Sie verführte Lucius mit ihr den Tod seines Bruders, ih- rer Schwester zu bereiten: ohne auch nur den Schein der Trauer entzündeten die Verbrecher ihre Hochzeitsfackel an dem Scheiterhaufen der Unglücklichen. Dies war im vierzigsten Jahr des Königs Servius. Zu dem Gram über sein häusliches Unglück, und über das noch größere eines so unverschleyerten Verbrechens, von seiner eignen Tochter geübt, trat die Furcht des Vaters der seinen Kin- dern zu lange lebt für seine eigne Sicherheit. In dieser Zeit war es vielleicht daß ihm der Gedanke lieb ward die Königswürde niederzulegen, und statt der Monarchie die consularische Verfassung einzuführen 62). Tarquinius, angetrieben von seinem Weibe die ein zweckloses Verbre- chen noch rasender machte, unruhig und ergrimmt über die nahe Aussicht auf immer von seinen Hoffnungen aus- geschlossen zu werden, und von dem was allein den Ver- brecher beruhigt, dem Zwecke seiner Sünde, regte die Mißvergnügten gegen den König auf, welche bey der Ein- führung der Republik noch entscheidendere Schritte gegen einen Stand fürchten mochten, der Servius immer seind- selig gewesen war. Als die Verschwörung reif war er- schien er in der Curie mit königlichen Insignien, und ward von seinen Mitschuldigen als König begrüßt. Das Gerücht unterrichtete den alten Fürsten von der Gefahr. Er eilte unerschrocken in die Curie; das Volk begleitete seinen Herrscher und Beschützer. In der Thüre stehend redete er strafend Tarquinius als einen Empörer an: die-
62) Livius I. c. 48. 60. Dionysius IV. c. 40. Plutarch de fort. Roman. p. 323.
Sie verfuͤhrte Lucius mit ihr den Tod ſeines Bruders, ih- rer Schweſter zu bereiten: ohne auch nur den Schein der Trauer entzuͤndeten die Verbrecher ihre Hochzeitsfackel an dem Scheiterhaufen der Ungluͤcklichen. Dies war im vierzigſten Jahr des Koͤnigs Servius. Zu dem Gram uͤber ſein haͤusliches Ungluͤck, und uͤber das noch groͤßere eines ſo unverſchleyerten Verbrechens, von ſeiner eignen Tochter geuͤbt, trat die Furcht des Vaters der ſeinen Kin- dern zu lange lebt fuͤr ſeine eigne Sicherheit. In dieſer Zeit war es vielleicht daß ihm der Gedanke lieb ward die Koͤnigswuͤrde niederzulegen, und ſtatt der Monarchie die conſulariſche Verfaſſung einzufuͤhren 62). Tarquinius, angetrieben von ſeinem Weibe die ein zweckloſes Verbre- chen noch raſender machte, unruhig und ergrimmt uͤber die nahe Ausſicht auf immer von ſeinen Hoffnungen aus- geſchloſſen zu werden, und von dem was allein den Ver- brecher beruhigt, dem Zwecke ſeiner Suͤnde, regte die Mißvergnuͤgten gegen den Koͤnig auf, welche bey der Ein- fuͤhrung der Republik noch entſcheidendere Schritte gegen einen Stand fuͤrchten mochten, der Servius immer ſeind- ſelig geweſen war. Als die Verſchwoͤrung reif war er- ſchien er in der Curie mit koͤniglichen Inſignien, und ward von ſeinen Mitſchuldigen als Koͤnig begruͤßt. Das Geruͤcht unterrichtete den alten Fuͤrſten von der Gefahr. Er eilte unerſchrocken in die Curie; das Volk begleitete ſeinen Herrſcher und Beſchuͤtzer. In der Thuͤre ſtehend redete er ſtrafend Tarquinius als einen Empoͤrer an: die-
62) Livius I. c. 48. 60. Dionyſius IV. c. 40. Plutarch de fort. Roman. p. 323.
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Sie verfuͤhrte Lucius mit ihr den Tod ſeines Bruders, ih-
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Trauer entzuͤndeten die Verbrecher ihre Hochzeitsfackel an
dem Scheiterhaufen der Ungluͤcklichen. Dies war im
vierzigſten Jahr des Koͤnigs Servius. Zu dem Gram
uͤber ſein haͤusliches Ungluͤck, und uͤber das noch groͤßere
eines ſo unverſchleyerten Verbrechens, von ſeiner eignen
Tochter geuͤbt, trat die Furcht des Vaters der ſeinen Kin-
dern zu lange lebt fuͤr ſeine eigne Sicherheit. In dieſer
Zeit war es vielleicht daß ihm der Gedanke lieb ward die
Koͤnigswuͤrde niederzulegen, und ſtatt der Monarchie die
conſulariſche Verfaſſung einzufuͤhren 62). Tarquinius,
angetrieben von ſeinem Weibe die ein zweckloſes Verbre-
chen noch raſender machte, unruhig und ergrimmt uͤber
die nahe Ausſicht auf immer von ſeinen Hoffnungen aus-
geſchloſſen zu werden, und von dem was allein den Ver-
brecher beruhigt, dem Zwecke ſeiner Suͤnde, regte die
Mißvergnuͤgten gegen den Koͤnig auf, welche bey der Ein-
fuͤhrung der Republik noch entſcheidendere Schritte gegen
einen Stand fuͤrchten mochten, der Servius immer ſeind-
ſelig geweſen war. Als die Verſchwoͤrung reif war er-
ſchien er in der Curie mit koͤniglichen Inſignien, und
ward von ſeinen Mitſchuldigen als Koͤnig begruͤßt. Das
Geruͤcht unterrichtete den alten Fuͤrſten von der Gefahr.
Er eilte unerſchrocken in die Curie; das Volk begleitete
ſeinen Herrſcher und Beſchuͤtzer. In der Thuͤre ſtehend
redete er ſtrafend Tarquinius als einen Empoͤrer an: die-
62) Livius I. c. 48. 60. Dionyſius IV. c. 40. Plutarch
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/312>, abgerufen am 22.11.2024.
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