Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776."unser Religionssystem, wie unsere Philosophie, einem "unansehnlichen viereckigten Tische ähnlich, den wir "dennoch mitten im Zimmer stehen ließen. Er hatte also "die Decke sehr nöthig, und sie paßte auch ganz wohl "darauf. Aber seit einiger Zeit meine ich bemerkt zu "haben, daß, besonders bey Leuten nach der Welt, "gar keine Tische in der Mitte des Zimmers stehen. "Jch sehe zwar an den Wänden zierlich ausgeschweifte "Marmorplatten, die auf vergoldeten Füßen ruhen. "Die bedürfen aber keiner Decke, und wollte man "die alte Decke darauf legen, so würde sie eben des- "halb zipflicht hängen, weil sie viereckigt ist. Hat "aber noch jemand einen Tisch nach der alten Art in "seinem Zimmer, der lege meinetwegen auch die alte "Decke darauf. -- ,Der du einen neuen geraden Weg bahnen willst! "muß E 4
„unſer Religionsſyſtem, wie unſere Philoſophie, einem „unanſehnlichen viereckigten Tiſche aͤhnlich, den wir „dennoch mitten im Zimmer ſtehen ließen. Er hatte alſo „die Decke ſehr noͤthig, und ſie paßte auch ganz wohl „darauf. Aber ſeit einiger Zeit meine ich bemerkt zu „haben, daß, beſonders bey Leuten nach der Welt, „gar keine Tiſche in der Mitte des Zimmers ſtehen. „Jch ſehe zwar an den Waͤnden zierlich ausgeſchweifte „Marmorplatten, die auf vergoldeten Fuͤßen ruhen. „Die beduͤrfen aber keiner Decke, und wollte man „die alte Decke darauf legen, ſo wuͤrde ſie eben des- „halb zipflicht haͤngen, weil ſie viereckigt iſt. Hat „aber noch jemand einen Tiſch nach der alten Art in „ſeinem Zimmer, der lege meinetwegen auch die alte „Decke darauf. — ‚Der du einen neuen geraden Weg bahnen willſt! „muß E 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0077" n="69[68]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> „unſer Religionsſyſtem, wie unſere Philoſophie, einem<lb/> „unanſehnlichen viereckigten Tiſche aͤhnlich, den wir<lb/> „dennoch mitten im Zimmer ſtehen ließen. Er hatte alſo<lb/> „die Decke ſehr noͤthig, und ſie paßte auch ganz wohl<lb/> „darauf. Aber ſeit einiger Zeit meine ich bemerkt zu<lb/> „haben, daß, beſonders bey Leuten nach der Welt,<lb/> „gar keine Tiſche in der Mitte des Zimmers ſtehen.<lb/> „Jch ſehe zwar an den Waͤnden zierlich ausgeſchweifte<lb/> „Marmorplatten, die auf vergoldeten Fuͤßen ruhen.<lb/> „Die beduͤrfen aber keiner Decke, und wollte man<lb/> „die alte Decke darauf legen, ſo wuͤrde ſie eben des-<lb/> „halb zipflicht haͤngen, weil ſie viereckigt iſt. Hat<lb/> „aber noch jemand einen Tiſch nach der alten Art in<lb/> „ſeinem Zimmer, der lege meinetwegen auch die alte<lb/> „Decke darauf. —</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>‚Der du einen neuen geraden Weg bahnen willſt!<lb/> „Du wirſt auf Huͤgel ſtoßen! Laß dich keine Muͤhe<lb/> „reuen, ſie abzutragen, um den ſchoͤnen Weg nach<lb/> „der Schnur zu fuͤhren! Aber, wenn dein neuer Weg<lb/> „auf ein Haus ſtoͤßet, reiß es nicht weg, ſo lang Men-<lb/> „ſchen drinn wohnen, achte es nicht, daß der Weg lie-<lb/> „ber etwas gekruͤmmt daneben weg gehe! Es kommt<lb/> „in der Zukunft wohl noch eine Zeit, daß das Haus,<lb/> „Baufaͤlligkeitshalber, oder aus andern Urſachen, neu<lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">„muß</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69[68]/0077]
„unſer Religionsſyſtem, wie unſere Philoſophie, einem
„unanſehnlichen viereckigten Tiſche aͤhnlich, den wir
„dennoch mitten im Zimmer ſtehen ließen. Er hatte alſo
„die Decke ſehr noͤthig, und ſie paßte auch ganz wohl
„darauf. Aber ſeit einiger Zeit meine ich bemerkt zu
„haben, daß, beſonders bey Leuten nach der Welt,
„gar keine Tiſche in der Mitte des Zimmers ſtehen.
„Jch ſehe zwar an den Waͤnden zierlich ausgeſchweifte
„Marmorplatten, die auf vergoldeten Fuͤßen ruhen.
„Die beduͤrfen aber keiner Decke, und wollte man
„die alte Decke darauf legen, ſo wuͤrde ſie eben des-
„halb zipflicht haͤngen, weil ſie viereckigt iſt. Hat
„aber noch jemand einen Tiſch nach der alten Art in
„ſeinem Zimmer, der lege meinetwegen auch die alte
„Decke darauf. —
‚Der du einen neuen geraden Weg bahnen willſt!
„Du wirſt auf Huͤgel ſtoßen! Laß dich keine Muͤhe
„reuen, ſie abzutragen, um den ſchoͤnen Weg nach
„der Schnur zu fuͤhren! Aber, wenn dein neuer Weg
„auf ein Haus ſtoͤßet, reiß es nicht weg, ſo lang Men-
„ſchen drinn wohnen, achte es nicht, daß der Weg lie-
„ber etwas gekruͤmmt daneben weg gehe! Es kommt
„in der Zukunft wohl noch eine Zeit, daß das Haus,
„Baufaͤlligkeitshalber, oder aus andern Urſachen, neu
„muß
E 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |