Mangel an diesem Begriff schadete den Werken derer welche über Roms Geschichte als Politiker schrieben, und so ver- darb die Geschichte selbst. Machiavellis Discorsi, so voll von Klugheit und scharfen Urtheilen, sind hievon ein spre- chendes Beispiel; indem er zwar immer höchst geistreich, aber sehr oft von Dingen redet, die gar nicht da gewesen sind. Ich nenne ihn hier, weil er, obgleich in der Mitte einer philologisch gelehrten Zeit lebend, ihrem Geist fremd geblieben war. Montesquieu, mit Ansprüchen auf histo- risch genaue Kenntnisse, und daher gefährlicher um irrige Meinungen zu begründen, ist voll von falschen Ansichten, und sehr häufig in seinen Erzählungen durchaus täuschend: ein Urtheil welches ich nicht um seinen Ruhm zu schmä- lern wage, denn es ist wohl der größte daß der gerechte Leser ihn dennoch bewundern wird, wenn er auch hierüber die entschiedenste Ueberzeugung aus eigner Prüfung bekom- men hat. Daß man die Alten nicht versteht wenn man Gegenstände ihres täglichen Lebens, die uns mit ihnen ge- mein sind, nicht in der Gestalt sich anschaulich denkt, unter welcher dieser Gegenstand ihren Augen gewöhn- lich war: daß wir durchaus irre gehen würden, wenn wir uns, wie es das Mittelalter that, und, weil in ihm noch so viel verwandtes erhalten war, mit geringerer Täu- schung thun konnte, ein Römisches Haus, ein Römisches Schiff, Römische Landwirthschaft und Gewerbe, Römi- sche Kleidung, oder das Innere des gewöhnlichen Le- bens im alten Rom unter der Anschauung denken woll- ten welche bei uns den Gegenständen dieser Worte ent- spricht, muß jeder fühlen: aber der Paralogismus der
Mangel an dieſem Begriff ſchadete den Werken derer welche uͤber Roms Geſchichte als Politiker ſchrieben, und ſo ver- darb die Geſchichte ſelbſt. Machiavellis Discorsi, ſo voll von Klugheit und ſcharfen Urtheilen, ſind hievon ein ſpre- chendes Beiſpiel; indem er zwar immer hoͤchſt geiſtreich, aber ſehr oft von Dingen redet, die gar nicht da geweſen ſind. Ich nenne ihn hier, weil er, obgleich in der Mitte einer philologiſch gelehrten Zeit lebend, ihrem Geiſt fremd geblieben war. Monteſquieu, mit Anſpruͤchen auf hiſto- riſch genaue Kenntniſſe, und daher gefaͤhrlicher um irrige Meinungen zu begruͤnden, iſt voll von falſchen Anſichten, und ſehr haͤufig in ſeinen Erzaͤhlungen durchaus taͤuſchend: ein Urtheil welches ich nicht um ſeinen Ruhm zu ſchmaͤ- lern wage, denn es iſt wohl der groͤßte daß der gerechte Leſer ihn dennoch bewundern wird, wenn er auch hieruͤber die entſchiedenſte Ueberzeugung aus eigner Pruͤfung bekom- men hat. Daß man die Alten nicht verſteht wenn man Gegenſtaͤnde ihres taͤglichen Lebens, die uns mit ihnen ge- mein ſind, nicht in der Geſtalt ſich anſchaulich denkt, unter welcher dieſer Gegenſtand ihren Augen gewoͤhn- lich war: daß wir durchaus irre gehen wuͤrden, wenn wir uns, wie es das Mittelalter that, und, weil in ihm noch ſo viel verwandtes erhalten war, mit geringerer Taͤu- ſchung thun konnte, ein Roͤmiſches Haus, ein Roͤmiſches Schiff, Roͤmiſche Landwirthſchaft und Gewerbe, Roͤmi- ſche Kleidung, oder das Innere des gewoͤhnlichen Le- bens im alten Rom unter der Anſchauung denken woll- ten welche bei uns den Gegenſtaͤnden dieſer Worte ent- ſpricht, muß jeder fuͤhlen: aber der Paralogismus der
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0030"n="8"/>
Mangel an dieſem Begriff ſchadete den Werken derer welche<lb/>
uͤber Roms Geſchichte als Politiker ſchrieben, und ſo ver-<lb/>
darb die Geſchichte ſelbſt. Machiavellis <hirendition="#aq">Discorsi,</hi>ſo voll<lb/>
von Klugheit und ſcharfen Urtheilen, ſind hievon ein ſpre-<lb/>
chendes Beiſpiel; indem er zwar immer hoͤchſt geiſtreich,<lb/>
aber ſehr oft von Dingen redet, die gar nicht da geweſen<lb/>ſind. Ich nenne ihn hier, weil er, obgleich in der Mitte<lb/>
einer philologiſch gelehrten Zeit lebend, ihrem Geiſt fremd<lb/>
geblieben war. Monteſquieu, mit Anſpruͤchen auf hiſto-<lb/>
riſch genaue Kenntniſſe, und daher gefaͤhrlicher um irrige<lb/>
Meinungen zu begruͤnden, iſt voll von falſchen Anſichten,<lb/>
und ſehr haͤufig in ſeinen Erzaͤhlungen durchaus taͤuſchend:<lb/>
ein Urtheil welches ich nicht um ſeinen Ruhm zu ſchmaͤ-<lb/>
lern wage, denn es iſt wohl der groͤßte daß der gerechte<lb/>
Leſer ihn dennoch bewundern wird, wenn er auch hieruͤber<lb/>
die entſchiedenſte Ueberzeugung aus eigner Pruͤfung bekom-<lb/>
men hat. Daß man die Alten nicht verſteht wenn man<lb/>
Gegenſtaͤnde ihres taͤglichen Lebens, die uns mit ihnen ge-<lb/>
mein ſind, nicht in der Geſtalt ſich anſchaulich denkt,<lb/>
unter welcher dieſer Gegenſtand ihren Augen gewoͤhn-<lb/>
lich war: daß wir durchaus irre gehen wuͤrden, wenn wir<lb/>
uns, wie es das Mittelalter that, und, weil in ihm noch<lb/>ſo viel verwandtes erhalten war, mit geringerer Taͤu-<lb/>ſchung thun konnte, ein Roͤmiſches Haus, ein Roͤmiſches<lb/>
Schiff, Roͤmiſche Landwirthſchaft und Gewerbe, Roͤmi-<lb/>ſche Kleidung, oder das Innere des gewoͤhnlichen Le-<lb/>
bens im alten Rom unter der Anſchauung denken woll-<lb/>
ten welche bei uns den Gegenſtaͤnden dieſer Worte ent-<lb/>ſpricht, muß jeder fuͤhlen: aber der Paralogismus der<lb/></p></body></text></TEI>
[8/0030]
Mangel an dieſem Begriff ſchadete den Werken derer welche
uͤber Roms Geſchichte als Politiker ſchrieben, und ſo ver-
darb die Geſchichte ſelbſt. Machiavellis Discorsi, ſo voll
von Klugheit und ſcharfen Urtheilen, ſind hievon ein ſpre-
chendes Beiſpiel; indem er zwar immer hoͤchſt geiſtreich,
aber ſehr oft von Dingen redet, die gar nicht da geweſen
ſind. Ich nenne ihn hier, weil er, obgleich in der Mitte
einer philologiſch gelehrten Zeit lebend, ihrem Geiſt fremd
geblieben war. Monteſquieu, mit Anſpruͤchen auf hiſto-
riſch genaue Kenntniſſe, und daher gefaͤhrlicher um irrige
Meinungen zu begruͤnden, iſt voll von falſchen Anſichten,
und ſehr haͤufig in ſeinen Erzaͤhlungen durchaus taͤuſchend:
ein Urtheil welches ich nicht um ſeinen Ruhm zu ſchmaͤ-
lern wage, denn es iſt wohl der groͤßte daß der gerechte
Leſer ihn dennoch bewundern wird, wenn er auch hieruͤber
die entſchiedenſte Ueberzeugung aus eigner Pruͤfung bekom-
men hat. Daß man die Alten nicht verſteht wenn man
Gegenſtaͤnde ihres taͤglichen Lebens, die uns mit ihnen ge-
mein ſind, nicht in der Geſtalt ſich anſchaulich denkt,
unter welcher dieſer Gegenſtand ihren Augen gewoͤhn-
lich war: daß wir durchaus irre gehen wuͤrden, wenn wir
uns, wie es das Mittelalter that, und, weil in ihm noch
ſo viel verwandtes erhalten war, mit geringerer Taͤu-
ſchung thun konnte, ein Roͤmiſches Haus, ein Roͤmiſches
Schiff, Roͤmiſche Landwirthſchaft und Gewerbe, Roͤmi-
ſche Kleidung, oder das Innere des gewoͤhnlichen Le-
bens im alten Rom unter der Anſchauung denken woll-
ten welche bei uns den Gegenſtaͤnden dieſer Worte ent-
ſpricht, muß jeder fuͤhlen: aber der Paralogismus der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/30>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.