Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



schlecht? Der Bauer der das Feld besäet, der Weber
der Zeuge bereitet, der Maurer der Häuser bauet,
der Kaufmann, der die zur Nothwendigkeit und Be-
quemlichkeit gereichenden Dinge zusammenbringt, tra-
gen jeder durch ihren Fleiß das ihrige zum gemeinen
Besten bey, und auch die Gelehrten werden durch sie
genähret, bekleidet, vor den Ungemächlichkeiten des
Wetters bewahrt, und mit Bequemlichkeiten versehen;
sollten die Gelehrten nun ein Recht haben, ihre Einsich-
ten beständig nur unter sich zu behalten, und sie nie diesem
geschäftigen Theile der Nation, für die Wohlthaten, die
sie täglich von ihm empfangen, mitzutheilen. Sie
können dieses nicht allein dadurch thun, wenn sie ge-
wisse gemeinnützige Wahrheiten faßlich vortragen, wel-
che Beschäftigung viele Gelehrten deshalb verachten,
weil sie glauben, daß nur mäßige Geschicklichkeit dazu
gehöre. Es giebt vielmehr noch eine höhere Art der
Gemeinnützigkeit, die Genie, Gelehrsamkeit, An-
strengung aller Geisteskräfte erfodert, und die man
dadurch erreicht, wenn man, wie ich schon gesagt habe,
nicht allein jede Wissenschaft vor sich selbst, sondern
auch in Absicht auf alle andere, und alle in Absicht
auf die menschliche Gesellschaft betrachtet. Hierin
fehlen die meisten deutschen Schriftsteller, die ihre
Wissenschaft zwar aus dem Grunde verstehen, aber

sie



ſchlecht? Der Bauer der das Feld beſaͤet, der Weber
der Zeuge bereitet, der Maurer der Haͤuſer bauet,
der Kaufmann, der die zur Nothwendigkeit und Be-
quemlichkeit gereichenden Dinge zuſammenbringt, tra-
gen jeder durch ihren Fleiß das ihrige zum gemeinen
Beſten bey, und auch die Gelehrten werden durch ſie
genaͤhret, bekleidet, vor den Ungemaͤchlichkeiten des
Wetters bewahrt, und mit Bequemlichkeiten verſehen;
ſollten die Gelehrten nun ein Recht haben, ihre Einſich-
ten beſtaͤndig nur unter ſich zu behalten, und ſie nie dieſem
geſchaͤftigen Theile der Nation, fuͤr die Wohlthaten, die
ſie taͤglich von ihm empfangen, mitzutheilen. Sie
koͤnnen dieſes nicht allein dadurch thun, wenn ſie ge-
wiſſe gemeinnuͤtzige Wahrheiten faßlich vortragen, wel-
che Beſchaͤftigung viele Gelehrten deshalb verachten,
weil ſie glauben, daß nur maͤßige Geſchicklichkeit dazu
gehoͤre. Es giebt vielmehr noch eine hoͤhere Art der
Gemeinnuͤtzigkeit, die Genie, Gelehrſamkeit, An-
ſtrengung aller Geiſteskraͤfte erfodert, und die man
dadurch erreicht, wenn man, wie ich ſchon geſagt habe,
nicht allein jede Wiſſenſchaft vor ſich ſelbſt, ſondern
auch in Abſicht auf alle andere, und alle in Abſicht
auf die menſchliche Geſellſchaft betrachtet. Hierin
fehlen die meiſten deutſchen Schriftſteller, die ihre
Wiſſenſchaft zwar aus dem Grunde verſtehen, aber

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0151" n="127"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;chlecht? Der Bauer der das Feld be&#x017F;a&#x0364;et, der Weber<lb/>
der Zeuge bereitet, der Maurer der Ha&#x0364;u&#x017F;er bauet,<lb/>
der Kaufmann, der die zur Nothwendigkeit und Be-<lb/>
quemlichkeit gereichenden Dinge zu&#x017F;ammenbringt, tra-<lb/>
gen jeder durch ihren Fleiß das ihrige zum gemeinen<lb/>
Be&#x017F;ten bey, und auch die Gelehrten werden durch &#x017F;ie<lb/>
gena&#x0364;hret, bekleidet, vor den Ungema&#x0364;chlichkeiten des<lb/>
Wetters bewahrt, und mit Bequemlichkeiten ver&#x017F;ehen;<lb/>
&#x017F;ollten die Gelehrten nun ein Recht haben, ihre Ein&#x017F;ich-<lb/>
ten be&#x017F;ta&#x0364;ndig nur unter &#x017F;ich zu behalten, und &#x017F;ie nie die&#x017F;em<lb/>
ge&#x017F;cha&#x0364;ftigen Theile der Nation, fu&#x0364;r die Wohlthaten, die<lb/>
&#x017F;ie ta&#x0364;glich von ihm empfangen, mitzutheilen. Sie<lb/>
ko&#x0364;nnen die&#x017F;es nicht allein dadurch thun, wenn &#x017F;ie ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e gemeinnu&#x0364;tzige Wahrheiten faßlich vortragen, wel-<lb/>
che Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung viele Gelehrten deshalb verachten,<lb/>
weil &#x017F;ie glauben, daß nur ma&#x0364;ßige Ge&#x017F;chicklichkeit dazu<lb/>
geho&#x0364;re. Es giebt vielmehr noch eine ho&#x0364;here Art der<lb/>
Gemeinnu&#x0364;tzigkeit, die Genie, Gelehr&#x017F;amkeit, An-<lb/>
&#x017F;trengung aller Gei&#x017F;teskra&#x0364;fte erfodert, und die man<lb/>
dadurch erreicht, wenn man, wie ich &#x017F;chon ge&#x017F;agt habe,<lb/>
nicht allein jede Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern<lb/>
auch in Ab&#x017F;icht auf alle andere, und alle in Ab&#x017F;icht<lb/>
auf die men&#x017F;chliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft betrachtet. Hierin<lb/>
fehlen die mei&#x017F;ten deut&#x017F;chen Schrift&#x017F;teller, die ihre<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zwar aus dem Grunde ver&#x017F;tehen, aber<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0151] ſchlecht? Der Bauer der das Feld beſaͤet, der Weber der Zeuge bereitet, der Maurer der Haͤuſer bauet, der Kaufmann, der die zur Nothwendigkeit und Be- quemlichkeit gereichenden Dinge zuſammenbringt, tra- gen jeder durch ihren Fleiß das ihrige zum gemeinen Beſten bey, und auch die Gelehrten werden durch ſie genaͤhret, bekleidet, vor den Ungemaͤchlichkeiten des Wetters bewahrt, und mit Bequemlichkeiten verſehen; ſollten die Gelehrten nun ein Recht haben, ihre Einſich- ten beſtaͤndig nur unter ſich zu behalten, und ſie nie dieſem geſchaͤftigen Theile der Nation, fuͤr die Wohlthaten, die ſie taͤglich von ihm empfangen, mitzutheilen. Sie koͤnnen dieſes nicht allein dadurch thun, wenn ſie ge- wiſſe gemeinnuͤtzige Wahrheiten faßlich vortragen, wel- che Beſchaͤftigung viele Gelehrten deshalb verachten, weil ſie glauben, daß nur maͤßige Geſchicklichkeit dazu gehoͤre. Es giebt vielmehr noch eine hoͤhere Art der Gemeinnuͤtzigkeit, die Genie, Gelehrſamkeit, An- ſtrengung aller Geiſteskraͤfte erfodert, und die man dadurch erreicht, wenn man, wie ich ſchon geſagt habe, nicht allein jede Wiſſenſchaft vor ſich ſelbſt, ſondern auch in Abſicht auf alle andere, und alle in Abſicht auf die menſchliche Geſellſchaft betrachtet. Hierin fehlen die meiſten deutſchen Schriftſteller, die ihre Wiſſenſchaft zwar aus dem Grunde verſtehen, aber ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/151
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/151>, abgerufen am 12.05.2024.