Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."plagt ohne Ende. Welcher Gräuel! können Men- "schen ihre Nebenmenschen so verdammen, und kön- "nen mit Wohlgefallen von ihrer Verdammung ein "feyerliches Lied singen!' Der Pietist lächelte, und sagte mit sanfter Stim- Sebaldus fuhr sehr heftig heraus: ,Nein, das "Reue Will man denn nicht endlich einsehen, wie unsinnig es ist, bey Kindern, indem man ihnen die Lehren der Reli- gion beybringen will, die edlen Empfindungen der Mensch- lichkeit zu unterdrücken, und wie abscheulich, sie zu lehren, daß ihr Willen mit dem Willen Gottes übereinstimme, wenn sie die überschwenglichen Leiden anderer Menschen sich nicht zu Herzen gehen lassen. So lange solche Unge- reimtheiten noch in unsern Katechismen stehen, dürfen wir den Spötter nicht anklagen, der einem Kapuziner die Worte in den Mund legt: "Et moi Predestine, je rirai bien quand "vous serez damne." B
”plagt ohne Ende. Welcher Graͤuel! koͤnnen Men- ”ſchen ihre Nebenmenſchen ſo verdammen, und koͤn- ”nen mit Wohlgefallen von ihrer Verdammung ein ”feyerliches Lied ſingen!‛ Der Pietiſt laͤchelte, und ſagte mit ſanfter Stim- Sebaldus fuhr ſehr heftig heraus: ‚Nein, das ”Reue Will man denn nicht endlich einſehen, wie unſinnig es iſt, bey Kindern, indem man ihnen die Lehren der Reli- gion beybringen will, die edlen Empfindungen der Menſch- lichkeit zu unterdruͤcken, und wie abſcheulich, ſie zu lehren, daß ihr Willen mit dem Willen Gottes uͤbereinſtimme, wenn ſie die überſchwenglichen Leiden anderer Menſchen ſich nicht zu Herzen gehen laſſen. So lange ſolche Unge- reimtheiten noch in unſern Katechismen ſtehen, dürfen wir den Spoͤtter nicht anklagen, der einem Kapuziner die Worte in den Mund legt: „Et moi Predeſtiné, je rirai bien quand ”vous ſerez damné.‟ B
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”plagt ohne Ende. Welcher Graͤuel! koͤnnen Men-
”ſchen ihre Nebenmenſchen ſo verdammen, und koͤn-
”nen mit Wohlgefallen von ihrer Verdammung ein
”feyerliches Lied ſingen!‛
Der Pietiſt laͤchelte, und ſagte mit ſanfter Stim-
”me. Da ſiehet man den natuͤrlichen Menſchen! Jch
”verdamme ſie ja nicht, ſondern (er laͤchelte nochmals)
”die Bibel verdammet ſie, Da ſteht es deutlich.‛
Sebaldus fuhr ſehr heftig heraus: ‚Nein, das
”ſteht nicht in der Bibel; und wiſſen Sie, wenn es
”darinn ſtuͤnde, ſo waͤre ſie nicht Gottes Wort. Jch
”moͤchte eben ſo gern ein Atheiſt ſeyn, als ſolche ab-
”ſcheuliche Begriffe von Gott haben, daß er uns
”das Leben rund abſpricht, daß er uns dem
”Teufel zugeſellet, daß er uns durch Henker
”in Marterkammern ſchleppen laͤßt, wo keine
”Reue
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*) Will man denn nicht endlich einſehen, wie unſinnig es
iſt, bey Kindern, indem man ihnen die Lehren der Reli-
gion beybringen will, die edlen Empfindungen der Menſch-
lichkeit zu unterdruͤcken, und wie abſcheulich, ſie zu lehren,
daß ihr Willen mit dem Willen Gottes uͤbereinſtimme,
wenn ſie die überſchwenglichen Leiden anderer Menſchen
ſich nicht zu Herzen gehen laſſen. So lange ſolche Unge-
reimtheiten noch in unſern Katechismen ſtehen, dürfen wir
den Spoͤtter nicht anklagen, der einem Kapuziner die Worte
in den Mund legt: „Et moi Predeſtiné, je rirai bien quand
”vous ſerez damné.‟
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