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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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bensart und in ihren Vergnügen gewann mehrere
Veränderung, so wie ihre Kinder zunahmen. Eine
richtige Anmerkung, oder ein witziger Einfall, den
Mariane hören ließ, ein neues musikalisches Stück
das sie zum ersten mahl spielte, war der älterlichen
Zärtlichkeit ein Fest, woran ihr Vergnügen Tage
lang Nahrung hatte. Der Tag, da Charlottchen
zuerst das süsse Wort Mutter lallte, der, da sie zu-
erst auf ihren kleinen Füssen drittehalb Schritte von
dem Schooße der Mutter zum Vater allein forttau-
melte, der, da sie ihm das erste von ihr genähte Säum-
chen vorzeigen konnte, oder der, da sie, durch ihre
zärtliche Schwester gelehrt, beide Eltern durch Her-
sagung der Gellertschen Fabel vom Zeisig überraschte,
waren in dieser kleinen Familie Galatage, deren
Anmuth, wider die Art der höfischen, auch noch
nachdem sie vorbey waren genossen ward.

So vollkommen das Glück dieser Familie war, so
drohete es doch ein kleiner Vorfall zu unterbrechen.
Es erschien in den letzten Jahren des vergangenen
Krieges eine Schrift: Vom Tode für das Vater-
land,
betittelt. Diese kleine Schrift würde in das
ruhige Fürstenthum, so leicht nicht eingedrungen seyn,
welches von neuen Schriften, sonderlich von solchen,
die sich mit dem Tande der weltlichen Weisheit, und

mit
B 2



bensart und in ihren Vergnuͤgen gewann mehrere
Veraͤnderung, ſo wie ihre Kinder zunahmen. Eine
richtige Anmerkung, oder ein witziger Einfall, den
Mariane hoͤren ließ, ein neues muſikaliſches Stuͤck
das ſie zum erſten mahl ſpielte, war der aͤlterlichen
Zaͤrtlichkeit ein Feſt, woran ihr Vergnuͤgen Tage
lang Nahrung hatte. Der Tag, da Charlottchen
zuerſt das ſuͤſſe Wort Mutter lallte, der, da ſie zu-
erſt auf ihren kleinen Fuͤſſen drittehalb Schritte von
dem Schooße der Mutter zum Vater allein forttau-
melte, der, da ſie ihm das erſte von ihr genaͤhte Saͤum-
chen vorzeigen konnte, oder der, da ſie, durch ihre
zaͤrtliche Schweſter gelehrt, beide Eltern durch Her-
ſagung der Gellertſchen Fabel vom Zeiſig uͤberraſchte,
waren in dieſer kleinen Familie Galatage, deren
Anmuth, wider die Art der hoͤfiſchen, auch noch
nachdem ſie vorbey waren genoſſen ward.

So vollkommen das Gluͤck dieſer Familie war, ſo
drohete es doch ein kleiner Vorfall zu unterbrechen.
Es erſchien in den letzten Jahren des vergangenen
Krieges eine Schrift: Vom Tode fuͤr das Vater-
land,
betittelt. Dieſe kleine Schrift wuͤrde in das
ruhige Fuͤrſtenthum, ſo leicht nicht eingedrungen ſeyn,
welches von neuen Schriften, ſonderlich von ſolchen,
die ſich mit dem Tande der weltlichen Weisheit, und

mit
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[19/0039] bensart und in ihren Vergnuͤgen gewann mehrere Veraͤnderung, ſo wie ihre Kinder zunahmen. Eine richtige Anmerkung, oder ein witziger Einfall, den Mariane hoͤren ließ, ein neues muſikaliſches Stuͤck das ſie zum erſten mahl ſpielte, war der aͤlterlichen Zaͤrtlichkeit ein Feſt, woran ihr Vergnuͤgen Tage lang Nahrung hatte. Der Tag, da Charlottchen zuerſt das ſuͤſſe Wort Mutter lallte, der, da ſie zu- erſt auf ihren kleinen Fuͤſſen drittehalb Schritte von dem Schooße der Mutter zum Vater allein forttau- melte, der, da ſie ihm das erſte von ihr genaͤhte Saͤum- chen vorzeigen konnte, oder der, da ſie, durch ihre zaͤrtliche Schweſter gelehrt, beide Eltern durch Her- ſagung der Gellertſchen Fabel vom Zeiſig uͤberraſchte, waren in dieſer kleinen Familie Galatage, deren Anmuth, wider die Art der hoͤfiſchen, auch noch nachdem ſie vorbey waren genoſſen ward. So vollkommen das Gluͤck dieſer Familie war, ſo drohete es doch ein kleiner Vorfall zu unterbrechen. Es erſchien in den letzten Jahren des vergangenen Krieges eine Schrift: Vom Tode fuͤr das Vater- land, betittelt. Dieſe kleine Schrift wuͤrde in das ruhige Fuͤrſtenthum, ſo leicht nicht eingedrungen ſeyn, welches von neuen Schriften, ſonderlich von ſolchen, die ſich mit dem Tande der weltlichen Weisheit, und mit B 2

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/39>, abgerufen am 28.04.2024.