handen gewesen, die Priesterannalen gesehen und nach- gesehen haben, weil es ihm so räthselhaft vorkam daß dieses die erste Erwähnung sey. Ein unverwerflicher Beweis daß diese nicht vor der Schlacht am Regillus anfingen liegt darin, daß früher keine bestimmte Wun- derzeichen gemeldet werden 24), deren Aufbewahrung ihnen unstreitig, gleich ihren Vorbildern den etruski- schen Jahrbüchern, oblag: wohl aber werden sie von dieser Zeit an, obgleich Anfangs nur spärlich und sel- ten, verzeichnet. Eben so zeugt der gänzliche Mangel an Nahmen in den Geschichten der sechs letzten römi- schen Könige, außer ihrem eignen, von einem völligen Untergang aller annalenmäßigen Nachrichten aus jenen Zeiten. Die Familienerzählungen meldeten vieles und umständlich, wenn auch ganz fabelhaft, über die ersten großen Männer jedes Geschlechts, vom ersten Tage der Republik au: aber auch nicht eine leise Erwähnung eines Ahnherrn aus den königlichen Zeiten können sie enthalten haben: denn so ämsig wie Dionysius alles zusammenhäufte was seine angebliche Geschichte dieses Zeitraums im Verhältniß der Zeitlänge anschwellen konnte, durch ihn müßten wir es wissen. Daß die Va- lerier einen Sabiner welcher Tatius begleitete, als den Stammherrn ihres Geschlechts nannten, ist etwas ganz verschiedenes.
Aber ohne Poesie kann keine Sage fortleben, am
24) Denn die Prodigien welche den letzten König erschreckten sind ganz dichterisch: die historischen der Chroniken höchst gemein.
Erster Theil. M
handen geweſen, die Prieſterannalen geſehen und nach- geſehen haben, weil es ihm ſo raͤthſelhaft vorkam daß dieſes die erſte Erwaͤhnung ſey. Ein unverwerflicher Beweis daß dieſe nicht vor der Schlacht am Regillus anfingen liegt darin, daß fruͤher keine beſtimmte Wun- derzeichen gemeldet werden 24), deren Aufbewahrung ihnen unſtreitig, gleich ihren Vorbildern den etruski- ſchen Jahrbuͤchern, oblag: wohl aber werden ſie von dieſer Zeit an, obgleich Anfangs nur ſpaͤrlich und ſel- ten, verzeichnet. Eben ſo zeugt der gaͤnzliche Mangel an Nahmen in den Geſchichten der ſechs letzten roͤmi- ſchen Koͤnige, außer ihrem eignen, von einem voͤlligen Untergang aller annalenmaͤßigen Nachrichten aus jenen Zeiten. Die Familienerzaͤhlungen meldeten vieles und umſtaͤndlich, wenn auch ganz fabelhaft, uͤber die erſten großen Maͤnner jedes Geſchlechts, vom erſten Tage der Republik au: aber auch nicht eine leiſe Erwaͤhnung eines Ahnherrn aus den koͤniglichen Zeiten koͤnnen ſie enthalten haben: denn ſo aͤmſig wie Dionyſius alles zuſammenhaͤufte was ſeine angebliche Geſchichte dieſes Zeitraums im Verhaͤltniß der Zeitlaͤnge anſchwellen konnte, durch ihn muͤßten wir es wiſſen. Daß die Va- lerier einen Sabiner welcher Tatius begleitete, als den Stammherrn ihres Geſchlechts nannten, iſt etwas ganz verſchiedenes.
Aber ohne Poeſie kann keine Sage fortleben, am
24) Denn die Prodigien welche den letzten Koͤnig erſchreckten ſind ganz dichteriſch: die hiſtoriſchen der Chroniken hoͤchſt gemein.
Erſter Theil. M
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handen geweſen, die Prieſterannalen geſehen und nach-
geſehen haben, weil es ihm ſo raͤthſelhaft vorkam daß
dieſes die erſte Erwaͤhnung ſey. Ein unverwerflicher
Beweis daß dieſe nicht vor der Schlacht am Regillus
anfingen liegt darin, daß fruͤher keine beſtimmte Wun-
derzeichen gemeldet werden 24), deren Aufbewahrung
ihnen unſtreitig, gleich ihren Vorbildern den etruski-
ſchen Jahrbuͤchern, oblag: wohl aber werden ſie von
dieſer Zeit an, obgleich Anfangs nur ſpaͤrlich und ſel-
ten, verzeichnet. Eben ſo zeugt der gaͤnzliche Mangel
an Nahmen in den Geſchichten der ſechs letzten roͤmi-
ſchen Koͤnige, außer ihrem eignen, von einem voͤlligen
Untergang aller annalenmaͤßigen Nachrichten aus jenen
Zeiten. Die Familienerzaͤhlungen meldeten vieles und
umſtaͤndlich, wenn auch ganz fabelhaft, uͤber die erſten
großen Maͤnner jedes Geſchlechts, vom erſten Tage der
Republik au: aber auch nicht eine leiſe Erwaͤhnung
eines Ahnherrn aus den koͤniglichen Zeiten koͤnnen ſie
enthalten haben: denn ſo aͤmſig wie Dionyſius alles
zuſammenhaͤufte was ſeine angebliche Geſchichte dieſes
Zeitraums im Verhaͤltniß der Zeitlaͤnge anſchwellen
konnte, durch ihn muͤßten wir es wiſſen. Daß die Va-
lerier einen Sabiner welcher Tatius begleitete, als den
Stammherrn ihres Geſchlechts nannten, iſt etwas ganz
verſchiedenes.
Aber ohne Poeſie kann keine Sage fortleben, am
24) Denn die Prodigien welche den letzten Koͤnig erſchreckten
ſind ganz dichteriſch: die hiſtoriſchen der Chroniken hoͤchſt
gemein.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/199>, abgerufen am 21.11.2024.
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