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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Enkel zu Gabii, wo sie in griechischer Litteratur und grie-
chischem Waffengebrauch unterrichtet worden: endlich,
nachdem der lange angelegte Plan der Rache gereift, Ent-
thronung des Verbrechers, und Herstellung des unter-
drückten rechtmäßigen Fürsten. Der alte fromme Glaube
war abgestorben; sie konnten so wenig wie wir jene Dich-
tungen, gleich den Vorfahren, als Geschichte einer höhe-
ren Zeit fassen. Das aber hätten sie empfinden sollen daß
ihr Streben historische Wahrheit zu erkünsteln, ein Vor-
bild der Art wie vorgebliche denkende Theologen das wun-
derbare der heiligen Schrift aufgelößt haben, weit unver-
nünftiger, und ihre Pneumatologie viel abergläubischer
war als die Einfalt der Alten.

Zum Lohn für die Herstellung seines Throns erbaten
sich Romulus und Remus von ihrem Ahnherrn Vergünsti-
gung und Beystand eine Stadt am Ufer des Strohms zu
gründen der ihr Leben verschont hatte. Numitor wieß
ihnen dazu einen geräumigen Bezirk an, soweit die Grän-
zen der ältern nahe gelegenen latinischen Städte es gestat-
teten, und zwischen Antemna und dem Ausfluß der Tiber
noch ungetheilte albanische Domäne lag. Auf der Straße
nach Alba erstreckte sich die römische Feldmark bis an einen
Ort, Festi, zwischen der fünften und sechsten Millie, wo
bis auf die spätesten Zeiten als an der Gränze des eigent-
lichen Ager Romanus jährlich die Ambarvalien gefeiert
wurden 93). Die Hirten, ihre alten Gefährten, waren
ihre ersten Bürger: mir scheint es sehr zweifelhaft, daß

93) Strabo V. c. 3. §. 2.

Enkel zu Gabii, wo ſie in griechiſcher Litteratur und grie-
chiſchem Waffengebrauch unterrichtet worden: endlich,
nachdem der lange angelegte Plan der Rache gereift, Ent-
thronung des Verbrechers, und Herſtellung des unter-
druͤckten rechtmaͤßigen Fuͤrſten. Der alte fromme Glaube
war abgeſtorben; ſie konnten ſo wenig wie wir jene Dich-
tungen, gleich den Vorfahren, als Geſchichte einer hoͤhe-
ren Zeit faſſen. Das aber haͤtten ſie empfinden ſollen daß
ihr Streben hiſtoriſche Wahrheit zu erkuͤnſteln, ein Vor-
bild der Art wie vorgebliche denkende Theologen das wun-
derbare der heiligen Schrift aufgeloͤßt haben, weit unver-
nuͤnftiger, und ihre Pneumatologie viel aberglaͤubiſcher
war als die Einfalt der Alten.

Zum Lohn fuͤr die Herſtellung ſeines Throns erbaten
ſich Romulus und Remus von ihrem Ahnherrn Verguͤnſti-
gung und Beyſtand eine Stadt am Ufer des Strohms zu
gruͤnden der ihr Leben verſchont hatte. Numitor wieß
ihnen dazu einen geraͤumigen Bezirk an, ſoweit die Graͤn-
zen der aͤltern nahe gelegenen latiniſchen Staͤdte es geſtat-
teten, und zwiſchen Antemna und dem Ausfluß der Tiber
noch ungetheilte albaniſche Domaͤne lag. Auf der Straße
nach Alba erſtreckte ſich die roͤmiſche Feldmark bis an einen
Ort, Feſti, zwiſchen der fuͤnften und ſechſten Millie, wo
bis auf die ſpaͤteſten Zeiten als an der Graͤnze des eigent-
lichen Ager Romanus jaͤhrlich die Ambarvalien gefeiert
wurden 93). Die Hirten, ihre alten Gefaͤhrten, waren
ihre erſten Buͤrger: mir ſcheint es ſehr zweifelhaft, daß

93) Strabo V. c. 3. §. 2.
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[153/0175] Enkel zu Gabii, wo ſie in griechiſcher Litteratur und grie- chiſchem Waffengebrauch unterrichtet worden: endlich, nachdem der lange angelegte Plan der Rache gereift, Ent- thronung des Verbrechers, und Herſtellung des unter- druͤckten rechtmaͤßigen Fuͤrſten. Der alte fromme Glaube war abgeſtorben; ſie konnten ſo wenig wie wir jene Dich- tungen, gleich den Vorfahren, als Geſchichte einer hoͤhe- ren Zeit faſſen. Das aber haͤtten ſie empfinden ſollen daß ihr Streben hiſtoriſche Wahrheit zu erkuͤnſteln, ein Vor- bild der Art wie vorgebliche denkende Theologen das wun- derbare der heiligen Schrift aufgeloͤßt haben, weit unver- nuͤnftiger, und ihre Pneumatologie viel aberglaͤubiſcher war als die Einfalt der Alten. Zum Lohn fuͤr die Herſtellung ſeines Throns erbaten ſich Romulus und Remus von ihrem Ahnherrn Verguͤnſti- gung und Beyſtand eine Stadt am Ufer des Strohms zu gruͤnden der ihr Leben verſchont hatte. Numitor wieß ihnen dazu einen geraͤumigen Bezirk an, ſoweit die Graͤn- zen der aͤltern nahe gelegenen latiniſchen Staͤdte es geſtat- teten, und zwiſchen Antemna und dem Ausfluß der Tiber noch ungetheilte albaniſche Domaͤne lag. Auf der Straße nach Alba erſtreckte ſich die roͤmiſche Feldmark bis an einen Ort, Feſti, zwiſchen der fuͤnften und ſechſten Millie, wo bis auf die ſpaͤteſten Zeiten als an der Graͤnze des eigent- lichen Ager Romanus jaͤhrlich die Ambarvalien gefeiert wurden 93). Die Hirten, ihre alten Gefaͤhrten, waren ihre erſten Buͤrger: mir ſcheint es ſehr zweifelhaft, daß 93) Strabo V. c. 3. §. 2.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/175>, abgerufen am 24.11.2024.