Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.ten Anzug. Es war ihr sogar verdrüßlich, daß sie ferner nicht Aufwartung machen, und sich vor höhe- ren Personen tief verneigen sollte. Das Glück un- abhängig zu seyn, schien ihr Erniedrigung. Die un- gekünstelte Schönheit der Natur, die sie auf dem Lan- de vor sich hatte, konnte sie noch nicht wegen des Flit- terstaats der Kunst, den sie nun nicht mehr erblickte, schadlos halten. Sie erinnerte sich mit Sehnsucht der glänzenden Scenen von Bällen, Concerten und Schlittenfahrten, die sie ost -- angesehen hatte, noch mehr des gnädigen Kopfneigens der Fürstinn, durch das sie zuweilen unter der Menge gaffenden Hofgesindes war hervorgezogen worden. Sie that bey jeder Gelegenheit kleine Reisen in die Stadt, und unterließ nicht, ihre Aufwartung bey Hofe zu machen. Sie merkte aber gar bald, daß man sich am Hofe um die nicht bekümmert, die man nicht braucht, und daß ihre Stelle von andern eingenommen war. Dies kostete ihr zwar manche Thräne, war aber doch die erste Ursach, daß ihr ihr itziger Zustand erträglicher vorkam, und daß sie anfieng, die guten Gesinnungen ihres Sebaldus einzusehen, welche zu bemerken, sie bisher durch sein unmodisches Kleid und durch seine ungepuderte Pernke war verhindert worden. Sie er- wiederte seine Liebkosungen mit freundlichen Blicken, er kam
ten Anzug. Es war ihr ſogar verdruͤßlich, daß ſie ferner nicht Aufwartung machen, und ſich vor hoͤhe- ren Perſonen tief verneigen ſollte. Das Gluͤck un- abhaͤngig zu ſeyn, ſchien ihr Erniedrigung. Die un- gekuͤnſtelte Schoͤnheit der Natur, die ſie auf dem Lan- de vor ſich hatte, konnte ſie noch nicht wegen des Flit- terſtaats der Kunſt, den ſie nun nicht mehr erblickte, ſchadlos halten. Sie erinnerte ſich mit Sehnſucht der glaͤnzenden Scenen von Baͤllen, Concerten und Schlittenfahrten, die ſie oſt — angeſehen hatte, noch mehr des gnaͤdigen Kopfneigens der Fuͤrſtinn, durch das ſie zuweilen unter der Menge gaffenden Hofgeſindes war hervorgezogen worden. Sie that bey jeder Gelegenheit kleine Reiſen in die Stadt, und unterließ nicht, ihre Aufwartung bey Hofe zu machen. Sie merkte aber gar bald, daß man ſich am Hofe um die nicht bekuͤmmert, die man nicht braucht, und daß ihre Stelle von andern eingenommen war. Dies koſtete ihr zwar manche Thraͤne, war aber doch die erſte Urſach, daß ihr ihr itziger Zuſtand ertraͤglicher vorkam, und daß ſie anfieng, die guten Geſinnungen ihres Sebaldus einzuſehen, welche zu bemerken, ſie bisher durch ſein unmodiſches Kleid und durch ſeine ungepuderte Pernke war verhindert worden. Sie er- wiederte ſeine Liebkoſungen mit freundlichen Blicken, er kam
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0022" n="2"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ten Anzug. Es war ihr ſogar verdruͤßlich, daß ſie<lb/> ferner nicht Aufwartung machen, und ſich vor hoͤhe-<lb/> ren Perſonen tief verneigen ſollte. Das Gluͤck un-<lb/> abhaͤngig zu ſeyn, ſchien ihr Erniedrigung. Die un-<lb/> gekuͤnſtelte Schoͤnheit der Natur, die ſie auf dem Lan-<lb/> de vor ſich hatte, konnte ſie noch nicht wegen des Flit-<lb/> terſtaats der Kunſt, den ſie nun nicht mehr erblickte,<lb/> ſchadlos halten. Sie erinnerte ſich mit Sehnſucht<lb/> der glaͤnzenden Scenen von Baͤllen, Concerten und<lb/> Schlittenfahrten, die ſie oſt — <hi rendition="#fr">angeſehen</hi> hatte,<lb/> noch mehr des gnaͤdigen Kopfneigens der Fuͤrſtinn,<lb/> durch das ſie zuweilen unter der Menge gaffenden<lb/> Hofgeſindes war hervorgezogen worden. Sie that<lb/> bey jeder Gelegenheit kleine Reiſen in die Stadt, und<lb/> unterließ nicht, ihre Aufwartung bey Hofe zu machen.<lb/> Sie merkte aber gar bald, daß man ſich am Hofe<lb/> um die nicht bekuͤmmert, die man nicht braucht, und<lb/> daß ihre Stelle von andern eingenommen war. Dies<lb/> koſtete ihr zwar manche Thraͤne, war aber doch die<lb/> erſte Urſach, daß ihr ihr itziger Zuſtand ertraͤglicher<lb/> vorkam, und daß ſie anfieng, die guten Geſinnungen<lb/> ihres <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> einzuſehen, welche zu bemerken, ſie<lb/> bisher durch ſein unmodiſches Kleid und durch ſeine<lb/> ungepuderte Pernke war verhindert worden. Sie er-<lb/> wiederte ſeine Liebkoſungen mit freundlichen Blicken, er<lb/> <fw place="bottom" type="catch">kam</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0022]
ten Anzug. Es war ihr ſogar verdruͤßlich, daß ſie
ferner nicht Aufwartung machen, und ſich vor hoͤhe-
ren Perſonen tief verneigen ſollte. Das Gluͤck un-
abhaͤngig zu ſeyn, ſchien ihr Erniedrigung. Die un-
gekuͤnſtelte Schoͤnheit der Natur, die ſie auf dem Lan-
de vor ſich hatte, konnte ſie noch nicht wegen des Flit-
terſtaats der Kunſt, den ſie nun nicht mehr erblickte,
ſchadlos halten. Sie erinnerte ſich mit Sehnſucht
der glaͤnzenden Scenen von Baͤllen, Concerten und
Schlittenfahrten, die ſie oſt — angeſehen hatte,
noch mehr des gnaͤdigen Kopfneigens der Fuͤrſtinn,
durch das ſie zuweilen unter der Menge gaffenden
Hofgeſindes war hervorgezogen worden. Sie that
bey jeder Gelegenheit kleine Reiſen in die Stadt, und
unterließ nicht, ihre Aufwartung bey Hofe zu machen.
Sie merkte aber gar bald, daß man ſich am Hofe
um die nicht bekuͤmmert, die man nicht braucht, und
daß ihre Stelle von andern eingenommen war. Dies
koſtete ihr zwar manche Thraͤne, war aber doch die
erſte Urſach, daß ihr ihr itziger Zuſtand ertraͤglicher
vorkam, und daß ſie anfieng, die guten Geſinnungen
ihres Sebaldus einzuſehen, welche zu bemerken, ſie
bisher durch ſein unmodiſches Kleid und durch ſeine
ungepuderte Pernke war verhindert worden. Sie er-
wiederte ſeine Liebkoſungen mit freundlichen Blicken, er
kam
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |