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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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Jndem er dieses sagte, trat Sebaldus herein, um
ihn zu besuchen.

,Sie kommen, mein lieber Freund, sagte der
"Kranke, gerade zur rechten Zeit. Jch werde von
"diesem Lager nicht wieder aufkommen, ich weiß es,
"und bin ganz völlig gefaßt zu sterben. Nun meine
"mein guter Frauz, (er drückte demselben die Hand)
"es sey nöthig, daß ich von einem Geistlichen zum
"Tode bereitet würde. Dieß wünschte ich von nie-
"mand lieber, als von Jhnen, mein Freund. Thun
"Sie, als ob Sie mein Beichtvater wären. Fragen
"Sie mich, lehren Sie mich, beten Sie mit mir.'

Sebaldus sagte sehr gerührt: ,Der Zuspruch auf
"dem Todtenbette ist allezeit eine sehr schwere und
"zuweilen eine vergebliche Sache. Es kann daselbst
"schwerlich noch eine Veränderung des Geistes vorge-
"hen, wenn sie vorher im ganzen Leben nicht gesche-
"hen ist. Glaubenslehren zu beweisen, ist die Zeit zu
"kurz und der Geist nicht heiter genug; Pflichten ein-
"einzuschärfen, ist zu spät. Die Schwachen aufzurich-
"ten, ist was ein menschenfreundlicher Prediger am
"leichtesten thun kann.'

Maj. Herr! ich bin nicht schwach! schonen Sie
meiner gar nicht, sondern gehen Sie mit mir um,

wie
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Jndem er dieſes ſagte, trat Sebaldus herein, um
ihn zu beſuchen.

‚Sie kommen, mein lieber Freund, ſagte der
”Kranke, gerade zur rechten Zeit. Jch werde von
”dieſem Lager nicht wieder aufkommen, ich weiß es,
”und bin ganz voͤllig gefaßt zu ſterben. Nun meine
”mein guter Frauz, (er druͤckte demſelben die Hand)
”es ſey noͤthig, daß ich von einem Geiſtlichen zum
”Tode bereitet wuͤrde. Dieß wuͤnſchte ich von nie-
”mand lieber, als von Jhnen, mein Freund. Thun
”Sie, als ob Sie mein Beichtvater waͤren. Fragen
”Sie mich, lehren Sie mich, beten Sie mit mir.‛

Sebaldus ſagte ſehr geruͤhrt: ‚Der Zuſpruch auf
”dem Todtenbette iſt allezeit eine ſehr ſchwere und
”zuweilen eine vergebliche Sache. Es kann daſelbſt
”ſchwerlich noch eine Veraͤnderung des Geiſtes vorge-
”hen, wenn ſie vorher im ganzen Leben nicht geſche-
”hen iſt. Glaubenslehren zu beweiſen, iſt die Zeit zu
”kurz und der Geiſt nicht heiter genug; Pflichten ein-
”einzuſchaͤrfen, iſt zu ſpaͤt. Die Schwachen aufzurich-
”ten, iſt was ein menſchenfreundlicher Prediger am
”leichteſten thun kann.‛

Maj. Herr! ich bin nicht ſchwach! ſchonen Sie
meiner gar nicht, ſondern gehen Sie mit mir um,

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[115/0125] Jndem er dieſes ſagte, trat Sebaldus herein, um ihn zu beſuchen. ‚Sie kommen, mein lieber Freund, ſagte der ”Kranke, gerade zur rechten Zeit. Jch werde von ”dieſem Lager nicht wieder aufkommen, ich weiß es, ”und bin ganz voͤllig gefaßt zu ſterben. Nun meine ”mein guter Frauz, (er druͤckte demſelben die Hand) ”es ſey noͤthig, daß ich von einem Geiſtlichen zum ”Tode bereitet wuͤrde. Dieß wuͤnſchte ich von nie- ”mand lieber, als von Jhnen, mein Freund. Thun ”Sie, als ob Sie mein Beichtvater waͤren. Fragen ”Sie mich, lehren Sie mich, beten Sie mit mir.‛ Sebaldus ſagte ſehr geruͤhrt: ‚Der Zuſpruch auf ”dem Todtenbette iſt allezeit eine ſehr ſchwere und ”zuweilen eine vergebliche Sache. Es kann daſelbſt ”ſchwerlich noch eine Veraͤnderung des Geiſtes vorge- ”hen, wenn ſie vorher im ganzen Leben nicht geſche- ”hen iſt. Glaubenslehren zu beweiſen, iſt die Zeit zu ”kurz und der Geiſt nicht heiter genug; Pflichten ein- ”einzuſchaͤrfen, iſt zu ſpaͤt. Die Schwachen aufzurich- ”ten, iſt was ein menſchenfreundlicher Prediger am ”leichteſten thun kann.‛ Maj. Herr! ich bin nicht ſchwach! ſchonen Sie meiner gar nicht, ſondern gehen Sie mit mir um, wie H 4

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/125>, abgerufen am 24.11.2024.