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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"hen, und ihre Arbeit gleichgültig gelobt. Jn kurzem
"ward er zudringender, die Wirthinn ließ ihn mit mei-
"ner Tochter geflissentlich allein, oder ward von
"ihrem Vetter zu andern Geschäfften gerufen. Nun
"wandte er alle verführerischen Künste an, um ein jun-
"ges Herz zu gewinnen, daß noch nicht gelernt hatte,
"sich gegen betrügerische Anlockungen zur Wehre zu
"stellen. Das süße Gift der Schmeicheley bethört
"wohl oft einen weisen gesetzten Mann, wie sollte ihm
"ein junges unerfahrnes Mädchen widerstehen kön-
"nen, das noch keinen hinterlistigen Menschen gese-
"hen hatte, das jedes Herz für so ehrlich hielt, als
"ihr eigenes. Kurz, ihr ward ihre Unschuld geraubt.
"Die Folgen davon ließen sich bald spüren. Sie
"ward kränklich, und das schreckliche Geheimniß konnte
"ihrer Mutter ferner nicht verborgen bleiben. Wir
"waren wie vom Blitze gerührt, aber Klagen und
"Verwünschungen waren zu spät, wir mußten nur
"unser armes Kind zu retten suchen, das in Kummer
"über ihren Fehltritt, den sie nun erst in seiner wah-
"ren Gestalt sah, sich das Leben abhärmte. Auf der
"andern Seite wollte der Verführer auch nicht eher
"von ihr ablassen, bis er ihrer völlig satt wäre. Er
"sandte täglich Botschaften und Briefe, die nicht an-
"genommen wurden. Der Kammerdiener schlich sich

"einige-



”hen, und ihre Arbeit gleichguͤltig gelobt. Jn kurzem
”ward er zudringender, die Wirthinn ließ ihn mit mei-
”ner Tochter gefliſſentlich allein, oder ward von
”ihrem Vetter zu andern Geſchaͤfften gerufen. Nun
”wandte er alle verfuͤhreriſchen Kuͤnſte an, um ein jun-
”ges Herz zu gewinnen, daß noch nicht gelernt hatte,
”ſich gegen betruͤgeriſche Anlockungen zur Wehre zu
”ſtellen. Das ſuͤße Gift der Schmeicheley bethoͤrt
”wohl oft einen weiſen geſetzten Mann, wie ſollte ihm
”ein junges unerfahrnes Maͤdchen widerſtehen koͤn-
”nen, das noch keinen hinterliſtigen Menſchen geſe-
”hen hatte, das jedes Herz fuͤr ſo ehrlich hielt, als
”ihr eigenes. Kurz, ihr ward ihre Unſchuld geraubt.
”Die Folgen davon ließen ſich bald ſpuͤren. Sie
”ward kraͤnklich, und das ſchreckliche Geheimniß konnte
”ihrer Mutter ferner nicht verborgen bleiben. Wir
”waren wie vom Blitze geruͤhrt, aber Klagen und
”Verwuͤnſchungen waren zu ſpaͤt, wir mußten nur
”unſer armes Kind zu retten ſuchen, das in Kummer
”uͤber ihren Fehltritt, den ſie nun erſt in ſeiner wah-
”ren Geſtalt ſah, ſich das Leben abhaͤrmte. Auf der
”andern Seite wollte der Verfuͤhrer auch nicht eher
”von ihr ablaſſen, bis er ihrer voͤllig ſatt waͤre. Er
”ſandte taͤglich Botſchaften und Briefe, die nicht an-
”genommen wurden. Der Kammerdiener ſchlich ſich

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[104/0112] ”hen, und ihre Arbeit gleichguͤltig gelobt. Jn kurzem ”ward er zudringender, die Wirthinn ließ ihn mit mei- ”ner Tochter gefliſſentlich allein, oder ward von ”ihrem Vetter zu andern Geſchaͤfften gerufen. Nun ”wandte er alle verfuͤhreriſchen Kuͤnſte an, um ein jun- ”ges Herz zu gewinnen, daß noch nicht gelernt hatte, ”ſich gegen betruͤgeriſche Anlockungen zur Wehre zu ”ſtellen. Das ſuͤße Gift der Schmeicheley bethoͤrt ”wohl oft einen weiſen geſetzten Mann, wie ſollte ihm ”ein junges unerfahrnes Maͤdchen widerſtehen koͤn- ”nen, das noch keinen hinterliſtigen Menſchen geſe- ”hen hatte, das jedes Herz fuͤr ſo ehrlich hielt, als ”ihr eigenes. Kurz, ihr ward ihre Unſchuld geraubt. ”Die Folgen davon ließen ſich bald ſpuͤren. Sie ”ward kraͤnklich, und das ſchreckliche Geheimniß konnte ”ihrer Mutter ferner nicht verborgen bleiben. Wir ”waren wie vom Blitze geruͤhrt, aber Klagen und ”Verwuͤnſchungen waren zu ſpaͤt, wir mußten nur ”unſer armes Kind zu retten ſuchen, das in Kummer ”uͤber ihren Fehltritt, den ſie nun erſt in ſeiner wah- ”ren Geſtalt ſah, ſich das Leben abhaͤrmte. Auf der ”andern Seite wollte der Verfuͤhrer auch nicht eher ”von ihr ablaſſen, bis er ihrer voͤllig ſatt waͤre. Er ”ſandte taͤglich Botſchaften und Briefe, die nicht an- ”genommen wurden. Der Kammerdiener ſchlich ſich ”einige-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/112>, abgerufen am 21.11.2024.