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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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pfinden konnten, etwas ungeschmackt, aber er war
sonst das unschädlichste Geschöpfchen unter der Sonne.
Er that nie etwas böses, war nachgebend, gefällig,
mitleidig und gutherzig, beleidigte kein Kind, und
beleidigt, war er nie geneigt sich zu rächen, kurz er war
aller guten Eigenschaften fähig, zu denen nicht noth-
wendig Stärke des Geistes erfordert wird. Wenn es
wahr ist, daß die schönen Wissenschaften, die Herzen
ihrer Liebhaber erweichen, so waren sie es vermuthlich,
die seine Seele so breyweich gemacht hatten, daß sie
einer herzhaften That, oder einer lebhaften Entschlie-
ßung, so wenig im Guten als im Bösen fähig war.
Die lebhafteste Empfindung in seiner Seele, war im-
mer die Begierde, seine Gedichte und besonders vom
Frauenzimmer gelobt zu sehen. Dieser Absicht
wegen war sein Kleid immer nach der neuesten
Mode geschnitten, sein seidner Strumpf milchweiß,
und seine Spitzenmanschetten caffebraun gewaschen,
dieser Absicht wegen sagte er zuerst seinen Nach-
barn und Nachbarinnen verbindliche Dinge vor, war
gefällig, nachgebend, kam jedermann mit Höflichkeit
zuvor, und pries mit gleicher Behendigkeit, bey den
modischen Schönen das Putzwerk, bey den tugend-
haften die Tugend, und bey den witzigen den Witz.
War er aber gleichwohl so unglücklich, seine Absicht

nicht



pfinden konnten, etwas ungeſchmackt, aber er war
ſonſt das unſchaͤdlichſte Geſchoͤpfchen unter der Sonne.
Er that nie etwas boͤſes, war nachgebend, gefaͤllig,
mitleidig und gutherzig, beleidigte kein Kind, und
beleidigt, war er nie geneigt ſich zu raͤchen, kurz er war
aller guten Eigenſchaften faͤhig, zu denen nicht noth-
wendig Staͤrke des Geiſtes erfordert wird. Wenn es
wahr iſt, daß die ſchoͤnen Wiſſenſchaften, die Herzen
ihrer Liebhaber erweichen, ſo waren ſie es vermuthlich,
die ſeine Seele ſo breyweich gemacht hatten, daß ſie
einer herzhaften That, oder einer lebhaften Entſchlie-
ßung, ſo wenig im Guten als im Boͤſen faͤhig war.
Die lebhafteſte Empfindung in ſeiner Seele, war im-
mer die Begierde, ſeine Gedichte und beſonders vom
Frauenzimmer gelobt zu ſehen. Dieſer Abſicht
wegen war ſein Kleid immer nach der neueſten
Mode geſchnitten, ſein ſeidner Strumpf milchweiß,
und ſeine Spitzenmanſchetten caffebraun gewaſchen,
dieſer Abſicht wegen ſagte er zuerſt ſeinen Nach-
barn und Nachbarinnen verbindliche Dinge vor, war
gefaͤllig, nachgebend, kam jedermann mit Hoͤflichkeit
zuvor, und pries mit gleicher Behendigkeit, bey den
modiſchen Schoͤnen das Putzwerk, bey den tugend-
haften die Tugend, und bey den witzigen den Witz.
War er aber gleichwohl ſo ungluͤcklich, ſeine Abſicht

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[190/0216] pfinden konnten, etwas ungeſchmackt, aber er war ſonſt das unſchaͤdlichſte Geſchoͤpfchen unter der Sonne. Er that nie etwas boͤſes, war nachgebend, gefaͤllig, mitleidig und gutherzig, beleidigte kein Kind, und beleidigt, war er nie geneigt ſich zu raͤchen, kurz er war aller guten Eigenſchaften faͤhig, zu denen nicht noth- wendig Staͤrke des Geiſtes erfordert wird. Wenn es wahr iſt, daß die ſchoͤnen Wiſſenſchaften, die Herzen ihrer Liebhaber erweichen, ſo waren ſie es vermuthlich, die ſeine Seele ſo breyweich gemacht hatten, daß ſie einer herzhaften That, oder einer lebhaften Entſchlie- ßung, ſo wenig im Guten als im Boͤſen faͤhig war. Die lebhafteſte Empfindung in ſeiner Seele, war im- mer die Begierde, ſeine Gedichte und beſonders vom Frauenzimmer gelobt zu ſehen. Dieſer Abſicht wegen war ſein Kleid immer nach der neueſten Mode geſchnitten, ſein ſeidner Strumpf milchweiß, und ſeine Spitzenmanſchetten caffebraun gewaſchen, dieſer Abſicht wegen ſagte er zuerſt ſeinen Nach- barn und Nachbarinnen verbindliche Dinge vor, war gefaͤllig, nachgebend, kam jedermann mit Hoͤflichkeit zuvor, und pries mit gleicher Behendigkeit, bey den modiſchen Schoͤnen das Putzwerk, bey den tugend- haften die Tugend, und bey den witzigen den Witz. War er aber gleichwohl ſo ungluͤcklich, ſeine Abſicht nicht

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/216>, abgerufen am 14.05.2024.