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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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"Ach gnädige Mame! wenn sie mich belohnen
"wollen, so lassen Sie mich selbst die Belohnung wäh-
"len; Geruhen Sie, mir eine einzige Bitte zu gewäh-
"ren; schlagen Sie mir nicht ab, was ich Sie bitten
"will."

"Was verlangst du, mein Kind? Jch kan dir
"nichts abschlagen."

"O meine gnädige Mama! so erbarmen Sie sich
"einer armen Frau und fünf Kinder, alle noch viel
"kleiner, viel unerzogener als ich, und die die Hülfe
"ihres Vaters so nöthig haben. Bitten Sie den gnä-
"digen Papa, daß er den armen Jacob loslasse, der
"im Gefängnisse liegt; geben Sie das Geld für die
"Zitternadel die Sie mir zugedacht haben, seiner ar-
"men Frau und Kindern."

"Fräulein," sagte die Frau von Hohenauf, mit
einem Angesicht voll kalter Würde, -- "was geht mich
"und dich das Diebsgesindel an?"

"Ach gnädige Mama! wenn Sie sehen sollten,
"wie elend die Leute sind; wie sie an allem Mangel
"leiden was wir im Ueberflusse haben, wie sie frie-
"ren, wie sie hungern, wie drey von den Kindern auf
"elendem Strohe krank liegen."

"Mädchen, woher kanst du dies wissen?

"Ach, ich habe es gesehen, liebste beste Mama,
"ich habe es selbst gesehen."

"Ge-


„Ach gnaͤdige Mame! wenn ſie mich belohnen
„wollen, ſo laſſen Sie mich ſelbſt die Belohnung waͤh-
„len; Geruhen Sie, mir eine einzige Bitte zu gewaͤh-
„ren; ſchlagen Sie mir nicht ab, was ich Sie bitten
„will.‟

„Was verlangſt du, mein Kind? Jch kan dir
„nichts abſchlagen.‟

„O meine gnaͤdige Mama! ſo erbarmen Sie ſich
„einer armen Frau und fuͤnf Kinder, alle noch viel
„kleiner, viel unerzogener als ich, und die die Huͤlfe
„ihres Vaters ſo noͤthig haben. Bitten Sie den gnaͤ-
„digen Papa, daß er den armen Jacob loslaſſe, der
„im Gefaͤngniſſe liegt; geben Sie das Geld fuͤr die
„Zitternadel die Sie mir zugedacht haben, ſeiner ar-
„men Frau und Kindern.‟

„Fraͤulein,‟ ſagte die Frau von Hohenauf, mit
einem Angeſicht voll kalter Wuͤrde, — „was geht mich
„und dich das Diebsgeſindel an?‟

„Ach gnaͤdige Mama! wenn Sie ſehen ſollten,
„wie elend die Leute ſind; wie ſie an allem Mangel
„leiden was wir im Ueberfluſſe haben, wie ſie frie-
„ren, wie ſie hungern, wie drey von den Kindern auf
„elendem Strohe krank liegen.‟

„Maͤdchen, woher kanſt du dies wiſſen?

„Ach, ich habe es geſehen, liebſte beſte Mama,
„ich habe es ſelbſt geſehen.‟

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[198/0224] „Ach gnaͤdige Mame! wenn ſie mich belohnen „wollen, ſo laſſen Sie mich ſelbſt die Belohnung waͤh- „len; Geruhen Sie, mir eine einzige Bitte zu gewaͤh- „ren; ſchlagen Sie mir nicht ab, was ich Sie bitten „will.‟ „Was verlangſt du, mein Kind? Jch kan dir „nichts abſchlagen.‟ „O meine gnaͤdige Mama! ſo erbarmen Sie ſich „einer armen Frau und fuͤnf Kinder, alle noch viel „kleiner, viel unerzogener als ich, und die die Huͤlfe „ihres Vaters ſo noͤthig haben. Bitten Sie den gnaͤ- „digen Papa, daß er den armen Jacob loslaſſe, der „im Gefaͤngniſſe liegt; geben Sie das Geld fuͤr die „Zitternadel die Sie mir zugedacht haben, ſeiner ar- „men Frau und Kindern.‟ „Fraͤulein,‟ ſagte die Frau von Hohenauf, mit einem Angeſicht voll kalter Wuͤrde, — „was geht mich „und dich das Diebsgeſindel an?‟ „Ach gnaͤdige Mama! wenn Sie ſehen ſollten, „wie elend die Leute ſind; wie ſie an allem Mangel „leiden was wir im Ueberfluſſe haben, wie ſie frie- „ren, wie ſie hungern, wie drey von den Kindern auf „elendem Strohe krank liegen.‟ „Maͤdchen, woher kanſt du dies wiſſen? „Ach, ich habe es geſehen, liebſte beſte Mama, „ich habe es ſelbſt geſehen.‟ „Ge-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/224>, abgerufen am 21.11.2024.