Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.chen Beleidigung angenommen habe. Denn machte sie sich Vorwürfe, daß sie ihm, wider ihre Neigung, so kalt begegnet habe, sie konnte nun nicht begreifen, wie sie ihr Herz vor ihm nicht habe ausgießen können. Diese Erinnerung war, als im Winter, durch Als der Frühling wieder kam, und alle ihre Em- dem
chen Beleidigung angenommen habe. Denn machte ſie ſich Vorwuͤrfe, daß ſie ihm, wider ihre Neigung, ſo kalt begegnet habe, ſie konnte nun nicht begreifen, wie ſie ihr Herz vor ihm nicht habe ausgießen koͤnnen. Dieſe Erinnerung war, als im Winter, durch Als der Fruͤhling wieder kam, und alle ihre Em- dem
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chen Beleidigung angenommen habe. Denn machte
ſie ſich Vorwuͤrfe, daß ſie ihm, wider ihre Neigung,
ſo kalt begegnet habe, ſie konnte nun nicht begreifen,
wie ſie ihr Herz vor ihm nicht habe ausgießen koͤnnen.
Dieſe Erinnerung war, als im Winter, durch
lange Weile und Widerwillen, ihr Geiſt taͤglich mehr
zu erſchlaffen begann, ihr einziger Troſt. Sie wieg-
te ſich in dem Gedanken, daß Saͤugling ſie wirklich
noch liebe, daß ſie noch einſt mit ihm vereinigt und
gluͤcklich ſeyn werde. Sie maß ſeinen Schmerz von
ihr entfernt zu ſeyn, nach dem ihrigen ab, und fand
oft Wolluſt darinn, wenn ſie, indem ſie ihren eige-
nen Schmerz beweinte, den Schmerz ihres Gelieb-
ten zu beweinen glaubte.
Als der Fruͤhling wieder kam, und alle ihre Em-
pfindungen heitrer wurden, drangen die zaͤrtlichen
Gefuͤhle mit jedem Fruͤhlingshauche tiefer in ihre
Bruſt. Saͤuglings Bild ſpiegelte ſich ihr in jedem
hervorgruͤnenden Blatte, in jeder entfalteten Knoſpe.
Bey ihren einſamen Spaziergaͤngen nach dem Baͤch-
lein, begleitete es ſie. Dann ſaß ſie in wonnetrunk-
nem Staunen, dann glaubte ſie es zu umfaſſen,
dann ſprang ſie auf, und erroͤthete vor ihrem eige-
nem Phantome. Dann wandelte ſie am Ufer herab,
und ſang Lieder, die er auf ſie gemacht hatte, zu
dem
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