Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



für ihn fühlte. Säugling glaubte in den dritten
Himmel versetzt zu seyn, dankte ihr mit den herz-
rührendsten Ausdrücken, und beide schworen sich eine
unverbrüchliche Treue und Zärtlichkeit.

Sie hatten sich so viel zu sagen, daß einige Stun-
den vergiengen, ehe sie voneinander schieden. Die
Wollust dieser Unterredung war zu groß, als daß
nicht noch mehrere gleich geheime Zusammenkünfte
auf diese hätten folgen sollen, in denen beide Liebenden
ihre Herzen aufs genaueste mit einander vereinigten,
und den süßesten Reiz darin fanden, daß sie alles
Widerstandes ohngeachtet, sich ewig lieben wollten.

Jndessen hatte die Frau von Hohenauf insge-
heim erfahren, daß Mariane täglich sehr früh auf-
stände, in den Garten gienge, und sich daselbst einige
Stunden aufhielte. Sie gieng ihr eines Tages, ohne
die wahre Ursach nur im geringsten zu vermuthen,
nach, und behorchte das verliebte Paar, als sie eben
in der zärtlichsten Unterredung waren. Sie kannte
sich selbst nicht, vor heftiger Wuth. Sie fuhr wie
eine Furie auf die arme Mariane los, belegte sie mit
den schimpflichsten Namen, stieß sie aus der Laube
heraus, und indem sie dem ganz erschrockenen Säug-
ling,
der wie eine unbewegliche Bildsäule da stand,
zuschrie, daß sie seinem Vater seine abscheuliche Bos-

heit
P 2



fuͤr ihn fuͤhlte. Saͤugling glaubte in den dritten
Himmel verſetzt zu ſeyn, dankte ihr mit den herz-
ruͤhrendſten Ausdruͤcken, und beide ſchworen ſich eine
unverbruͤchliche Treue und Zaͤrtlichkeit.

Sie hatten ſich ſo viel zu ſagen, daß einige Stun-
den vergiengen, ehe ſie voneinander ſchieden. Die
Wolluſt dieſer Unterredung war zu groß, als daß
nicht noch mehrere gleich geheime Zuſammenkuͤnfte
auf dieſe haͤtten folgen ſollen, in denen beide Liebenden
ihre Herzen aufs genaueſte mit einander vereinigten,
und den ſuͤßeſten Reiz darin fanden, daß ſie alles
Widerſtandes ohngeachtet, ſich ewig lieben wollten.

Jndeſſen hatte die Frau von Hohenauf insge-
heim erfahren, daß Mariane taͤglich ſehr fruͤh auf-
ſtaͤnde, in den Garten gienge, und ſich daſelbſt einige
Stunden aufhielte. Sie gieng ihr eines Tages, ohne
die wahre Urſach nur im geringſten zu vermuthen,
nach, und behorchte das verliebte Paar, als ſie eben
in der zaͤrtlichſten Unterredung waren. Sie kannte
ſich ſelbſt nicht, vor heftiger Wuth. Sie fuhr wie
eine Furie auf die arme Mariane los, belegte ſie mit
den ſchimpflichſten Namen, ſtieß ſie aus der Laube
heraus, und indem ſie dem ganz erſchrockenen Saͤug-
ling,
der wie eine unbewegliche Bildſaͤule da ſtand,
zuſchrie, daß ſie ſeinem Vater ſeine abſcheuliche Bos-

heit
P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="227"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
fu&#x0364;r ihn fu&#x0364;hlte. <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> glaubte in den dritten<lb/>
Himmel ver&#x017F;etzt zu &#x017F;eyn, dankte ihr mit den herz-<lb/>
ru&#x0364;hrend&#x017F;ten Ausdru&#x0364;cken, und beide &#x017F;chworen &#x017F;ich eine<lb/>
unverbru&#x0364;chliche Treue und Za&#x0364;rtlichkeit.</p><lb/>
          <p>Sie hatten &#x017F;ich &#x017F;o viel zu &#x017F;agen, daß einige Stun-<lb/>
den vergiengen, ehe &#x017F;ie voneinander &#x017F;chieden. Die<lb/>
Wollu&#x017F;t die&#x017F;er Unterredung war zu groß, als daß<lb/>
nicht noch mehrere gleich geheime Zu&#x017F;ammenku&#x0364;nfte<lb/>
auf die&#x017F;e ha&#x0364;tten folgen &#x017F;ollen, in denen beide Liebenden<lb/>
ihre Herzen aufs genaue&#x017F;te mit einander vereinigten,<lb/>
und den &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten Reiz darin fanden, daß &#x017F;ie alles<lb/>
Wider&#x017F;tandes ohngeachtet, &#x017F;ich ewig lieben wollten.</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en hatte die Frau von <hi rendition="#fr">Hohenauf</hi> insge-<lb/>
heim erfahren, daß <hi rendition="#fr">Mariane</hi> ta&#x0364;glich &#x017F;ehr fru&#x0364;h auf-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde, in den Garten gienge, und &#x017F;ich da&#x017F;elb&#x017F;t einige<lb/>
Stunden aufhielte. Sie gieng ihr eines Tages, ohne<lb/>
die wahre Ur&#x017F;ach nur im gering&#x017F;ten zu vermuthen,<lb/>
nach, und behorchte das verliebte Paar, als &#x017F;ie eben<lb/>
in der za&#x0364;rtlich&#x017F;ten Unterredung waren. Sie kannte<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht, vor heftiger Wuth. Sie fuhr wie<lb/>
eine Furie auf die arme <hi rendition="#fr">Mariane</hi> los, belegte &#x017F;ie mit<lb/>
den &#x017F;chimpflich&#x017F;ten Namen, &#x017F;tieß &#x017F;ie aus der Laube<lb/>
heraus, und indem &#x017F;ie dem ganz er&#x017F;chrockenen <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ug-<lb/>
ling,</hi> der wie eine unbewegliche Bild&#x017F;a&#x0364;ule da &#x017F;tand,<lb/>
zu&#x017F;chrie, daß &#x017F;ie &#x017F;einem Vater &#x017F;eine ab&#x017F;cheuliche Bos-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 2</fw><fw place="bottom" type="catch">heit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0255] fuͤr ihn fuͤhlte. Saͤugling glaubte in den dritten Himmel verſetzt zu ſeyn, dankte ihr mit den herz- ruͤhrendſten Ausdruͤcken, und beide ſchworen ſich eine unverbruͤchliche Treue und Zaͤrtlichkeit. Sie hatten ſich ſo viel zu ſagen, daß einige Stun- den vergiengen, ehe ſie voneinander ſchieden. Die Wolluſt dieſer Unterredung war zu groß, als daß nicht noch mehrere gleich geheime Zuſammenkuͤnfte auf dieſe haͤtten folgen ſollen, in denen beide Liebenden ihre Herzen aufs genaueſte mit einander vereinigten, und den ſuͤßeſten Reiz darin fanden, daß ſie alles Widerſtandes ohngeachtet, ſich ewig lieben wollten. Jndeſſen hatte die Frau von Hohenauf insge- heim erfahren, daß Mariane taͤglich ſehr fruͤh auf- ſtaͤnde, in den Garten gienge, und ſich daſelbſt einige Stunden aufhielte. Sie gieng ihr eines Tages, ohne die wahre Urſach nur im geringſten zu vermuthen, nach, und behorchte das verliebte Paar, als ſie eben in der zaͤrtlichſten Unterredung waren. Sie kannte ſich ſelbſt nicht, vor heftiger Wuth. Sie fuhr wie eine Furie auf die arme Mariane los, belegte ſie mit den ſchimpflichſten Namen, ſtieß ſie aus der Laube heraus, und indem ſie dem ganz erſchrockenen Saͤug- ling, der wie eine unbewegliche Bildſaͤule da ſtand, zuſchrie, daß ſie ſeinem Vater ſeine abſcheuliche Bos- heit P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/255
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/255>, abgerufen am 12.05.2024.