
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/145>, abgerufen am 14.05.2024.